WHO / Andreas Beck
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„Die Bekämpfung von alkoholbedingten Schäden erfordert mehr als eine medizinische Intervention“ – Dr. Santos aus Portugal

8 May 2025
Alkoholbedingte Schäden sind nicht immer offensichtlich, aber es gibt sie überall. In vielen Ländern, so auch in Portugal, gehört der Alkoholkonsum zum täglichen Leben, zum geselligen Beisammensein und zum Feiern, und über die damit verbundenen Gesundheitsrisiken wird wenig nachgedacht. Dr. Margarida Santos, Allgemeinmedizinerin in Lissabon, erlebt die Auswirkungen täglich bei ihren Patienten. Von Schlafstörungen bis hin zu Angstzuständen und Depressionen berichtet sie aus erster Hand über die schwerwiegenden Auswirkungen, die Alkohol auf Gesundheit, Familienleben und persönliche Beziehungen haben kann.

Trotz des erwiesenen Zusammenhangs zwischen Alkohol und Krebs, Lebererkrankungen und psychischen Erkrankungen wird der Alkoholkonsum bei Gesprächen mit dem Arzt oft nicht erwähnt. Als Hausärztin ist Dr. Santos in der Lage, Patienten zu identifizieren, deren Alkoholkonsum ihre Gesundheit gefährden könnte. 

Da der Alkoholkonsum in der europäischen Gesellschaft jedoch normalisiert wird, zögern viele Mediziner, ihre Patienten nach ihren Trinkgewohnheiten zu fragen, und verpassen so wichtige Gelegenheiten zur Prävention und frühzeitigen Intervention. 

„Wir untersuchen unsere Patienten routinemäßig auf Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes sowie auf Risikofaktoren für Krankheiten wie etwa Rauchen, aber was ist mit Alkohol?“, fragt Dr. Santos. 

„Im Medizinstudium lernten wir, welche Gefahren mit starkem Alkoholkonsum verbunden sind, aber nicht welche Risiken der regelmäßige, alltägliche Alkoholkonsum mit sich bringt, oder wie man mit Patienten darüber spricht. Diese Lücke ist gefährlich, denn wir sind diejenigen, die mit den Patienten sprechen.“ 

Dr. Santos plädiert dafür, medizinischen Fachkräften das nötige Wissen und die nötigen Instrumente an die Hand zu geben, damit sie ihren Patienten evidenzbasierte Informationen zur Verfügung stellen können, die eine fundierte Entscheidungsfindung ermöglichen. 

Veränderungen beginnen mit einem Gespräch

Dr. Santos glaubt an eine ganzheitliche Versorgung – die Patienten kennenzulernen, sie in jeder Lebensphase zu begleiten und sie bei der Prävention und Behandlung von chronischen Erkrankungen zu unterstützen. Sie befürwortet den routinemäßigen Einsatz von Screenings und Kurzinterventionen, die aus einfachen, evidenzbasierten Gesprächen bestehen, die sowohl dem Fachpersonal als auch den Patienten helfen, den Alkoholkonsum besser einzuschätzen und Trinkmuster zu verstehen. 

Je nach der zur Verfügung stehenden Zeit werden im Rahmen der Screenings und Kurzinterventionen einige strukturierte Fragen gestellt, um ein Gespräch zu beginnen, und ggf. maßgeschneiderte Beratung angeboten. Damit Screenings und Kurzinterventionen wirklich effektiv sein können, brauchen Kliniker ausreichend Zeit, eine angemessene Ausbildung und eine starke Unterstützung auf Systemebene.

Screenings und Kurzinterventionen werden als ein wesentlicher Bestandteil der Reaktion der Gesundheitssysteme auf alkoholbedingte Schäden befürwortet. Sie finden auch im Globalen Alkohol-Aktionsplan der WHO (2022–2030), im Rahmen der SAFER-Initiative und im Handlungsrahmen für die Alkoholpolitik in der Europäischen Region der WHO (2022–2025) Erwähnung und stützen sich auf solide Belege, die zeigen, dass sie eine wirksame und kosteneffiziente Methode zur Erkennung und Verringerung von riskantem Trinkverhalten darstellen, insbesondere in Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung.

Die WHO unterstützt die weitverbreitete Anwendung von Screenings und Kurzinterventionen, weil sie dazu beitragen, die Beurteilung des Alkoholrisikos in die Routineversorgung zu integrieren, ein frühzeitiges Eingreifen zu fördern und die Patienten bei Bedarf zur weiteren Unterstützung an andere Leistungsanbieter zu überweisen. Da sie den Alkoholkonsum als ein gesundheitliches Problem behandeln, spielen Screenings und Kurzinterventionen eine entscheidende Rolle beim Abbau von Stigmatisierung, bei der Unterstützung von Familien und bei der Stärkung langfristiger Genesungspfade.

Mit Mythen aufräumen

Dr. Santos ist der Ansicht, dass Screenings und Kurzinterventionen das Potenzial haben, alkoholbedingte Schäden zu verringern, jedoch nur, wenn sie durch starke Systeme und Handlungskonzepte gestützt werden. „Wir brauchen Handlungskonzepte, die gesunde Entscheidungen erleichtern und die Gesundheitsfachkräfte in ihrem Handeln unterstützen“, sagt sie.

Außerhalb der Klinik verfolgt sie ihre Mission auch im Internet und sieht in den sozialen Medien ein mächtiges Instrument für die öffentliche Gesundheit. Zu Hause nimmt Dr. Santos Videos auf und bearbeitet sie, um die Gesundheitskompetenz zu fördern, in der Hoffnung, ein breiteres Publikum mit klaren, verständlichen Inhalten zu erreichen.

„Mein Ziel ist es, die Menschen mit evidenzbasierten Informationen zu erreichen, die leicht zu verstehen sind“, erklärt sie. Indem sie mit Mythen aufräumt und eine verständliche Sprache verwendet, hofft sie, den Menschen dabei zu helfen, fundiertere Entscheidungen über ihre Gesundheit zu treffen. 

Dr. Santos ist der Ansicht, dass die Bekämpfung alkoholbedingter Schäden mehr als eine medizinische Intervention erfordert – sie verlangt ein Umdenken in der Gesellschaft und einen Kulturwandel. Häufig stellt sie weitverbreitete Mythen in Frage, wie z. B. den Glauben, dass Rotwein gut für die Herzgesundheit ist, und fordert die Menschen eindringlich dazu auf, die Vorstellung von Alkohol als ein harmloses Produkt zu überdenken. 

„Selbst leichter oder täglicher Alkoholkonsum erhöht die Risiken für unsere Gesundheit – und das müssen wir auch so sagen.“

Video – Eine Veränderung der Sichtweise auf den Alkohol: Margarida steigert die Gesundheitskompetenz in Portugal [nur EN]