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„Ein Tag, den ich nie vergessen werde“ – Eine israelische Kinderärztin und ihre 8-jährige Tochter blicken auf den 7. Oktober zurück

15 November 2023
Am 7. Oktober hatte Dr. Noa Rosenfeld-Yehoshua Dienst als Kinderärztin im Assuta Medical Centre in Aschdod (Israel), wo sie die pädiatrische Intensivstation leitet. Zusammen mit Kollegen zählte sie zu den vielen Gesundheitsanbietern und -fachkräften, die auf die Anschläge der Hamas reagierten, die etwa 1400 Menschenleben und über 4600 Verletzte forderten. Über 200 Menschen wurden als Geiseln genommen. 

Die WHO traf kürzlich Dr. Rosenfeld-Yehoshua in London an dem Tag, an dem sie nach einem Besuch im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland nach Israel zurückkehren sollte. Gemeinsam mit ihrer 8-jährigen Tochter Abigail schilderte sie die Ereignisse des 7. Oktober und die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit ihrer Gemeinschaft und ihres Landes.

„Es war ein Feiertag“, erzählte sie. „Ich hatte Bereitschaftsdienst und wurde zur Arbeit gerufen. Meine Arbeitsstätte liegt ganz in der Nähe von Gaza. Morgens ertönten unablässig Sirenen, wieder und wieder, unzählige Sirenen. Unsere Familie begab sich in einen Schutzraum.“

Die Zeit verging, doch die Sirenen hörten nicht auf, und die Familie erfuhr bald von den Angriffen der Hamas. Dr. Rosenfeld-Yehoshua ließ ihre eigenen verängstigten Kinder zurück und fuhr sofort ins Krankenhaus: Sie hatte an diesem Tag Dienst. 

Zusammen mit ihrem Team aus jüdischen und arabischen Gesundheitsfachkräften tröstete sie Patienten und Eltern, die nach ihren Kindern suchten, und stabilisierte schwer verletzte Patienten. 

Dr. Rosenfeld-Yehoshua beschreibt einen der ersten Patienten, die sie an diesem Tag traf: eine elegante 50-jährige Frau mit Brille, die noch ihren Pyjama trug. „Sie war so besorgt. Sie war sich sicher, dass sie eine Kugel in ihrem Arm hatte. Ich untersuchte sie und sagte: ,Es scheint alles in Ordnung zu sein, ich bin wirklich froh, sagen zu können, dass es Ihnen gut geht.‘ Sie sagte: ,Oh, vielen Dank. Aber wissen Sie, meine Schwester wurde erschossen.‘ Und plötzlich verstand ich, dass diese Menschen etwas durchgemacht hatten, was ich noch nie erlebt hatte.“

Seite an Seite arbeiten, um Patienten zu versorgen

Dr. Rosenfeld-Yehoshua erläuterte, dass viele der Gesundheitsfachkräfte, die an diesem Tag Dienst hatten und auf die Anschläge reagierten, aus arabischen Gemeinschaften stammten, da der 7. Oktober ein jüdischer Feiertag ist.

„In der Notaufnahme sah ich, wie Ärzte mit sehr unterschiedlichem Hintergrund und unterschiedlicher Religion, Juden und Araber, zusammenarbeiteten. Alle versuchten, eine Situation zu meistern, die für das Krankenhaus äußerst schwierig zu bewältigen war.“

Während ihrer Arbeit machten sich viele Mitarbeiter große Sorgen um ihre eigenen Angehörigen, die sie teilweise aus Schutzräumen anriefen und die um ihre Sicherheit und die Versorgung mit Essen und Wasser fürchteten.

„Ich komme aus einer Familie, die sich sehr stark für den Frieden einsetzt“, erklärte sie. „Meine Mutter hat oft für den Frieden demonstriert. Mein Vater hat viele Dinge getan und immer mit Juden und Arabern zusammengearbeitet. Darauf legten wir in unserer Familie großen Wert.“

Die Auswirkungen der Anschläge auf die psychische Gesundheit

Als am 7. Oktober die Sirenen losgingen, verbrachte Dr. Rosenfeld-Yehoshuas Tochter Abigail drei Tage in einem Schutzraum im Haus ihrer Tante. 

Als die WHO sich mit ihnen traf, hatten Noa und Abigail Familienmitglieder in London besucht – eine Reise, die schon vor einiger Zeit arrangiert worden war. Wie fühlt sich Abigail bei dem Gedanken, wieder nach Israel zurückzukehren?

„Ich habe Angst“, sagt das Mädchen. „Ich möchte nicht in meinem eigenen Zimmer schlafen. Ich habe zu viel Angst, um in meinem Zimmer zu schlafen.“

In Dr. Rosenfeld-Yehoshuas Gemeinschaft haben viele Eltern Angst, ihre Kinder wieder in die Schule zu schicken oder sie gar aus den Augen zu lassen. Um nach den Anschlägen wieder zu einem gewissen Maß an Normalität zurückzukehren, gab sie in ihrem eigenen Haus Kunst-, Theater- und Klavierunterricht für Kinder aus der Umgebung. Auch unter ihren Kollegen besteht ein großer Bedarf für psychische Unterstützung.

„Ich sehe die Pflegekräfte, die auf der Intensivstation arbeiten. Ich sehe die Ärzte, mit denen ich zusammenarbeite. Alle haben Angst, ihre Kinder zu verlassen, Angst, auf die Straße zu gehen. So etwas hat es noch nie gegeben. Die Menschen haben Angst, dass ihnen jemand Schaden zufügen könnte.“

Dr. Rosenfeld-Yehoshua versucht, diese Gefühle zu erklären: „Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass, wenn solche Handlungen an Menschen begangen werden, die genau so sind wie man selbst, man feststellt, dass, obwohl man sich in einer sicheren Umgebung wähnte, diese überhaupt nicht sicher ist. Die Angst ist so überwältigend, dass man sich wie gelähmt fühlt und sich nicht bewegen kann. Und man will auch seine Kinder davon abhalten, sich zu bewegen. Es ist wichtig zu verstehen, dass wir uns mit vielen psychischen Problemen auseinandersetzen müssen, wenn wir in Israel wieder zu einer normalen Gesellschaft zurückkehren wollen.“

Seit den Anschlägen des 7. Oktober hat die WHO gemeinsam mit der gesamten Familie der Vereinten Nationen unter Berufung auf das humanitäre Völkerrecht die sofortige Freilassung aller Geiseln und den dringenden Zugang zu medizinischer Versorgung für sie gefordert, auch für die vielen chronisch Kranken, die dringend medizinische Hilfe benötigen. Konflikte und andere gesundheitliche Notlagen können lang anhaltende Folgen für die psychische Gesundheit der Menschen haben, vor allem, wenn sich die Situation in die Länge zieht.

Außerdem haben die WHO und die Partnerorganisationen der Vereinten Nationen zu einem Waffenstillstand und einem ungehinderten, sicheren und dauerhaften Zugang zu medizinischer und humanitärer Hilfe für die Zivilbevölkerung in Gaza aufgerufen. Die WHO verurteilt unter allen Umständen Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen und Gesundheitspersonal und betont, dass die Gesundheit kein Ziel von Angriffen sein darf.