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„Jede junge Pflegekraft will dieses Land verlassen“ – Natalia Chikovani berichtet über Herausforderungen im Pflegewesen in Georgien

13 December 2021

„Die Krankenpflege ist schon immer ein wichtiger Bestandteil meines Lebens gewesen“, erklärt Natalia Chikovani, die als Pflegekraft in einer privaten Klinik in Tiflis (Georgien) arbeitet. Natalia, 32 Jahre alt, berichtet über die bestehenden Herausforderungen im Pflegewesen in ihrem Land. Ihre Ausbildung zur Krankenschwester hat sie an einer berufsbildenden Schule absolviert, sagt aber, dass sie das meiste Wissen über die praktische Arbeit erworben habe.

„Während der 13 Jahre, in denen ich bereits als Pflegekraft in privaten Kliniken tätig bin, habe ich eine Reihe von Weiterbildungen absolviert, doch nichts ist vergleichbar mit realen Praxiserfahrungen“, erzählt sie. „Ich verdanke meine Kenntnisse und Fähigkeiten meinen Kolleginnen und Kollegen und Vorgesetzten, die mich über die Jahre ausgebildet haben.“

Die Tätigkeit als Pflegekraft „kann ein täglicher Kampf sein“

Natalia erklärt, dass der Mangel an Pflegekräften eine echte Herausforderung darstellen könne.

„Schon seit einiger Zeit wählen nur wenige junge Menschen die Krankenpflege als Berufsweg, und das bedeutet, dass wir bei der Arbeit über immer weniger Pflegekräfte verfügen.“

Viele Länder verfügen über zu wenige ausgebildete Pflegekräfte, um auf die Bedürfnisse ihrer Bevölkerung eingehen zu können. Natalia erklärt, dass einer der Gründe für diesen Mangel darin bestehe, dass die Krankenpflege als Berufsweg nicht genug Wertschätzung erfahre.

„Ich habe gesellschaftliche und kulturelle Stigmatisierung erfahren, und musste mir manchmal anhören, dass ich wohl nicht gut genug gewesen sei, um Ärztin zu werden, und stattdessen den Pflegeberuf gewählt hätte. Doch die Menschen realisieren nicht, dass dies zwei ganz unterschiedliche Berufszweige sind. Daher kann unsere Arbeit manchmal ein täglicher Kampf sein.“

Niedrige Gehälter bedeuten, dass Pflegekräfte Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen. Viele von Natalias Kollegen müssen Überstunden machen oder in mehreren Kliniken arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dies, so sagt sie, habe zu geringeren Kapazitäten geführt und könne sich negativ auf die Qualität der von Pflegekräften geleisteten Arbeit auswirken.

„Ich bin der Ansicht, dass es mehr Investitionen in die Aus- und Weiterbildung und in die Infrastruktur sowie besserer Gehälter bedarf“, fügt sie hinzu. „Dies und ein angemessenes Arbeitsumfeld sind entscheidend, um zu verhindern, dass Arbeitskräfte in besser entwickelte Länder abwandern.“

Ein Resultat der COVID-19-Pandemie sei, dass die Krankenpflege mehr in den Vordergrund gerückt und der Berufszweig in der modernen Medizin sichtbarer geworden sei, erklärt Natalia.

„Viele Menschen um uns herum haben plötzlich bemerkt, welch wichtige Rolle wir bei der Rettung von Menschenleben spielen.“

Investitionen in die Aus- und Weiterbildung von Pflegekräften und in mehr Führungskompetenz

Die Zahl der Pflegekräfte liegt in Georgien unter dem Durchschnitt in der Europäischen Region der WHO.

Während das durchschnittliche Verhältnis zwischen Ärzten und Pflegekräften in der Region bei einem Wert von 2,3 liegt, liegt dieser Wert in Georgien seit 2014 konstant bei höchstens 0,8. Das bedeutet, dass auf einen Arzt weniger als eine Pflegekraft kommt, und in den Gebirgsregionen Georgiens ist dieser Mangel sogar noch akuter.

„Die Regierung sollte in Betracht ziehen, mehr in die Aus- und Weiterbildung von Pflegekräften zu investieren“, erklärt Maia Gogashvili, Leiterin der Fakultät für Krankenpflege an der Universität von Georgien, einer der wenigen Schulen, die in Georgien einen Bachelor-Abschluss in Krankenpflege anbieten.

„Ich fürchte, dass die geringe Anzahl an jungen Menschen, die unser Programm absolvieren, verheerende Folgen für das georgische Gesundheitssystem haben werden“, fügt Maia hinzu. „Eine Maßnahme könnte sein, einen Mindestlohn für Pflegekräfte und einen Pflegeschlüssel [also ein festgelegtes Verhältnis zwischen Pflegekräften und Patienten] sowohl in öffentlichen als auch privaten Kliniken einzuführen.“

Investitionen in Pflegekräfte und die gesetzliche Förderung ihrer Autonomie könne zur Stärkung der primären Gesundheitsversorgung und zu einer Verbesserung der Gesundheitsangebote für die Bevölkerung führen, fügt Maia hinzu.

„Dies wird entscheidend sein, um eine schwere Krise zu verhindern, zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen und eine neue Generation von Pflegekräften anzuwerben.“

Das Jahr 2021 wurde von der WHO zum Internationalen Jahr der Gesundheits- und Pflegefachkräfte ausgerufen. Anlässlich des diesjährigen Welttags der allgemeinen Gesundheitsversorgung, der jedes Jahr am 12. Dezember begangen wird, stellt WHO/Europa alle Gesundheits- und Pflegefachkräfte ins Rampenlicht und fordert die Regierungen auf, das Gesundheitspersonal zu schützen und stärker in sie zu investieren.

Die Investition in Aus- und Weiterbildung, Arbeitsplätze, Angebotserbringung und Führungskompetenz von Pflegekräften wird auch durch den „Fahrplan für die Umsetzung der Globalen strategischen Leitlinien für das Pflege- und Hebammenwesen in der Europäischen Region der WHO (2021–2025)“ untermauert und steht in Einklang mit den Bemühungen zur Verwirklichung einer allgemeinen Gesundheitsversorgung und den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen.

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Der Inhalt dieses Artikels wurde am 22. Dezember 2021 geändert, da eine frühere Version fälschlicherweise auf die „Freie Universität“ verwies, obwohl die „Universität von Georgien“ gemeint war.