WHO/Melda Keçik
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Gesichter der WHO – Melda KEÇIK, WHO-Länderbüro Türkei

5 July 2021

Melda Keçik kam 2018 zum WHO-Länderbüros in der Türkei, wo sie als Fachreferentin für Projekte mit Flüchtlingen und Migranten zuständig ist. Die gelernte Pharmazeutin hat auch in Toxikologie promoviert und arbeitet an einer weiteren Promotion in Gesundheitswissenschaften; daneben belegt sie auch Kursmodule an der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Trotzdem sagt sie, eine ihrer wichtigsten Lehrerinnen im Leben sei ihre sechsjährige Tochter gewesen. In diesem Interview spricht Melda über ihre Inspirationen und unterstreicht, wie wichtig es ist, auf sein seelisches Wohlbefinden zu achten.

Wie sind Sie zur WHO gekommen?

Es war schon immer ein Traum von mir, für eine Organisation der Vereinten Nationen zu arbeiten, und als Angehörige eines Gesundheitsberufs war die WHO mein natürliches Ziel. Seit meiner Kindheit war es mir ein Bedürfnis, anderen Menschen auf die eine oder andere Weise zu dienen. Nach meinem Mutterschaftsurlaub wurde ich gebeten, an einem Symposium zum Thema Antibiotika teilzunehmen, den meine Abteilung beim Gesundheitsministerium, meinem damaligen Arbeitgeber, organisiert hatte. Dies mündete in gemeinsamen Projekten über antimikrobielle Resistenz mit der WHO in der Türkei. Während einer dieser Kooperationen sprach ich mit Mitarbeitern der WHO und fragte einfach: „Haben Leute wie ich, gewöhnliche Sterbliche, eine Chance, für die WHO zu arbeiten?“ Ich bekam eine sehr freundliche Antwort: – „Ja, natürlich, Sie haben die erforderliche Berufserfahrung“ – und wurde ermutigt, mich zu bewerben. Ich hätte nie geglaubt, dass daraus tatsächlich etwas wird, aber dann sah ich eines Tages die Stellenanzeige, und es klappte! Mit etwas Fleiß, Selbstvertrauen und Glück kann man alles erreichen.

Wie wirkt sich Ihre Arbeit auf andere aus?

Ich arbeite hauptsächlich mit Projekten unter dem Dach des Programms für die Gesundheit von Flüchtlingen, das vom WHO-Länderbüro in der Türkei und dem türkischen Gesundheitsministerium betrieben wird.  Wie Sie vielleicht wissen, leben in der Türkei mehr als drei Millionen syrische Flüchtlinge. Das Programm für die Gesundheit von Flüchtlingen stellt kulturell und sprachlich sensible Gesundheitsangebote für syrische Flüchtlinge bereit und ist syrischen Gesundheitsfachkräften in der Türkei bei der Integration behilflich, sodass sie ihren Beruf ausüben und gleichzeitig ihren Landsleuten helfen können. Bei einem der Projekte, an denen ich mitwirkte, wurden türkische Physiotherapeuten, Ernährungsexperten, Psychologen und Sozialarbeiter dafür engagiert, Leistungen für Flüchtlinge zu erbringen. Ich erinnere mich an ein ungefähr fünfjähriges Mädchen, das Schwierigkeiten mit dem Gebrauch ihrer Hände und Arme hatte und dessen Zustand sich dank eines von uns eingestellten Physiotherapeuten ungeheuer verbesserte. Sie ist auch in einem bewegenden Video zu sehen, das die Mitarbeiter zusammen gedreht haben. Es war ein tolles Gefühl – ein Projekt, an dem ich mitgewirkt hatte, es war fantastisch und sehr bewegend – ich musste richtig weinen! Wir hatten junge, engagierte Fachkräfte eingestellt, um speziell die anfälligen Gruppen zu versorgen. Durch das Programm erhielten sie Arbeit, und ich konnte beobachten, wie sie etwas für die Menschen tun und die Dinge zum Besseren wenden konnten. Es war jammerschade, als das Projekt zu Ende ging und wir sie nicht weiter beschäftigen konnten.

Das muss schwer gewesen sein. Wie stehen Sie solche schwierigen Zeiten durch?

Durch meine Familie. Meine Tochter ist mein innerer Kompass und eine Erinnerung daran, dass ich als Erwachsene und ihre Mutter für ihre Zukunft verantwortlich bin. Wegen meines Hintergrunds in den Gesundheitsberufen habe ich auch eine Verpflichtung, zur Gesellschaft beizutragen und ihr etwas zurückzugeben. Dieses Gefühl zieht sich durch meine Arbeit, und ich erinnere mich ständig an diese Verpflichtung und sage mir „Ja, du schaffst das! Vergiss nie, warum du hier bist.“ Meine Arbeit ist nicht irgendeine Arbeit. Wir dienen den Menschen, und wir dienen unseren Angehörigen. Ich erinnere mich an ein Gespräch, als unsere Babysitterin mir sagte, dass ich für andere arbeite und sie mit ihrer Arbeit mir gerne aushelfen wollte. Ich sagte ihr gleich: „Nein, ich arbeite für dich.“ Ich habe für das Gesundheitsministerium gearbeitet, und jetzt bin ich stolz, für die WHO arbeiten zu dürfen. Ich setze mich dafür ein, das Recht aller Menschen auf Zugang zu sicheren und bezahlbaren Arzneimitteln zu schützen, und durch die Tätigkeit für die WHO arbeitet man nicht nur für sein eigenes Land, sondern für die gesamte Welt.

Wie achten Sie auf Ihre eigene Gesundheit?

Ich war nie sportlich und habe auch nie irgendeinen Sport ausgeübt, aber, vielleicht wegen der Pandemie, habe ich mir zu meinem Geburtstag einen Pilates-Kurs gegönnt. Ich war sehr nervös, also sagte ich der Trainerin, dass ich eine totale Anfängerin sei, und fragte, ob ich ein Probetraining absolvieren könne. Sie war sehr verständnisvoll und beruhigte mich, und am Ende gefiel mir der Kurs wirklich gut. Ich bin dabei geblieben und kann die Wirkung spüren. Es war ein großer Erfolg für mich persönlich, der mir viel Selbstvertrauen gegeben hat.

Doch körperliche Gesundheit ist nur ein Teil. Allzu oft achten wir nicht ausreichend auf unsere psychische Gesundheit, und auch wenn wir viel darüber reden, so ist es doch nicht einfach, uns einzugestehen, wenn wir Hilfe brauchen. Nach der Entbindung hatte ich eine schwere postnatale Depression. Ich war in einem schlimmen Zustand und hatte echte Angstzustände, aber weil ich stillte, konnte ich keine Antidepressiva nehmen. Glücklicherweise konnte ich Psychotherapie machen, und das was großartig! Das hat mich, mein Leben und meine Sicht der Dinge verändert. Ich lernte, mit vergangenen Traumata umzugehen und fertigzuwerden und meine eigenen Reaktionen und Emotionen zu verstehen. Ich wachse an der Seite meiner Tochter; sie ist einfach großartig und kann gut mit ihren Emotionen umgehen. Ich ahme sie oft nach! Kinder sind spontan, sie haben keinen Filter und sind ganz ehrlich. Meine Tochter und ich lesen zusammen Bücher, sprechen über Gefühle und warum Menschen bestimmte Gefühle haben, und es ist schön, ihre Gedanken zu erfahren. Die Lehre besteht darin, auf sich selbst zu hören und auf die eigene psychische Gesundheit zu achten.

Danke für diese Antwort – es gibt immer noch zu viel Schweigen und Stigma um die psychische Gesundheit.

Ja. Deshalb müssen wir weiter darüber sprechen.

Zeit für einen Büchertipp.

Mein Tipp wäre „Das Drama des begabten Kindes“ von Alice Miller. Ein Buch, das ich vielleicht vor einem Jahr noch nicht hätte lesen können. Ich habe es vor zwei Jahren versucht, aber ich kam einfach nicht damit zurecht und musste aufgeben, es war wie die Büchse der Pandora, die bei mir Ängste auslöste. Doch jetzt kann ich das Buch lesen und dabei meinen Frieden finden. Außerdem ist es ein extrem interessantes Buch, das einen sehr zum Nachdenken anregt.

Mit welcher – lebenden oder historischen – Person würden Sie gerne zum Abendessen gehen?

Hm. Mit meinem Mann. Mir fällt keine prominente Person ein, mit der ich mich unbedingt unterhalten möchte. Spontan würde ich sagen: mit meinem Mann. Die Restaurants in der Türkei öffnen nach einem langen Lockdown wieder, und es wäre so schön, mit ihm Essen zu gehen.

WHO-Länderbüro Türkei

  • Zahl der Mitarbeiter: 46 (WHO-Länderbüro in Ankara) und 27 (Außenstelle in Gaziantep)
  • In Betrieb seit: 1959
  • Wichtigste Schwerpunktbereiche: Flüchtlingshilfe, Gesundheitssicherheit, psychische Gesundheit, nichtübertragbare Krankheiten und ihre Risikofaktoren
  • Das Länderbüro in der Türkei ist das älteste Länderbüro der WHO und verfügt von allen Länderbüros in der Europäischen Region über den größten Etat und Mitarbeiterstab.