Azima, eine Psychologiestudentin aus Taschkent (Usbekistan), war erst sechs Jahre alt, als sie erfuhr, dass sie HIV hat. „Ich wurde zwei Monate zu früh geboren und brauchte eine Bluttransfusion. Wir wissen nicht, wie ich mich mit der Krankheit infiziert habe“, erzählt Azima.
Heute ist Azima 23 Jahre alt, verheiratet und hat ein gesundes Kind. Sie hätte nicht geglaubt, dass dies für sie in Frage käme. Nachdem sie schon in ihrer Kindheit die HIV-Diagnose erhalten hatte, glaubte sie lange Zeit, dass es ihr nicht möglich sein würde, ein gesundes Leben zu führen und eine Familie zu gründen.
Rückblickend auf ihre Kindheit sagt Azima: „Als Kind war ich oft krank. Ich bekam oft einen Ausschlag, meine Nägel fielen ab, und mein Haar wurde deutlich dünner. Vor meiner Diagnose litt ich unter vielen Symptomen, und während eines Besuchs bei einem Hautarzt schlug ein Professor vor, mich auf HIV zu testen.“ Schließlich wurde Azima an der Medizinischen Akademie Taschkent getestet und erhielt innerhalb eines Tages die HIV-Diagnose.
Diagnose mit sechs Jahren
Azima erlebte eine lange Zeit der Angst und Unruhe. Sie versuchte, mit Hilfe ihrer Familie zu verstehen, was da mit ihr geschah. Eine besondere Rolle spielte dabei ihre Großmutter, bei der sie aufwuchs. Azima erinnert sich: „Meine Familie stand unter Schock, denn wir wussten nichts von der Krankheit, und niemand in unserer Familie hatte jemals mit so etwas zu tun gehabt. Es gab viel Angst, Tränen und Unsicherheit über meine Zukunft. Ich erinnere mich, dass meine Familie immer wieder fragte: Wird sie sterben? Wird sie nicht überleben?' ... Damals habe ich nicht viel verstanden.“
Dann begann Azimas Behandlung. Zunächst wurde sie mit antiretroviralen Medikamenten behandelt, die schwere Nebenwirkungen hatten, aber nachdem sie zwei Jahre später auf andere antiretrovirale Medikamente umgestellt wurde, verbesserte sich ihr Zustand allmählich.
Wirksame Unterstützung durch eine Selbsthilfegruppe
Mit zehn Jahren wurde Azima eingeladen, im Krankenhaus des Forschungsinstituts für Virologie in Taschkent an einer Selbsthilfegruppe mit anderen Kindern teilzunehmen, die mit HIV leben. Zunächst zögerte sie, bei der Gruppe mitzumachen, doch dann wurde diese zu einem wichtigen Teil ihres Lebens, insbesondere dank der Anleitung und Fürsorge der Gruppenpsychologin.
Azima erinnert sich an ihre erste Begegnung: „Die Psychologin rief mich zu sich und fragte: ,Was weißt du über deine Diagnose?' Ich antwortete: ,Ich weiß gar nichts, ich verstehe das nicht. Als wir im Krankenhaus waren, hatte ich das Gefühl, dass ich nicht mehr lange zu leben habe – werde ich wirklich sterben?“
Die Psychologin nahm sich die Zeit, Azima zu erklären, dass die Medikamente, die sie einnahm, das Virus unterdrücken könnten und ihr ein langes und gesundes Leben ermöglichen würden. Dank der Selbsthilfegruppe schöpfte Azima wieder Hoffnung. Sie traf andere Mädchen in ihrem Alter, die ihre antiretrovirale Behandlung gut vertrugen. Der einfühlsame Ansatz der Psychologen verschafften Azima nicht nur Klarheit über ihre Diagnose, sondern trug auch dazu bei, ihre Ängste abzubauen, was die wesentliche Rolle der psychosozialen Unterstützung und psychologischen Betreuung bei der Verbesserung des Wohlbefindens von Menschen mit HIV unterstreicht.
Die Gruppe befasste sich nicht nur mit der Einhaltung der Therapie, sondern schuf auch einen sicheren Raum, in dem Ängste, Emotionen und Herausforderungen besprochen werden konnten. Für Azimas seelisches Wohlbefinden war das entscheidend. „Es gab mir Hoffnung – ich erkannte, dass die Medikamente positive Veränderungen bewirken könnten. Nachdem ich mit der Einnahme begonnen hatte, stellte ich fest, dass sich mein Zustand deutlich verbesserte. Ich begann zu glauben, dass es mir noch besser gehen würde, wenn ich weitermachte“, erinnert sich Azima. Sie nahm regelmäßig an den wöchentlichen Treffen der Gruppe teil. Zusammen mit ihrer Großmutter nahm sie auch an einem fünftägigen Kurs teil, der mit Unterstützung durch die Vereinten Nationen und die Selbsthilfegruppe organisiert wurde. Es war für beide eine augenöffnende Erfahrung.
„Wir haben erkannt, dass das Leben mit einer HIV-Diagnose nicht aufhört – man kann am Leben bleiben, man kann weitermachen, solange man seine Medikamente rechtzeitig einnimmt, sich gesund ernährt und auf sich aufpasst.“ Durch die Integration der psychosozialen Unterstützung in den Rahmen der Selbsthilfegruppe erhielten Azima und andere wie sie nicht nur medizinische Beratung, sondern auch die emotionalen Werkzeuge, die sie brauchen, um trotz ihrer Diagnose ein erfülltes Leben zu führen.
Kampf gegen die anhaltende Stigmatisierung von HIV
Obwohl Azima glaubte, einen sicheren Ort gefunden zu haben, der ihr half, mit ihrer HIV-Infektion umzugehen, erlebte sie immer noch Stigmatisierung, wenn sie anderswo ihren Status erwähnte.
Nachdem sie 2017 im Rahmen einer vom UNICEF organisierten Sensibilisierungskampagne auf einer Messe und im staatlichen Fernsehen öffentlich über ihren HIV-Status gesprochen hatte, wurde Azima von ihren Lehrern aufgefordert, nicht mehr in die Schule zu kommen, sondern fortan zu Hause zu lernen.
Damals war Azima erst 16 Jahre alt. Das bedeutete, dass sie bis zu ihrem Schulabschluss zu Hause unterrichtet werden musste. Sie schloss die neunte Klasse ab und begann noch während sie zu Hause unterrichtet wurde, in einer Restaurantküche zu arbeiten.
Sich verlieben und eine Familie gründen
Mit 17 lernte Azima den Mann kennen, der ihr Ehemann werden sollte. Er war in demselben Restaurant als Kassierer tätig. Azima befürchtete, dass er ihre Gefühle nicht erwidern würde, wenn er von ihrem Status erführe, aber ihre Großmutter ermutigte sie, offen damit umzugehen. Nachdem sie schließlich offen mit ihm gesprochen hatte, bewies ihr zukünftiger Ehemann, dass ihre Befürchtungen unbegründet waren, und versprach ihr, immer zu ihr zu stehen.
Sie heirateten und bekamen ein Kind. Azima wurde während ihrer Schwangerschaft gut informiert und wusste auch um Notwendigkeit eines Kaiserschnitts und die Medikamente, die sie einnehmen musste. Sie erinnert sich: „Durch Gottes Gnade wurde ich schwanger. Nach der Hochzeit mussten sowohl mein Mann als auch ich zahlreiche Tests machen lassen. Glücklicherweise wurde weder bei meinem Kind noch bei meinem Mann die Krankheit diagnostiziert.“
Heute lebt Azima mit ihrem Mann und ihrer Familie in Taschkent. Sie ist sich sicher, dass das, was sie im Leben erreicht hat, nur möglich wurde, weil ihr Hoffnung gegeben wurde: „Anstatt zu denken: Das war's, ich habe die Diagnose erhalten, mein Leben ist vorbei, ich werde nicht mehr lange leben, und sich von diesen Gedanken unterkriegen zu lassen, ist es wichtig, mental stark zu bleiben. Viele Menschen haben damit zu kämpfen, aber du darfst dich nicht brechen lassen.“
Für mehr Bewusstseinsbildung werben
Azima setzt sich weiterhin für eine bessere Aufklärung über HIV ein. „An Schulen und Universitäten werden oft falsche Informationen weitergegeben, weil die Lehrkräfte selbst nicht ausreichend Bescheid wissen. Es kommt entscheidend darauf an, Lehrern und Dozenten zuverlässige und genaue Informationen zur Verfügung zu stellen, damit sie diese an ihre Schüler und Studenten weitergeben können. Auch an Universitäten und bei Kampagnen rund um den Welt-Aids-Tag am 1. Dezember stehen immer noch Ängste im Vordergrund. Auf den Bannern sind oft erschreckende Bilder zu sehen.“
Azima hofft, dass sich diese Debatte verändert. „Mein größtes Ziel ist es jetzt, Psychologie zu studieren und Motivationskurse für Menschen durchzuführen, die wie ich mit dieser Krankheit leben“, sagt sie. „Ich möchte diejenigen erreichen, die vielleicht die Hoffnung auf das Leben verloren haben, und Familien, die sich nach der Diagnose von ihren Angehörigen absondern, indem sie getrenntes Geschirr benutzen und sie vom Haushalt trennen. Ich möchte in diesem Bereich zu einer hochqualifizierten Fachkraft werden und andere inspirieren und durch ihre Herausforderungen begleiten.“
Die Menschen im Mittelpunkt der Gegenmaßnahmen
Azima ist eine von über 2,6 Mio. Menschen in der Europäischen Region der WHO mit ihren 53 Mitgliedstaaten in Europa und Zentralasien, bei denen seit Beginn der Pandemie in den 1980er Jahren HIV diagnostiziert wurde.
Dank der Fortschritte bei der antiretroviralen Behandlung ist HIV in den letzten Jahrzehnten zu einer beherrschbaren chronischen Erkrankung geworden, sodass es den Betroffenen möglich ist, ein langes und gesundes Leben zu führen.
Azimas Geschichte verdeutlicht, dass Regierungen und Gesundheitsbehörden nur dann erfolgreich gegen HIV, Virushepatitis und sexuell übertragbare Infektionen vorgehen können, wenn sie bei ihren Gegenmaßnahmen die Menschen in den Mittelpunkt stellen.
In den Aktionsplänen von WHO/Europa für die Beendigung von Aids sowie der Epidemien von Virushepatitis und sexuell übertragbaren Infektionen in der Europäischen Region (2022–2030) wird die Dringlichkeit unterstrichen, die Stigmatisierung im Gesundheitswesen und in der Gesellschaft umfassender zu bekämpfen und allen, die darauf angewiesen sind, einen durchgehenden und bezahlbaren Zugang zu Behandlung und Pflege zu ermöglichen.