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85% der weiblichen Jugendlichen bewegen sich nicht genügend: neue Studie der WHO verdeutlicht Handlungsbedarf

4 March 2022
Pressemitteilung
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Heranwachsende Mädchen bewegen sich nicht genügend. Das Problem ist weltweit auf dem Vormarsch und kann ernste Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden haben. Eine neue Studie mit dem Titel „Behindernde und begünstigende Faktoren für die Beteiligung heranwachsender Mädchen an sportlichen Aktivitäten“ kommt zu erfreulichen Ergebnissen: Es gibt konkrete Maßnahmen, um diese Situation zu verändern. 

Mädchen wollen Konkurrenzsituationen vermeiden


Matilde, eine Jugendliche aus Portugal, hat in ihrer Kindheit immer mehrere Sportarten betrieben: Ballett, Karate, Schwimmen und Volleyball. Aber jetzt, mit 16, ist sie nicht mehr sportlich aktiv, „hauptsächlich, weil ich nicht genug Zeit und nicht genug Unterstützung von Freundinnen habe“, sagt sie.

„Ältere Mädchen hören mit Sport auf, weil Unterricht und andere schulische Aktivitäten sie zu sehr beanspruchen und wir uns dann andere Aktivitäten suchen, die weniger Einsatz und Motivation erfordern“, fügt sie hinzu. „Die meisten Mädchen in diesem Alter wollen Konkurrenzverhalten definitiv vermeiden, während es bei Jungen sehr stark präsent ist.“

Teilnahme von Mädchen an Bewegung nimmt mit zunehmendem Alter ab


Eine umfassende Studie der WHO über die Beteiligung von Mädchen in der Altersgruppe von 10 bis 19 Jahren an sportlichen Aktivitäten kam zu dem Ergebnis, dass dringender Handlungsbedarf besteht, um das Wohlergehen der gegenwärtigen Generation junger Menschen zu schützen und ihre langfristige Gesundheit zu erhalten.

„Weltweit erreichen etwa 85% aller Mädchen nicht das von der WHO empfohlene Mindestmaß von 60 Minuten moderater bis energischer körperlicher Betätigung pro Tag“, erklärt Stephen Whiting, der als Fachreferent beim Europäischen Büro der WHO für die Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten einer der Autoren der Studie war. „Bei Jungen sind es ca. 78%. Die Teilnahme von Mädchen an Sport und Bewegung nimmt während des Jugendalters ab.“ 

Bewegung für Jugendliche: Selbstwertgefühl und positive kognitive Wirkung 


Regelmäßige Bewegung hat bekanntermaßen eine positive Wirkung im Hinblick auf die Prävention und Bekämpfung von nichtübertragbaren Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes und Depressionen sowie die Senkung der Gesamtsterblichkeit und der Gefahr eines vorzeitigen Todes. Bei Kindern und Jugendlichen hat ausreichende Bewegung auch positive Auswirkungen auf kognitive Entwicklung, motorische Fähigkeiten, die Gesundheit des Muskel-Skelett-Apparats sowie Selbstwertgefühl, soziale Einbindung und allgemeines Wohlbefinden.

Bewegung fördern durch städtische Infrastrukturen


„Es gab große Veränderungen, als wir von den USA nach Schweden zogen“, erzählt Sebastian Johnson-Cadwell, ein Vater dreier Kinder, der in der Nähe von Malmö lebt. „In Los Angeles geht man vom Haus zum Auto und fährt dann ins Büro oder in die Schule und zurück. Keiner denkt an öffentliche Verkehrsmittel. Hier ist es so: Wenn man den Schulbus nimmt, muss man an beiden Enden des Schulwegs fünf bis zehn Minuten zu Fuß gehen. Die öffentliche Infrastruktur trägt auf jeden Fall zur Mobilität bei, indem man sich zu Fuß fortbewegt.“ 

An Orten, an denen Eltern ihre Kinder überwiegend mit dem Auto zur Schule bringen, sollten politische Entscheidungsträger eine Gestaltung ihrer Städte im Sinne der Förderung aktiver Fortbewegung in Erwägung ziehen.
„Die Sicherheit und Attraktivität der Umgebung gehört erwiesenermaßen zu den wichtigsten Faktoren, die darüber entscheiden, ob heranwachsende Mädchen körperlich aktiv sind“, sagt Stephen Whiting.

Bewegung in der Schule: mehr Unterstützung benötigt


„In ihrer frühen Jugend spielte sie zum Beispiel regelmäßig innebandy – Hallenhockey, ein schwedischer Nationalsport“, erzählt Johnson-Cadwell über seine 17-jährige Tochter. „Aber jetzt ist sie älter. Und deshalb nimmt sie weniger an Gruppenaktivitäten teil. Wir gehen ein paarmal am Tag mit dem Hund spazieren, und sie kommt oft mit. Aber ansonsten hat sie nichts mit Sport zu tun, außer in der Schule.“

Aus diesem Grund zählt die WHO zu den wichtigsten Bereichen mit Handlungsbedarf nicht nur Veränderungen an schulischen Lehrplänen, sondern auch die Bestimmung von Bewegungsmöglichkeiten vor, während und nach dem Schultag.

Stephen Whiting hebt hervor, dass sich „mit gesamtschulischen Ansätzen, die den Lehrplan mit dem schulischen Umfeld insgesamt und mit kommunalen Angeboten verknüpfen, die Beteiligung weiblicher Jugendlicher erhöhen lässt.“

Dieser Ansatz sollte auch auf mehr Schulungen für Lehrer ausgeweitet werden und auch die Beteiligung von Familienmitgliedern ermöglichen. 

Barrieren beseitigen


WHO/Europa hat gerade das Faktenblatt „Behindernde und begünstigende Faktoren für die Beteiligung heranwachsender Mädchen an sportlichen Aktivitäten“ veröffentlicht, in dem die Ergebnisse der Studie zusammengefasst und Handlungsfelder bestimmt werden, die sich am Europäischen Arbeitsprogramm 2020–2025 (EPW) orientieren. 

Zur Erhöhung der Beteiligung weiblicher Jugendlicher an Bewegung und Sport werden evidenzbasierte Maßnahmen benötigt, die auch geschlechtersensible Aspekte berücksichtigen. Diese Maßnahmen können bei heranwachsenden Mädchen die Barrieren für die Bewegung beseitigen – Einflussfaktoren wie Zeitmangel, vermeintlich fehlende Sportbegabung und Sorgen über die Sicherheit der Nachbarschaft.

In dem Faktenblatt werden eine Vielzahl begünstigender Faktoren genannt, die dem Rückgang von Bewegung bei Mädchen während der Pubertät entgegenwirken können – von der Förderung sozialer Chancen zur Teilnahme über die Möglichkeit zur Gewichtsabnahme bis zu Berichten in den Medien über sich verändernde gesellschaftliche Normen – sodass guter Grund zu der Hoffnung besteht, dass sich dieser langfristige Trend umkehren lässt.