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Experten fordern, Prävention und Management von Adipositas zu einer zentralen Säule der öffentlichen Gesundheit zu machen

1 April 2025
Pressemitteilung
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Adipositas muss als chronisches Problem für die Gesundheitssysteme behandelt werden – mit Maßnahmen in der Primär-, Sekundär- und Tertiärversorgung. So lautet das Fazit einer Gruppe von Experten aus den Ländern, die im Januar 2025 in Dublin an der WHO-Demonstrationsplattform für das Adipositasmanagement teilnahmen. Irland, Portugal, Slowenien und Spanien schlossen sich der von WHO/Europa und dem Europäischen Zentrum der WHO für primäre Gesundheitsversorgung gegründeten Sonderinitiative für nichtübertragbare Krankheiten und Innovation (SNI) an und hatten eine klare Botschaft: Weltweit müssen die Gesundheitssysteme der Adipositasprävention und dem Adipositasmanagement als einem Kernelement der allgemeinen Gesundheitsversorgung und der Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten Vorrang einräumen.

Adipositas ist eine fortschreitende, chronische und komplexe Erkrankung, die alle Altersgruppen und Geschlechter betrifft. Sie steht in engem Zusammenhang mit über 250 anderen Krankheiten, namentlich Diabetes, Herzkrankheit und anderen nichtübertragbaren Krankheiten. In der Europäischen Region der WHO leiden ein Viertel aller Kinder und 60 % aller Erwachsenen an Übergewicht oder Adipositas. Dies gefährdet die Erfüllung der Zielvorgabe 3.4 der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) – die Verringerung der vorzeitigen Sterblichkeit aufgrund nichtübertragbarer Krankheiten – sowie das Erreichen anderer Ziele, etwa in Bezug auf Wirtschaftswachstum und Bildung.

Angesichts der weltweit steigenden Belastung durch nichtübertragbare Krankheiten müssen wir jetzt handeln und wirksame Konzepte umsetzen. Dieser Handlungsappell steht im Einklang mit der SNI-Initiative „Wettlauf bis zur Ziellinie“, die der Erreichung der Zielvorgaben im Bereich der nichtübertragbaren Krankheiten bis 2030 dient, und erfolgt im Zuge der weltweiten Vorbereitungen auf die Vierte Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen auf hoher Ebene über die Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten im Jahr 2025, einen entscheidenden Moment für Zusagen in Bezug auf Adipositas als Priorität für das öffentliche Gesundheitswesen.

Dringlichkeit verstärkter Maßnahmen 

Auf der 75. Weltgesundheitsversammlung billigten die Länder den Beschleunigungsplan der WHO zur Beendigung der Adipositas, und 2023 brachte die WHO den Rahmen für die Leistungserbringung zur Prävention und Behandlung von Adipositas auf den Weg, einen integrierten Rahmen für Gesundheitsangebote zur Bekämpfung der Adipositas, der die Länder bei der Ausweitung des Zugangs zu entsprechenden Leistungen unterstützen soll. Dieser Rahmen setzt vor allem auf eine Verflechtung von Adipositasprävention und -behandlung im gesamten Gesundheitssystem – von der kommunalen und primären Gesundheitsversorgung bis hin zu fachärztlichen Leistungen – und auf die Einführung eines Lebensverlaufansatzes für die Versorgung chronisch Kranker.

Die Demonstrationsplattform für Adipositas in Irland hat gezeigt, wie ein nationales Versorgungsmodell praktische, skalierbare Lösungen – mit Koordinierung multidisziplinärer Teams, Personalaufstockung und Optimierung der Behandlung – innerhalb des bestehenden Gesundheitssystems organisieren kann. Diese Erfahrungen zeigen, dass eine wirksame Adipositasbehandlung auf allen Versorgungsebenen möglich ist, wenn sie durch politischen Willen, eine feste Politiksteuerung sowie eine ressortübergreifende Zusammenarbeit flankiert wird.

Die Behandlung der Adipositas ist äußerst komplex und auf gesellschaftlicher Ebene kostenintensiv. Die Demonstrationsplattform für Adipositas in Irland hat verdeutlicht, wie wichtig es ist, sich weiterhin darauf zu konzentrieren, das adipogene Umfeld deutlich zu verändern, das die Gewichtszunahme fördert und eine Abnahme erschwert. Zu den wichtigsten Einflussfaktoren gehören der leichte Zugang zu ungesunden Lebensmitteln, die Förderung eines sitzenden Lebensstils, schädliche Vermarktungspraktiken und vieles mehr. 

Zu den dringend erforderlichen Maßnahmen gehören:

  • Stärkung der multidisziplinären Modelle der Adipositasversorgung: Einbindung von Adipositasbehandlung und -management in die primäre Gesundheitsversorgung und in die Überweisungssysteme. Einrichtung multidisziplinärer Teams (aus Ärzten, Ernährungsberatern, Pflegekräften, Psychologen und Physiotherapeuten), die eine umfassende, evidenzbasierte Behandlung und Unterstützung für Menschen mit Adipositas anbieten. Gewährleistung, dass die Versorgungspfade Leistungen der primären, sekundären und tertiären Gesundheitsversorgung umfassen, sodass die Patienten von der Prävention bis zur fachärztlichen Versorgung kontinuierlich unterstützt werden. Wirksame Modelle sollten in allen Ländern ausgeweitet und angepasst werden. So hat Portugal 2023 ein Gesetz verabschiedet, in dem die Einführung eines integrierten Versorgungsmodells für die Prävention und Behandlung von Adipositas im nationalen Gesundheitssystem festgelegt wird, das sich an dem Rahmen der WHO für die Leistungserbringung zur Prävention und Behandlung von Adipositas orientiert. 
  • Einführung von Maßnahmen zur Bekämpfung von kommerziellen Determinanten und Interessenkonflikten (auch in Verbindung mit der pharmazeutischen Industrie) sowie des Ernährungsumfelds: Einführung und Durchsetzung strenger Handlungskonzepte, die das Ernährungsumfeld zugunsten der Gesundheit neugestalten. Dazu gehören die Einschränkung der digitalen und traditionellen Vermarktung ungesunder Lebensmittel, die Einführung einer leicht verständlichen Nährwertkennzeichnung auf der Vorderseite von Verpackungen, die Vorschrift, Lebensmittel so zu reformulieren, dass sie weniger Salz, Zucker und ungesunde Fette enthalten, und der Einsatz steuerpolitischer Maßnahmen als negativer Anreiz für die Herstellung fett-, salz- und zuckerreicher Produkte und als positiver Anreiz für eine gesündere Reformulierung. Ein besonderes Augenmerk sollte auf die kommerziellen Determinanten in digitalen Räumen gelegt werden, namentlich auf Einhaltung von Bildschirmzeiten und die Exposition gegenüber gewissen Inhalten, da Kinder und Jugendliche immer mehr Zeit online verbringen. Diese Maßnahmen zur Förderung von Wohlbefinden sollten klar definiert werden, und die Beteiligung der Gesellschaft sollte in die entsprechenden Maßnahmen integriert werden. Außerdem sollten Programme zur Ernährungserziehung mit gesetzlichen Maßnahmen zur Regelung von Werbung abgestimmt werden, um eine Übereinstimmung zwischen den Rechtsvorschriften und den von Bildungseinrichtungen vermittelten Botschaften zu gewährleisten. So ist es beispielsweise Portugal gelungen, verbindliche Beschränkungen für die Vermarktung von Lebensmitteln an Kinder einzuführen. Eine Verstärkung von Botschaften über Ressortgrenzen hinweg wird ihre Wirksamkeit deutlich erhöhen. 
  • Ausbau von Frühinterventions- und Präventionsprogrammen: Investitionen in Präventionsprogramme für den gesamten Lebensverlauf mit besonderem Schwerpunkt auf Kindern, Jugendlichen und Risikogruppen. Maßnahmen für frühe Lebensphasen sind von wesentlicher Bedeutung und reichen von der Förderung gesunder Ernährung (z. B. Schulobstprogramme der Europäischen Union) und Bewegungsförderung in Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen (z. B. Slofit-Initiative in Slowenien) bis hin zur Unterstützung bestimmter Lebensgewohnheiten innerhalb der Familie. Diese Maßnahmen tragen dazu bei, dass Kinder eine bestmögliche Chance haben, ein gesundes Gewicht zu erreichen und zu halten, wenn sie älter werden. Kommunale Programme sollten sich an gefährdete Gruppen und Risikogruppen richten und ihnen kulturell angemessene Ratschläge in Bezug auf Ernährung und Bewegung geben. Präventionsangebote wie Ernährungs- und Bewegungsberatung, psychologische Betreuung und Reihenuntersuchungen auf Adipositas sollten in die routinemäßige primäre Gesundheitsversorgung integriert und über multidisziplinäre Teams angeboten werden. Durch frühzeitiges Eingreifen können wir die Adipositas stoppen, bevor sie sich entwickelt oder zumindest bevor schwere Komplikationen auftreten.
  • Investieren in die Ausbildung von Arbeitskräften und in Initiativen gegen Stigmatisierung: Stärkung der Fähigkeit des Gesundheitspersonals, sich unvoreingenommen mit Adipositas zu befassen, insbesondere mit sarkopenischer Adipositas, d. h. dem Nebeneinander von geringer Muskelfunktion und -masse und übermäßigem Körpergewicht. Aufnahme der Aufklärung und Schulung in Bezug auf Adipositas in die Lehrpläne für Gesundheits- und Pflegeberufe und andere Bereiche des Gesundheitswesens sowie kontinuierliche berufliche Weiterbildung im Bereich Adipositasmanagement, u. a. durch Vermittlung von Fachwissen über klinische Ernährung, Kinesiologie, Psychologie und Schlafverhalten. So hat das irische Gesundheitssystem Schulungen für Medizin- und Physiotherapiestudenten zum Thema Adipositas eingeführt, die seit 2022 mehr als 3000 aktuelle und künftige Gesundheitsfachkräfte durchlaufen haben. Ähnliche Investitionen sind weltweit erforderlich, damit die Leistungserbringer an vorderster Linie eine respektvolle und wirksame Versorgung leisten können. Die Verlagerung des Schwerpunkts von Adipositas auf überschüssiges Körperfett durch Messungen der Körperzusammensetzung kann zur Bekämpfung der Stigmatisierung beitragen. Parallel dazu sollten öffentliche Gesundheitskampagnen durchgeführt werden, um eine Stigmatisierung von Übergewicht zu verringern und das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Adipositas eine chronische Erkrankung ist, die Unterstützung erfordert. Die Bekämpfung der Stigmatisierung wird sich positiv auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen auswirken und dafür sorgen, dass sich alle Menschen bei der Inanspruchnahme von Leistungen für Adipositas willkommen und unterstützt fühlen.

Eine globale Priorität – Zeit zum Handeln

Wir fordern Regierungen, politische Entscheidungsträger und Gesundheitsorganisationen in allen Ländern dringend auf, sich zu diesen Maßnahmen zu verpflichten und Adipositasprävention und -management zu einer zentralen Säule des öffentlichen Gesundheitswesens zu machen. Um über die guten Absichten hinaus auch eine tatsächliche Umsetzung zu gewährleisten, ist eine Koordinierung mit anderen Ministerien und Verwaltungen unverzichtbar, wie es das spanische Modell mit seinem nationalen Aktionsplan zur Adipositasprävention getan hat. Die menschlichen und wirtschaftlichen Kosten der Untätigkeit sind zu hoch, doch wenn wir jetzt in den Gesundheitssystemen umfassende Maßnahmen ergreifen, können wir Leben retten, die Lebensqualität von Einzelpersonen, Familien, Gemeinschaften und Nationen verbessern und unseren gemeinsamen SDG-Zielen näher kommen.

Im Vorfeld der bevorstehenden Tagung der Vereinten Nationen zum Thema nichtübertragbare Krankheiten sollten wir unsere Entschlossenheit bekräftigen, der Adipositas durch energischere Maßnahmen zur Förderung des Wohlbefindens in allen Bereichen der Gesellschaft, und namentlich durch leistungsfähigere Gesundheitssysteme, Einhalt zu gebieten. Die Welt erwartet ein Führungssignal – und es ist jetzt an der Zeit, die Maßnahmen zur Bekämpfung von Adipositas zu forcieren.