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Das Hebammenwesen aus Sicht zweier Generationen: Perspektiven aus Ungarn

2 May 2024
„Es gibt nichts Schöneres, als das Neugeborene bei der ersten Begegnung an die Brust der Mutter zu legen. In diesem Moment, in dem wir die Nabelschnur durchtrennen, beginnt das Wunder zwischen Mutter und Kind, das sie für den Rest ihres Lebens verbindet“, sagt Anna, die seit über 40 Jahren Hebamme ist.

Anlässlich des Internationalen Hebammentags, der am 5. Mai begangen wird, sprachen wir mit zwei Frauen in Budapest über ihr Interesse an der Hebammenarbeit, ihre Motivation und die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind. Während sich Annas berufliche Laufbahn wohl dem Ende nähert, steht Sara gerade erst am Anfang des Berufslebens. 

Annas Perspektive

Die 62-jährige Anna Tóth arbeitet als Hebamme in der Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie der Semmelweis-Universität in Budapest. Sie arbeitet seit 1982 in diesem Beruf und hat im Laufe der letzten vier Jahrzehnte bei über 10 000 Geburten geholfen. 

Deshalb ist es vielleicht überraschend, dass Annas Weg zum Hebammenberuf keine offensichtliche Entscheidung war, sondern dadurch ausgelöst wurde, dass sie zufällig ein Lehrbuch der Geburtshilfe in die Hände bekam. 

„Das Buch war für mich so spannend wie ein Kriminalroman; ich konnte es nicht mehr aus der Hand legen, und von diesem Moment an war ich fest entschlossen! Der physiologische Aspekt der Geburt, der Vorgang selbst, all das hat mich völlig in seinen Bann gezogen.“

In Ungarn unterstützen Hebammen die Mütter vor und während der Geburt, während Nachsorgehebammen die Frauen und ihre Kinder nach der Entlassung betreuen.

„Meine Aufgabe ist es, Frauen auf die Geburt vorzubereiten“, sagt Anna. „Dazu gehören Gespräche über die verschiedenen Möglichkeiten, das Ausprobieren der bequemsten Positionen sowie das Erlernen von Atemübungen und Entspannungstechniken. Natürlich helfe ich dann auch bei der Geburt selbst, kümmere mich um eventuelle Komplikationen, sorge dafür, dass das Baby nach der Geburt normal atmet, und überwache den Gesundheitszustand von Mutter und Kind.“

Aufgrund ihres umfangreichen Wissens und ihrer Erfahrung engagiert sich Anna auch für die Ausbildung künftiger Generationen von Hebammen und Medizinstudenten. Sie demonstriert Techniken und weist auf die Anzeichen hin, auf die man achten muss, damit die Geburt wie geplant verläuft und Mutter und Kind nach der Geburt wohlauf sind. 

„Irgendwann wurde mir klar, dass ich nicht nur im Kreißsaal arbeiten will, sondern auch ausbilden und mein in 40 Jahren erworbenes Wissen weitergeben möchte“, erklärt sie. 

Deshalb vertritt sie die Interessen der Hebammen in einer Reihe von Berufsverbänden wie der Ungarischen Kammer für Gesundheitsberufe und dem Ungarischen Krankenpflegeverband, die Einfluss auf die Gesundheitspolitik nehmen und dazu beitragen, die Hebammenbetreuung in Ungarn zu verbessern. 

Saras Perspektive

Die 20-jährige Sara Szloboda ist Krankenpflegeschülerin an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Pécs. Seit Jahren hegt sie den Wunsch, mit Kleinkindern zu arbeiten, und erwägt, nach Abschluss ihres Studiums den Hebammenberuf zu ergreifen. 

„Was kann es Schöneres geben, als dabei zu helfen, ein neues Leben in die Welt zu setzen?“, sagt sie. „Ich finde es einfach großartig, wie Hebammen den Müttern ein Gefühl der Sicherheit geben und während der gesamten Schwangerschaft und Geburt für sie da sind.“

Um eine gute Hebamme zu sein, muss man nach Saras Meinung die richtige Einstellung und das richtige Temperament mitbringen. „Man wählt diesen Beruf, weil man helfen will, weil es für einen wichtig ist. Es ist auch wichtig, dass man während der ganzen Zeit ruhig, konzentriert und professionell bleibt. Und man muss freundlich sein – ein beruhigendes Lächeln kann viel bewirken!“

Sara fügt hinzu: „Wenn ich an praktischen Sitzungen mit Patienten, einschließlich Müttern und Neugeborenen, teilnehme, genieße ich es einfach, dort mein Bestes zu geben, zu lernen und zu etwas Positivem beizutragen.“

Der Hebammenberuf passt sich an und entwickelt sich

In den vier Jahrzehnten, die zwischen Anna und Sara liegen, hat Anna viele positive Veränderungen in der Einstellung der Fachwelt zu Geburt und Geburtshilfe miterlebt. Als sie in den 1980er Jahren zu arbeiten begann, gab es beispielsweise weniger Unterstützung für Frauen bei der Entbindung, und die Väter waren nicht so stark in die Geburt eingebunden wie heute. Außerdem war es damals üblich, dass eine werdende Mutter nur in einer einzigen Position entband: auf dem Rücken liegend. 

„Heute sind wir uns der Notwendigkeit, eine emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind herzustellen, viel bewusster, und wir fördern aktiv den Körperkontakt, was früher nicht der Fall war“, sagt Anna. „Wir haben auch erkannt, wie wichtig das Stillen für eine gesunde Entwicklung ist.“

Anna hebt die vielen positiven Veränderungen bei der Förderung des Stillens hervor. Sie erinnert sich daran, dass es früher üblich war, die Brust der Mutter alle zwei bis drei Stunden zu desinfizieren, was dazu führte, dass viele Neugeborene nicht von der Brust trinken wollten. Heute hat sich das radikal verbessert. 

„Wir befinden uns in einem ständigen Lernprozess. Auch wenn es manchmal schwer ist, unser Gehirn neu zu programmieren, freue ich mich, zu positiven Veränderungen für die Gesundheit von Müttern und Babys beizutragen“, fügt sie hinzu. 

Obwohl die Arbeit als Hebamme manchmal eine Herausforderung war, ist für Anna klar, warum sie so lange in diesem Beruf geblieben ist. „Ein neugeborenes Baby in den Armen zu halten, ist das Beste, was es gibt. Man kann einfach nicht anders, als über das Wunder des Lebens zu lächeln.“