Verzweifelter Kampf zum Schutz der Patienten: Wie sich das Gesundheitspersonal an drei ukrainischen Krankenhäusern an die Arbeit zu Kriegszeiten angepasst hat

1 April 2022
Pressemitteilung
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„Wir haben nicht die Hoffnung verloren, wir geben nicht auf, wir unterstützen einander.“ 

Der Krieg in der Ukraine hat das dortige Gesundheitspersonal gezwungen, neue Aufgaben zu übernehmen, ihre Arbeitsmethoden anzupassen und mit Einfallsreichtum und hoher Einsatzbereitschaft den Schutz und die Behandlung der Patienten sicherzustellen. 

Olha, eine Fachärztin für Infektionskrankheiten, ist von der Behandlung von Patienten an Brennpunkten der COVID-19-Pandemie in eine Gesundheitseinrichtung in der zentralen Ukraine zurückgekehrt. 

Die Entscheidung, ihre Privatpraxis aufzugeben und sich denen zu widmen, die sie am meisten brauchen, kam, als sie die Not eines jungen Mannes erlebte, der von einer Schockwelle erfasst worden war. „Er lag ungefähr drei Tage lang im Wald. Nachdem er eingeliefert worden war, sprach er erst mal drei Tage lang nicht und versteckte sich in seinem Krankenhausbett, die Decke über den Kopf gezogen. Nach einem Elektrokardiogramm stellten wir fest, dass der junge Mann einen Herzinfarkt erlitten hatte. Die Kardiologen konnten die Diagnose nicht fassen und sagten immer wieder: Das kann doch nicht sein. Er ist erst 22.“ 

Als Olha in den sozialen Medien für ihre Dienste als Fachärztin für Infektionskrankheiten warb, erhielt sie bald bis zu 150 Nachrichten pro Tag mit Bitten um Diagnose und Behandlungsberatung bei einem breiten Spektrum von Krankheiten. Manche der Menschen, die sie kontaktieren, sind schon aus ihren Wohnorten in die zentrale Ukraine geflohen, andere sind immer noch an Orten, die stark von den Kampfhandlungen gezeichnet und von der Gesundheitsversorgung abgeschnitten sind. Olha hilft ihnen direkt und im Fernmodus, spricht mit ihnen am Telefon und überweist sie, sofern möglich, an andere Fachärzte.  
 
„In unser Krankenhaus kommen viele Vertriebene, die aus Städten wie Mariupol, Charkiw und Chernihiw geflohen sind. Ich versuche, ihnen so gut wie möglich zu helfen, egal, woran sie leiden. Am häufigsten habe ich es mit kleinen Kindern zu tun. In Luftschutzräumen atmen die Menschen Pilzsporen ein, und wenn sie chronisch krank sind, verschlechtert sich oft ihr Zustand. Manchmal kommen sie mit lange anhaltenden Erkrankungen wie Lungenentzündung, Nierenentzündung oder schweren allergischen Reaktionen an. Ich nehme sie alle an.“

Lidiya ist die Chefchirurgin an einem Krankenhaus in Kiew. In Friedenszeiten betrieb das Krankenhaus insgesamt 18 externe Kliniken, doch seit Ausbruch der Kampfhandlungen sind alle Ressourcen am Krankenhaus selbst konzentriert. Obwohl viele Angestellte aus den schwer bombardierten Gebieten um Kiew evakuiert werden mussten, ist eine Kernbelegschaft geblieben. 

„Wir behandeln überwiegend Menschen mit ganz normalen Krankheiten, Schlaganfällen und Herzinfarkten, aber auch Menschen, die sofort eine Operation brauchen. Sie werden hier stabilisiert und dann anderswohin gebracht, zur Intensivversorgung oder für weitere Operationen. Außerdem sind eine Reihe von Erwachsenen und Kindern von Freiwilligenorganisationen zur Rehabilitation nach Italien gebracht worden.“

Die Umstellung auf Notfallversorgung hat zur Folge, dass manche Krankenhäuser ihre Routineleistungen nicht mehr anbieten können; wo sie es doch noch tun, hat die Nachfrage abgenommen. 

„Wenn die Sirenen losgehen, wollen die Menschen oft sofort in die Schutzräume. Deshalb kommen sie nur noch äußerst selten zu Routineterminen, auch wenn in den letzten beiden Wochen einige Leute ihre Kinder für planmäßige Impfungen zu uns gebracht haben, weil sie Angst um ihre Gesundheit haben.“

Um die Fortsetzung der ärztlichen Versorgung von chronisch Kranken oder Personen mit neuen akuten Symptomen sicherzustellen, wurde eine Website eingerichtet, auf der sich Patienten ärztlichen Rat holen können. Außerdem wurde eine Chatgruppe eingerichtet, die schon über 35 000 Mitglieder hat, darunter viele Langzeitpatienten, die inzwischen in andere Teile der Ukraine geflohen sind. 

Trotz der Vielzahl an Herausforderungen arbeitet das Krankenhauspersonal Seite an Seite mit Freiwilligen, und man leistet gegenseitig moralische Unterstützung. „Das Personal hält weiter die Stellung und arbeitet. Sogar einige der Mitarbeiter, die geflohen sind, wollen zurückkehren und ihre Arbeit wieder aufnehmen“, erzählt Lidiya.

An einem anderen Krankenhaus in Kiew werden Erwachsene und Kinder mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen behandelt, und trotz der militärischen Offensive Russlands ist das gesamte Team geblieben und arbeitet rund um die Uhr weiter. Sie haben von der Durchführung der geplanten Operationen auf ein bis zwei Notoperationen pro Tag umgestellt.

„Wir alle haben als Team in einen Notfallmodus umgeschaltet, um Hilfe leisten zu können, wo es notwendig ist“ sagt Andriy, ein Anästhesist und Reanimateur. „Weil die Fortbewegung in der Stadt schwierig ist, haben wir beschlossen, hier zu bleiben, wenn wir gebraucht werden — wir wohnen jetzt fast hier. Im Augenblick haben wir ungefähr 80% der normalen Personalstärke, aber dank der Hilfe von so vielen Organisationen und Freiwilligen kommen wir zurecht.“

WHO unterstützt Ärzte in der Ukraine

Die WHO bemüht sich in enger Abstimmung mit dem ukrainischen Gesundheitsministerium und den zuständigen Behörden, Defizite und Lücken im nationalen Gesundheitssystem zu ermitteln und umgehend zu schließen. Sie hat in Polen ein Betriebszentrum eröffnet, eine Versorgungsleitung in die meisten ukrainischen Städte mit Hilfsgütern für Verletzte aufgebaut und mehr als 100 Tonnen an medizinischen Hilfsgütern über die Grenze in Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land geschickt. Um das schwer belastete Gesundheitspersonal in der Ukraine zu unterstützen, bemüht sich die WHO auch zusammen mit Partnerorganisationen darum, medizinische Notfallteams und Unterstützung für die Traumaversorgung zu organisieren.