Im Krieg erlittene Verletzungen können zu verheerenden und lang anhaltenden körperlichen und psychischen Komplikationen führen. Um diese Auswirkungen zu minimieren und eine stetige Erholung zu fördern, ist es wichtig, so früh wie möglich mit der Rehabilitationsbehandlung zu beginnen. In der Ukraine war der Bedarf an Rehabilitation wohl noch nie so groß wie heute.
Steigender Bedarf an Rehabilitation
Rehabilitation trägt dazu bei, Menschen im Alltag so unabhängig wie möglich zu machen. Sie ermöglicht die Teilhabe an Bildung, Arbeit und Freizeit und an sinnvollen Tätigkeiten wie der Versorgung von Angehörigen. 2019 hätte die Hälfte der ukrainischen Bevölkerung von Rehabilitationsleistungen profitieren können, eine Zahl, die schon damals als zu niedrig eingeschätzt wurde, da sie auf nichtübertragbare Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes bezogen war. Die COVID-19-Pandemie und der anhaltende Krieg haben den Rehabilitationsbedarf des Landes enorm erhöht.
„Der Krieg hat den Bedarf an Rehabilitationsleistungen erhöht, aber auch die Schwierigkeiten beim Zugang zu diesen Angeboten“, erklärte Dr. Satish Mishra, Fachreferent im Referat Behinderung, Rehabilitation, Palliativversorgung und Langzeitpflege beim WHO-Regionalbüro für Europa, anlässlich der Eröffnung einer von WHO/Europa organisierten Online-Veranstaltung am 7. März. „Zu den Hindernissen, die wir gesehen haben, gehören gezielte Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, weniger verfügbares Gesundheitspersonal aufgrund von Vertreibung, eine Beeinträchtigung der öffentlichen Verkehrsmittel, eine Unterbrechung von Versorgungsketten und Stromengpässe. Doch trotz dieser Herausforderungen finden Gesundheitsbehörden und Partner wie die WHO Wege, um die Rehabilitationsbemühungen landesweit zu verstärken“.
WHO/Europa unterstützt die Entwicklung von Rehabilitationsangeboten in der Ukraine und fördert den Zugang der ukrainischen Bürger zu assistiven Technologien und behindertengerechten Angeboten im eigenen Land und in den Nachbarländern. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit maßgeblichen Ministerien und internationalen Partnern.
Modernisierung der Rehabilitationsmaßnahmen
Die Ukraine hatte bereits Jahre vor dem Einmarsch der Russischen Föderation am 24. Februar 2022 mit dem Aufbau eines modernen und effektiven Rehabilitationswesens begonnen und die Reformen im Gesundheitswesen beschleunigt.
Der Krieg hat diesen Prozess vor neue Herausforderungen gestellt, aber nicht aufgehalten, stellte Iuliia Sokolovska, Stellvertretende Leiterin des Präsidialbüros der Ukraine, fest. „Alle verletzten Bürger erhalten im Krankenhaus unmittelbar nach chirurgischen oder anderen Eingriffen Rehabilitationshilfe unter Einbeziehung multidisziplinärer Teams“, sagte sie und wies auf die enorme Komplexität von Amputationen und die Bedeutung von Hilfstechnologien hin, die die WHO in Zusammenarbeit mit ATscale, der globalen Partnerschaft für assistive Technologien, in das Land liefert. „Der Wiederaufbau der Ukraine erfordert in erster Linie die Wiederherstellung und Weiterentwicklung des Humankapitals“, so Sokolovskas Fazit.
Im Juli 2022 führten Experten der WHO eine fachliche Mission in die Ukraine durch, um die Situation und den Bedarf an Rehabilitations- und Hilfstechnologien in dem Land genauer zu bewerten, auch für Menschen mit Behinderungen.
Das ukrainische Gesundheitsministerium und die WHO arbeiten seit 2015, nach der ersten Eskalation des Konflikts mit der Russischen Föderation, strategisch auf dem Gebiet der Rehabilitation zusammen. In seinen Bemerkungen auf der Tagung am 7. März wies Gesundheitsminister Viktor Liashko auf die Wirkung dieser Arbeit hin, etwa die Verabschiedung des Gesetzes über die Rehabilitation im Gesundheitswesen im Jahr 2020, das den Schwerpunkt auf die Rehabilitation ab dem Beginn einer akuten Erkrankung legt.
In den letzten Jahren wurden in der Ukraine neue Rehabilitationsberufe eingeführt: Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und Sprachtherapeuten. Die einzigartigen Fähigkeiten dieser Spezialisten sind für die Behandlung von Patienten mit komplexen Traumata wie traumatischen Hirnverletzungen oder Rückenmarksverletzungen unverzichtbar. Rehabilitationsexperten erhalten eine umfassende Ausbildung und Betreuung durch internationale Experten, unter anderem in einem von der WHO unterstützten Zentrum in Rivne.
Resilienz in der Gesundheitsversorgung
Eine unzureichende Rehabilitation kann verheerende Folgen haben und zu geistigem und körperlichem Verfall sowie zur Ausgrenzung aus der Gesellschaft führen, doch das ukrainische Gesundheitssystem bleibt auch nach weit über 800 Angriffen auf das Gesundheitswesen weiter widerstandsfähig, so Dr. Jarno Habicht, Repräsentant der WHO in der Ukraine. „Nach aktuellem Stand hat die WHO mehr als 4000 Menschen in mehr als 25 Einrichtungen mit Rehabilitationsleistungen unterstützt“, sagte er und dankte den Mitarbeitern des Gesundheitswesens im ganzen Land. „Wir müssen gleichzeitig an der Soforthilfe, am Wiederaufbau und an den Reformen arbeiten.“
Rehabilitation ist ein wesentlicher Bestandteil einer allgemeinen Gesundheitsversorgung und der Notfallmaßnahmen. WHO/Europa unterstützt die Rehabilitationsbemühungen in der Ukraine zusammen mit vielen Partnern und Gebern wie der Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung, dem Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, der Partnerschaft der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, der Generaldirektion für Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe in der Europäischen Union, dem britischen Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Commonwealth und Entwicklung und dem norwegischen Außenministerium. Diese Arbeit wird auch durch den Handlungsrahmen der WHO zur Verwirklichung eines Höchstmaßes an Gesundheit für Menschen mit Behinderungen in der Europäischen Region unterstützt.