„Nach mehr als einem Jahr denke ich, dass es mir körperlich besser geht, aber ich fühle mich immer noch nicht annähernd so wie vorher. Ich habe viel Frustration und Wut empfunden, vor allem, wenn mich meine Reinfektion weiter zurückgeworfen hat, und mir gewünscht, dass ich die Dinge tun könnte, die ich gerne tun würde. Auch psychisch hat das alles einen hohen Tribut gefordert.“
Abbie, 28, arbeitet als Pflegekraft im John Radcliffe Hospital in Oxford (Vereinigtes Königreich). Sie infizierte sich erstmals im Januar 2021 mit COVID-19, hatte aber nur sehr leichte Symptome. Das änderte sich jedoch, als sie sich im April 2022 erneut infizierte.
„Ein paar Wochen lang fühlte ich mich wirklich schlecht, aber ich dachte: ,Oh, das geht vorbei, es wird besser werden.‘ Aber das war nicht der Fall – die Symptome hielten einfach an.“
Für Abbie war das Schlimmste die Müdigkeit, die sie als schrecklich beschreibt. Die Krankenpflege kann ein anstrengender Beruf sein, aber jetzt ist Abbie schon nach jeglicher Form von körperlicher Betätigung erschöpft. Die Ärzte nennen dies postexertionelle Malaise, und es schränkt ihre Handlungsfähigkeit stark ein. Während sie zuvor zweimal wöchentlich 10 Kilometer laufen ging, hat Abbie nun Schwierigkeiten, überhaupt arbeiten zu können.
Unterstützung durch die Arbeitgeber
Abbie hatte das Glück, verständnisvolle Arbeitgeber zu haben, die flexibel auf die Schwankungen ihres Gesundheitszustands im letzten Jahr reagiert haben.
„Ich wurde von meinen Arbeitgebern wirklich großartig unterstützt. Meine Long COVID-Erkrankung ging so weit, dass mir die Arbeit zu viel wurde und ich mich schließlich 2 Monate lang krankschreiben lassen musste. Danach kehrte ich langsam und schrittweise zur Arbeit zurück, bis ich im Dezember 2022 wieder Vollzeit arbeiten konnte. Damals habe ich mir COVID-19 zum dritten Mal eingefangen.“
Abbie erlitt einen Rückfall und war gezwungen, weitere 2,5 Monate von der Arbeit fernzubleiben. Sie versucht nun, ein zweites Mal schrittweise zurückzukehren, wobei sie geänderte Aufgaben in anderen Abteilungen wahrnimmt, die körperlich weniger anstrengend sind.
„Früher habe ich regelmäßig Nachtschichten, Wochenenden, lange 12-Stunden-Schichten und manchmal auch Extraschichten gemacht, aber so etwas könnte ich jetzt nicht mehr machen.“
Hilfe vom Oxford Post-COVID Service
Abbie wurde an den Oxford Post-COVID Service überwiesen, wo Spezialisten ihr bei der Bewältigung der Symptome helfen und zu ihrer sicheren Rückkehr an den Arbeitsplatz beitragen.
„Ich habe Online-Einzelsitzungen mit einem ihrer Kliniker, der hervorragend ist. Wir haben über die Einteilung meiner Kräfte und die Planung des Umgangs mit Müdigkeit gesprochen, was wirklich gut war. Nicht lange nach meiner Long COVID-Diagnose begann ich zudem, an einigen Online-Gruppensitzungen mit Patienten teilzunehmen, die mit ähnlichen Symptomen zu kämpfen haben. Es war großartig, andere zu treffen, die das Gleiche durchmachen, und von ihren Erfahrungen zu hören und zu wissen, dass ich nicht die Einzige bin, der es so geht.“
Ein Leben, das durch Long COVID kleiner wird
Abbie gibt zu, dass sie sich, wie viele andere Menschen auch, zuvor nicht bewusst gewesen sei, wie kräftezehrend und isolierend eine Long COVID-Erkrankung sein kann, bis sie selbst daran erkrankte. Als ihre Symptome ihren Höhepunkt erreichten, so erklärt sie, schrumpfte ihre Welt völlig zusammen, und sie wurde von einer Person, die gerne ausging und soziale Kontakte pflegte, zu einer Person, die isoliert war und allein zu Hause saß.
„Wenn man die Krankheit nicht selbst durchgemacht hat, kann man sich kein richtiges Bild davon machen, wie sehr sie das Leben beeinträchtigt, denn es sind nicht nur ein paar Wochen, in denen man sich unwohl fühlt, und dann geht es einem wieder gut. Es ist etwas, das mich seit mehr als 14 Monaten begleitet, und ich weiß noch immer nicht, wie lange es noch andauern wird. Diese Ungewissheit verbunden mit der Tatsache, dass es immer noch so wenige Antworten auf die Frage gibt, wie man am besten mit der Krankheit umgeht, kann ziemlich an die Nerven gehen.“
Trotz alledem hat Abbie es geschafft, optimistisch zu bleiben. „Meine Botschaft an andere Long COVID-Patienten ist, einfach zu versuchen, jeden Tag eine positive Einstellung zu wahren. Ich weiß, dass es wirklich schwierig sein kann, positiv zu bleiben, aber ich denke, dass man in jeder schlechten Situation etwas Positives finden kann. Man muss ein bisschen Hoffnung haben und daran glauben, dass es wieder besser wird, und das hilft einem mental, die Tage zu überstehen.“
Die Schattenpandemie
Forschung und Modellierungen deuten darauf hin, dass von denjenigen, die sich mit SARS-CoV-2 (dem Virus, das COVID-19 verursacht) infizieren, einer von zehn Long COVID entwickelt; diese Erkrankung wird definiert als das Fortbestehen oder die Entwicklung neuer Symptome drei Monate nach der Erstinfektion, wobei diese Symptome mindestens zwei Monate lang anhalten, ohne dass es eine andere Erklärung für sie gibt. Long COVID kann sich bei Menschen jeden Alters entwickeln, unabhängig vom Schweregrad der ursprünglichen Symptome und dem vorherigen Gesundheitszustand.
Es ist bekannt, dass die Wahrscheinlichkeit, an Long COVID zu erkranken, steigt, je öfter eine Person sich erneut mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert, und dass eine Reinfektion die Symptome für Menschen, die bereits an Long COVID erkrankt sind, noch verschlimmern kann.
Laut Schätzungen des Institute for Health Metrics and Evaluation an der Universität Washington in Seattle (einem Kooperationszentrum der WHO) hatten in den ersten drei Jahren der Pandemie wohl fast 36 Mio. Menschen in der gesamten Europäischen Region der WHO mit Long COVID zu kämpfen. Das bedeutet, dass etwa 1 von 30 Europäern betroffen gewesen sein könnte.
Dr. Catherine Smallwood, Leitende Notlagenbeauftragte und Leiterin des COVID-19-Programms bei WHO/Europa, erläutert: „Es gibt nach wie vor noch viel, das wir über Long COVID lernen müssen. Aus diesem Grund arbeitet WHO/Europa partnerschaftlich mit dem Patientenverband Long COVID Europe und anderen Organisationen darauf hin, dass die Stimmen von mit Long COVID lebenden Menschen in Empfehlungen gebührend berücksichtigt werden, und ruft unsere Mitgliedstaaten dazu auf, die Bereiche Anerkennung, Erforschung und Rehabilitation zu verstärken.“
Dr. Smallwood fügt hinzu: „COVID-19 wird nicht einfach verschwinden, daher müssen wir sicherstellen, dass die Menschen sich auch weiterhin so gut wie möglich vor einer Infektion schützen. Der beste Weg, um eine Long COVID-Erkrankung zu verhindern, ist letztendlich die Verhinderung einer SARS-CoV-2-Infektion bzw. Reinfektion.“