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Überwindung der gesundheitlichen Defizite in Portugals Haftanstalten

4 October 2024

Bei der Integration der Gesundheitsversorgung im Strafvollzug in das nationale Gesundheitssystem verfolgt Portugal ehrgeizige Ziele. Diese Initiative zielt darauf ab, den Mangel an gesundheitlicher Chancengleichheit zwischen den Häftlingen und der Allgemeinbevölkerung zu beheben und sicherzustellen, dass die Gefängnisinsassen eine ebenso hochwertige Gesundheitsversorgung erhalten wie die übrige Bevölkerung.

Beseitigung gesundheitlicher Benachteiligungen im Strafvollzug

Bisher ist die Gesundheitsversorgung in Haftanstalten in vielen Ländern, auch in Portugal, fragmentiert und wird getrennt von der nationalen Gesundheitsinfrastruktur verwaltet. Dies hat zu enormen Ungleichheiten in der Gesundheitsversorgung geführt, da die Insassen oft mit größeren gesundheitlichen Problemen konfrontiert sind als die übrige Bevölkerung, etwa aufgrund höherer Raten von Infektionskrankheiten, psychischen Gesundheitsproblemen und Drogenkonsum. Außerdem erhalten sie seltener eine rechtzeitige und angemessene Behandlung – eine Lücke, die Portugal mit dieser Integrationsmaßnahme schließen will.

„Wer im Gefängnis sitzt, sollte nur in seiner Freiheit beeinträchtigt werden  – alles anderen Bereiche seiner Menschenrechte müssen gewahrt bleiben, auch das Recht auf Gesundheit“, sagt Prof. Henrique Barros, Leiter des WHO-Kooperationszentrums für verhaltensbezogene und soziale Determinanten nichtübertragbarer Krankheiten an der Universität Porto. „Unser Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass die Gesundheit in den Gefängnissen als Bestandteil der öffentlichen Gesundheit betrachtet wird, indem alle Menschen unabhängig von ihren Lebensumständen eine gleichwertige Versorgung erhalten.“

Der Plan zielt darauf ab, einen gleichberechtigten Zugang zur Gesundheitsversorgung, einschließlich präventiver Angebote und der Behandlung chronischer Erkrankungen, zu gewährleisten und die Gesundheitsversorgung in Haftanstalten an die der Allgemeinbevölkerung anzugleichen.

Ein umfassender Plan

Portugals Bemühungen um eine Reformierung der Gesundheitsversorgung im Strafvollzug wurden von WHO/Europa durch fachliche Beratung und Förderung des politischen Dialogs nachdrücklich unterstützt. Um den Übergang zu überwachen, wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich aus Vertretern der Ministerien für Gesundheit, Justiz sowie Wissenschaft, Technologie und Hochschulbildung, aber auch anderer Interessengruppen, etwa aus der Zivilgesellschaft, zusammensetzt. Diese Gruppe entwickelte einen umfassenden Plan für Gesundheit im Strafvollzug, der sich auf sechs zentrale Säulen stützt: Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung, Krankheitsprävention, Krankheitsmanagement (einschließlich Zugänglichkeit, Aufrechterhaltung und Kontinuität der Versorgung), soziale Wiedereingliederung, Informationssysteme und Technologie sowie Forschung.

Zentrale Elemente des Plans sind:

  • Telemedizin: Die Einführung von telemedizinischen Angeboten in Haftanstalten verbessert den Zugang zur Gesundheitsversorgung, insbesondere für Personen in abgelegenen Gebieten oder mit eingeschränktem Zugang zu persönlicher ärztlicher Beratung.
  • Elektronische Patientenakten (ePA): Die Umstellung auf ePA in Haftanstalten sorgt für eine bessere Kontinuität der Versorgung, da die Patientenakten dann die betreffenden Personen von der Inhaftierung bis zur Entlassung begleiten, was eine nahtlose Verwaltung ihrer Gesundheitsdaten ermöglicht.

Politischer Wille und Beteiligung maßgeblicher Interessengruppen

Eines der besonderen Merkmale dieser Initiative ist das starke politische Engagement auf höchster staatlicher Ebene. So haben sich die Minister für Gesundheit, Justiz sowie Wissenschaft, Technologie und Hochschulbildung öffentlich für eine solche Integration ausgesprochen, und die drei Ministerien stimmen sich in ihrer Arbeit eng aufeinander ab. Dieser politische Wille hat entscheidend dazu beigetragen, den Plan voranzubringen, und dies trotz der Herausforderungen in Verbindung mit den Haushaltszuweisungen und der Neuordnung der Zuständigkeiten zwischen den Ministerien.

„Dank des Engagements der Regierung kann der Strategieplan sein volles Potenzial entfalten“, sagt Gesundheitsministerin Ana Paula Martins und unterstreicht damit den starken politischen Willen, der hinter der Initiative steht.

Eine wesentliche Erkenntnis aus dem Integrationsprozess war, wie wichtig es ist, ein breites Spektrum von Akteuren zusammenzubringen. Zu dem Plan haben Experten aus verschiedenen Bereichen – psychische Gesundheit und Drogenkonsum, Infektionskrankheiten, nichtübertragbare Krankheiten, Informationstechnologien, Zivilgesellschaft und die Lebenserfahrungen von Häftlingen (vertreten durch die Zivilgesellschaft) – beigetragen. Durch ihr kollektives Fachwissen wird sichergestellt, dass die komplexen gesundheitlichen Bedürfnisse von Häftlingen gebührend berücksichtigt werden.

Herausforderungen und künftige Schritte

Trotz des politischen Willens und des Versprechens, etwas zu unternehmen, bestehen weiter Herausforderungen. Eine Hürde, die es noch zu überwinden gilt, ist zum Beispiel die Verfügbarkeit von spezialisiertem Gesundheitspersonal, das für die besonderen Bedürfnisse von Häftlingen ausgebildet ist. Deshalb hat die Arbeitsgruppe die Notwendigkeit von Fortbildungsprogrammen für die in Haftanstalten tätigen Angehörigen der Gesundheitsberufe hervorgehoben.

Die Behandlung von psychischen Gesundheitsproblemen im Strafvollzug ist weiterhin eine vorrangige Aufgabe. Häftlinge sind häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen als die Allgemeinbevölkerung, und Portugals Gesundheitsplan für den Strafvollzug sieht konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der psychischen Gesundheitsversorgung in Haftanstalten vor.

Im Zuge der Einführung seines Gesundheitsplans für den Strafvollzug legt Portugal erheblichen Wert auf die Überwachung der Fortschritte. Die Regierung strebt eine vollständige Umsetzung des Plans bis 2030 an und will durch regelmäßige Evaluationen sicherstellen, dass die Empfehlungen des Gesundheitsplans eingehalten werden. Künftig soll das Leistungsangebot weiter verbessert werden, u. a. durch Ausweitung von Krebsvorsorgeuntersuchungen, die Verbesserung des Zugangs zu Therapien für Drogenabhängige und die Stärkung der allgemeinen Infrastruktur im Gesundheitswesen.

Menschenrechte und öffentliche Gesundheit

Im Mittelpunkt der portugiesischen Gesundheitsreform im Strafvollzug steht ein energisches Engagement für die Wahrung der Menschenrechte und der Grundsätze der öffentlichen Gesundheit. Indem Portugal sicherstellt, dass Häftlinge eine gleichwertige Versorgung erhalten wie die Allgemeinbevölkerung, gibt es anderen Ländern, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, ein eindrucksvolles Beispiel.

„Wir müssen ein System anstreben, in dem die Gesundheitsversorgung im Strafvollzug vollständig in das nationale Gesundheitssystem integriert ist, sodass das Niveau der Versorgung inner- und außerhalb der Haftanstalten gleich bleibt“, sagt Prof. Barros. 

Diese Einschätzung unterstreicht die Erkenntnis Portugals, dass die Gesundheit im Strafvollzug im Grunde genommen eine Frage der öffentlichen Gesundheit ist.

Die Situation in europäischen Haftanstalten

Insassen von Haftanstalten sind höheren gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt, u. a. durch:

  • bis zu zehnmal höhere Tuberkuloseraten und ein erhöhtes Risiko für HIV und Virushepatitis
  • niedrigere Krebsvorsorgequoten und verspätete Diagnosen
  • hohe Suizidraten und ungedeckte Bedürfnisse im Bereich der psychischen Gesundheit
  • eine alternde Bevölkerung mit unzureichenden Einrichtungen im Strafvollzug.

Was tut WHO/Europa auf diesem Gebiet?

  • Unterstützung der Integration der Gesundheitsversorgung im Strafvollzug in die nationalen Gesundheitssysteme
  • Förderung der Verbesserung der Informationssysteme sowie der Weiterqualifizierung des Gesundheitspersonals
  • Etablierung der Inhaftierung als wesentlicher Zugangspunkt zur Gesundheitsversorgung
  • Förderung der Aus- und Weiterbildung des Gesundheitspersonals.