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Armenuhi Poghosyan ist eine armenische Rehabilitationstherapeutin im Nationalen Zentrum für Verbrennungen und Dermatologie.
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„Die Situation ist kritisch.“ Medizinische Notfallteams (EMT) versorgen Seite an Seite mit armenischen Ärzten Flüchtlinge mit schweren Verbrennungen

1 November 2023
Am Montag, den 25. September waren Tausende Flüchtlinge aus der Region Karabach auf dem Weg nach Armenien als eine gewaltige Explosion in einem Treibstofflager über 200 Menschen tötete und über 300 Menschen schwer verletzte. Um die laufende Versorgung der überlebenden Verbrennungsopfer zu unterstützen, aktivierte WHO/Europa eine Koordinationszelle für medizinische Notfallteams (EMTCC) unter der Leitung des armenischen Gesundheitsministeriums. Auf die Behandlung von Verbrennungen spezialisierte Versorgungsteams aus mehreren Ländern trafen rasch ein und arbeiteten mit dem armenischen medizinischen Personal zusammen, um die außergewöhnlich hohe Zahl von Verbrennungspatienten von den ersten Behandlungsphasen bis hin zur Rehabilitation zu versorgen.

Das EMT aus Israel

Ein EMT aus Israel traf nach der Explosion als erstes Team vor Ort ein und blieb fast zwei Wochen lang. Dr. Shai Schul, Teamleiter des 14-köpfigen israelischen EMT erklärte zu dieser Zeit: „Das Team setzt sich aus plastischen Chirurgen, einem Anästhesisten, Pflegekräften und Spezialisten für Schmerztherapie zusammen. Wir arbeiten in vier unterschiedlichen Operationssälen.“ 

Die Pflegefachkräfte unterstützten armenische Ärzteteams bei der Versorgung von rund 250 Menschen, von denen einige schwere Verbrennungen an 70–90 % ihres Körpers erlitten hatten.

„Als sich die Explosion ereignete, schützten viele Menschen instinktiv ihr Gesicht, indem sie es mit ihren Händen bedeckten, die daraufhin schwere Verbrennungen erlitten. Andere fielen auf die Knie und versuchten wegzukriechen, wodurch sie Verbrennungen an den Beinen erlitten“, erklärte Dr. Schul.

Einige der Patienten waren Kinder.

„Wir operierten ein 1-jähriges Baby mit Verbrennungen. Es hatte keine Verbrennungen im Gesicht, weil seine Mutter oder sein Vater seinen Kopf bedeckt hatte. Alle Verbrennungen befanden sich auf seinem Rücken und an seinem Bein. Es wurde von seinen Eltern beschützt.“

Dr. Schul beschrieb, wie sein Team Tag und Nacht in den Operationssälen arbeitete, Seite an Seite mit dem armenischen Team, um voneinander zu lernen.

„Dieses Team ist daran gewöhnt, Verbrennungen zu behandeln; das ist ihr Hauptjob. Aber im größten Krankenhaus in Jerusalem behandeln sie vielleicht 1 oder 2 Fälle pro Woche. Hier haben sie einen Fall nach dem anderen. Sie führen 20 Operationen am Tag durch“, erzählte er.

B-FAST, ein EMT aus Belgien

Bert Torfs, Leiter des für medizinische Evakuierungen zuständigen Teams von B-FAST aus Belgien war ebenfalls schockiert über das Ausmaß der Verletzungen.

„Unter normalen Umständen sehen Ärzte in Belgien einmal im Monat einen derart schwer verbrannten Patienten. Aber hier sieht man 200 solcher Patienten auf einmal. Das armenische Gesundheitsministerium und das gesamte medizinische Personal leisten mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln großartige Arbeit, aber hier stoßen sie wirklich an ihre Grenzen, und das würde auch viele andere Länder, einschließlich Belgien, an ihre Grenzen bringen.“

Sein Team war speziell mit der Evakuierung von Patienten betraut. Neben Verbrennungsspezialisten und anderem medizinischen Personal sorgte ihr Managementteam dafür, dass jeder Schritt des komplexen Evakuierungsprozesses sowohl medizinisch als auch logistisch reibungslos verlief. 

„Wenn sie auf dem Flugplatz in Brüssel ankommen, wird dort ein Krankenwagen auf sie warten. Die Sanitäter im Krankenwagen werden von unseren Experten hier entsprechend instruiert, so dass die Ärzte bei der Ankunft der Patienten bereits wissen, wer sie sind und wie ihr Zustand ist. Dann werden sie ins Verbrennungszentrum gebracht“, erläuterte Bert.

Im Rahmen des Katastrophenschutzverfahrens der Europäischen Union unterstützten Bulgarien, Italien, Rumänien und Spanien weitere medizinische Evakuierungen. 

Das medizinische Team aus Italien in Armenien

Das medizinische Team ITA der italienischen Katastrophenschutzbehörde organisierte auf Ersuchen der armenischen Regierung die Entsendung eines Spezialistenteams für Verbrennungen. Das 6-köpfige Team von Fachleuten kümmert sich derzeit im medizinischen Zentrum von Eriwan um 23 Verletzte, von denen sich 5 auf der Intensivstation befinden. 

Das Team arbeitet mit den plastischen Chirurgen und Anästhesisten des Krankenhauses zusammen, beurteilt und operiert gemeinsam.

„Die Zusammenarbeit mit dem medizinischen Team vor Ort ist von entscheidender Bedeutung“, erklärte Gabriella Proietti, Leiterin des italienischen medizinischen Teams. „Die Planung der chirurgischen Aktivitäten entsprechend den verfügbaren Ressourcen ist für den Erfolg entscheidend. Gemeinsam können wir Prioritäten setzen und weitere Aktivitäten planen. Ein Beispiel dafür ist etwa die Notwendigkeit, zunächst Hauttransplantationen an den Händen und nicht an den unteren Gliedmaßen vorzunehmen, damit der Patient nach der Heilung unabhängig wird und mit dem Essen beginnen kann, was seine Genesung beschleunigt.“ 

Als das Spezialistenteam Ende Oktober abreiste, übernahmen erfahrene einheimische Ärzte den komplexen Prozess der Rekonstruktion der von den Verbrennungen betroffenen Haut.

„Die Chirurgen in Armenien sind sehr kompetent, aber aufgrund der großen Anzahl von Patienten ist die Situation kritisch, was sich auf die Ressourcen ausgewirkt hat“, fügte Gabriella Proietti hinzu.

EMT von Samaritan’s Purse

Zusätzlich brachte Samaritan’s Purse 11 Experten für die Behandlung von Verbrennungen nach Armenien, die vom Nationalen Zentrum für Verbrennungen und Dermatologie aus arbeiten, um Krankenhauskapazitäten aufzubauen und Rehabilitationsleistungen, chirurgische Leistungen und Wundversorgung anzubieten.

Sasha Thew leitete das in den Vereinigten Staaten ansässige Team von Samaritan’s Purse.

„Die armenischen Ärzte haben uns unglaublich freundlich aufgenommen. Ich weiß, dass die letzten 10 Tage für sie sehr hart waren, daher war es sehr bereichernd, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Meine Hoffnung für meine Arbeit hier ist, dass wir für diese Patienten das bestmögliche Resultat erzielen können. Zudem hoffe ich, dass wir die Kapazitäten des Gesundheitssystems ausbauen konnten, dass wir die Ärzte und Pflegekräfte mit Fachwissen über Verbrennungen unterstützen.“

Sashas Kollegin, Jessica Burger, hat die Rehabilitation von Überlebenden mit Verbrennungen unterstützt.

„Es war eine Ehre mit diesen Patienten arbeiten zu können. Auch wenn es manchmal eine geistige und körperliche Herausforderung war, so war es doch ein Privileg, die Belastung des örtlichen Gesundheitssystems zu verringern und das Leiden jedes Einzelnen, den wir versorgt haben, zu lindern“, erläuterte Jessica.

Das EMT von UK-Med aus dem Vereinigten Königreich

Mit Unterstützung des Amtes für Auswärtige Angelegenheiten, Commonwealth und Entwicklung entsandte UK-Med ein Team für die fachärztliche Versorgung, das sich an den laufenden Hilfsmaßnahmen in Armenien beteiligte. Ein kleines Team aus Chirurgen und Physiotherapeuten beteiligt sich im Mikaelyan-Krankenhaus in Eriwan an der chirurgischen und rehabilitativen Behandlung der Überlebenden.

Die WHO hat eng mit dem armenischen Gesundheitsministerium und den EMT zusammengearbeitet, um die nationalen Kapazitäten für die Rehabilitation von Verbrennungsopfern zu stärken; UK-Med und Samaritan’s Purse waren wichtige Partner bei der Durchführung eines Schulungskurses mit dem Titel „Medizinische Notfallteams: Grundlegende Schulung für Ausbilder zur Rehabilitation bei Verbrennungen“.

„Die Schulung spiegelt das Engagement des armenischen Gesundheitsministeriums wider, die Rehabilitation für Überlebende von Verbrennungen kontinuierlich zu verbessern. Ich habe es sehr genossen, mit den Teilnehmern der Schulung zusammenzuarbeiten und zu sehen, welche Fähigkeiten und welches Mitgefühl sie in ihre Arbeit einbringen“, erklärte Dr. April Gamble, Rehabilitationsleiterin bei UK-Med.

Unterstützung von Patienten auf dem langen Weg zur Genesung

Nachdem die Operation abgeschlossen ist und die Verbrennungen der Patienten zu heilen begonnen haben, benötigen sie eine intensive Rehabilitation. Armenuhi Poghosyan ist eine armenische Rehabilitationstherapeutin im Nationalen Zentrum für Verbrennungen und Dermatologie.

„Wenn Patienten die Vorteile von infolge der Rehabilitation gelinderten Schmerzen, mehr Leichtigkeit und Geschmeidigkeit bei ihren Bewegungen und mehr Behagen in ihren Gliedmaßen erleben, warten sie auf dich und rufen dich an“, erzählt sie. 

Die schwierige Realität ist, dass dies erst der Anfang des Weges zur Heilung für viele der Menschen ist, die schwere Verbrennungen erlitten haben. 

„Bei Verbrennungen ist die Rehabilitation ein langwieriger Prozess, der bis zu einem Jahr oder in manchen Fällen sogar noch länger dauern kann“, erläutert Armenuhi.

Derzeit werden noch 118 Patienten mit Verbrennungen von medizinischem Personal in acht Krankenhäusern in Eriwan versorgt. 

WHO/Europa wird die Zusammenarbeit mit der armenischen Regierung zugunsten dieser Patienten fortsetzen und die physische und psychische Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen und Aufnahmegemeinschaften im Rahmen der umfassenderen Reaktion auf die Flüchtlingskrise verbessern. 

WHO/Europa arbeitet derzeit unter Mitwirkung der Mitgliedstaaten einen Aktionsplan für medizinische Notfallteams für den Zeitraum 2024–2030 aus, um die Vorsorge und Widerstandsfähigkeit der Gesundheitssysteme für Notlagen zu stärken, indem EMT-Kapazitäten in die nationalen Handlungsrahmen integriert werden.