Neben ihrer täglichen Aufgabe, Säuglinge sicher auf die Welt zu bringen, sammelt eine Gruppe polnischer Hebammen auch die nötigsten Dinge für den Lebensbedarf von ukrainischen Frauen, die allein zur Entbindung ins Krankenhaus kommen.
„Es ist eine kleine Geste, die hoffentlich für einen Augenblick Licht bringt“, sagt Martyna Grygiel-Kaczmarek, die am Sankt-Sophia-Krankenhaus in der polnischen Hauptstadt Warschau als Hebamme arbeitet.
Anlässlich des Internationalen Hebammentages am 5. Mai erinnert WHO/Europa an die Hebammen in allen Teilen der Ukraine und in ihren Nachbarländern, die weiterhin Mütter auf der Flucht vor Krieg mit lebenswichtigen Leistungen versorgen.
In der Geschichte der Menschheit haben Hebammen stets Frauen in der besonders anfälligen Situation während der Entbindung beigestanden und ihnen dabei geholfen, der Welt neues Leben zu schenken.
Am Sankt-Sophia-Krankenhaus hilft Martyna Frauen, ihre Kinder an einem, wie sie sagt, idealen Ort für die Geburt zur Welt zu bringen. Inzwischen müssen die Hebammen aufgrund des Krieges in der Ukraine zunehmend ukrainische Mütter und Neugeborene
versorgen.
Neben ihrer Arbeit auf der Hebammenstation ist Martyna auch für eine örtliche Freiwilligenorganisation tätig, die Geburts-Kits zusammenstellen und an Frauen in der Ukraine schicken, die ihre Kinder möglicherweise in einem Luftschutzbunker
oder Keller zur Welt bringen müssen. Diese Geburts-Kits enthalten eine Anleitung für Personen ohne medizinische Erfahrung, wie sie einer Frau bei der Geburt helfen können.
Normalisierung der Geburt
Das Medizinische Zentrum „Żelazna“ am Sankt-Sophia-Krankenhaus wurde 2012 als erste von Hebammen geleitete Geburtsstation an einem Krankenhaus in Polen eröffnet. Hier verfügt Martyna über ein hohes Maß an Selbständigkeit:
„Meine Arbeit auf der Hebammenstation ist ziemlich selbständig“, erzählt sie. „Ich arbeite gern hier, weil ich entscheiden kann, ob eine Frau in der Lage ist, bei uns auf der Station zu entbinden oder nicht. Außerdem
kann ich sie während der gesamten Geburt unterstützen und mich dann um das Neugeborene kümmern.“
Martyna ist sich aber im Klaren darüber, dass die Unabhängigkeit, die sie an diesem von Hebammen geleiteten Zentrum genießt, in Polen einzigartig ist.
Wie in vielen anderen Ländern weltweit ist die Versorgung von Müttern auch in Polen in hohem Maße medikalisiert und durch relativ hohe Raten ärztlicher Interventionen und niedrige Raten spontaner vaginaler Geburten gekennzeichnet.
Die vorgeburtliche Versorgung erfolgt nahezu ausschließlich durch Fachärzte für Geburtshilfe oder Gynäkologie, was oft unnötig kostspielig ist und nicht immer eine umfassende Versorgung der Schwangeren ermöglicht. Eine
übermäßige Medikalisierung der Geburt führt auch zu höheren Raten medikalisierter Interventionen, als vielleicht gerechtfertigt ist.
Martynas Kolleginnen, die an anderen Orten als Hebammen tätig sind, haben es erlebt, dass schwangere Frauen in eine Konfliktsituation gerieten, in der sie „nicht selbst über den Entbindungsprozess entscheiden können“, erklärt
sie.
Das Sankt-Sophia-Krankenhaus kann viele Erfolge bei der „Normalisierung“ der Geburt vorweisen, bei der die Hebammen immer in der Nähe der Schwangeren sind und bereit stehen, um sie zu unterstützen und zu versorgen. „Manchmal
ist es für neue Ärzte – die mit diesem Ansatz bei der Entbindung nicht vertraut sind – schwierig zu verstehen, warum Hebammen an diesem Krankenhaus so wichtig sind“, erklärt sie.
Trotz der Unterstützung durch die Ärzte unter ihren Kollegen für die Arbeit der Hebammen vertrauen die meisten Frauen bei Schwangerschaft und Geburt den Ärzten immer noch mehr als den Hebammen. „Wir haben noch viel Arbeit vor
uns, wenn wir die Frauen davon überzeugen wollen, dass eine ausgebildete und staatlich geprüfte Hebamme die richtige Person zu ihrer Unterstützung während der Schwangerschaft und bei der Geburt ist“, sagt Martyna.
Idealer Ort, um ein Kind zur Welt zu bringen
Seit 2011 wurden in Polen mehrere Gesetze und Vorschriften erlassen, die es Hebammen erlauben, Frauen vor, während und nach der Geburt unabhängig zu versorgen. 2020 hat das Gesundheitsministerium Termine bei Hebammen zu einer garantierten und
staatlich finanzierten Leistung im Rahmen der primären Gesundheitsversorgung gemacht.
Inzwischen finden etwa 10% aller Geburten am Sankt-Sophia-Krankenhaus auf der Hebammenstation statt. Die von Hebammen geleitete Versorgung folgt den Grundsätzen einer natürlichen Geburt ohne zusätzliches Oxytocin und richtet sich nach den
Abständen zwischen den Wehen.
„Natürlich muss eine Frau vollkommen gesund sein, um hierher zu kommen“, erklärt Martyna. „Aber sie kann hier ihren Partner zur Unterstützung mitbringen, und die Hebamme ist die ganze Zeit dabei, bis das Kind da ist. Es
ist ein sehr schöner und ruhiger Ort – eigentlich ideal, um ein Kind auf die Welt zu bringen.“