Enxhi Durmishaj ist 29 Jahre alt und arbeitet in der Verwaltung des Mutter-Teresa-Krankenhauses, einem großen öffentlichen Krankenhaus in Tirana, der Hauptstadt Albaniens. Rudina Çopa ist 33 und beaufsichtigt die Arbeit des für sanitäre Einrichtungen und die Abfallwirtschaft zuständigen Teams im Regionalen Krankenhaus von Durres im Westen Albaniens. Beide Frauen sind gegen COVID-19 geimpft und haben die ersten beiden Impfdosen sowie jeweils eine Auffrischungsimpfung erhalten.
Warum haben sie sich impfen lassen? Frau Durmishaj erläutert: „Ich bin der Ansicht, dass Impfungen den effektivsten Schutz vor COVID-19 darstellen. Ich bin von Impfungen und ihrer Wirksamkeit überzeugt. In Albanien ist das Impfprogramm eines der Dinge, auf die wir besonders stolz sind. Es ist eine der am stärksten konsolidierten Interventionen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit.“
„Ich habe mich impfen lassen, da COVID-19 mir zunehmend Angst gemacht hat und Menschen meines Alters begannen, schwer krank zu werden und zu sterben“, sagt Frau Çopa. „Zudem bin ich der Ansicht, dass die Wissenschaftler fantastische Arbeit geleistet haben, um uns diesen Impfstoff zu ermöglichen.“
Die Erfahrungen dieser jungen weiblichen Gesundheitsfachkräfte mit der COVID-19-Impfung und ihre Haltung zu den Impfungen, insbesondere zu Auffrischungsimpfungen, sind jedoch nicht repräsentativ für viele ihrer Fachkollegen.
Einer aktuellen Studie aus Albanien zufolge hatten mit Stand von Juni 2022 zwar fast 90 % der Gesundheitsfachkräfte die ersten beiden Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten, aber nur weniger als ein Fünftel (rund 19 %) eine Auffrischungsdosis. Unter jüngeren Gesundheitsfachkräften (unter 35 Jahren), weiblichen Gesundheitsfachkräften sowie Pflegekräften, Hebammen, Hilfspersonal und Verwaltungskräften fiel die Inanspruchnahme von Auffrischungsimpfungen sogar noch geringer aus.
Und zwar trotz der vorhandenen Evidenz, dass Auffrischungsimpfungen Infektionen und einen besonders schweren Krankheitsverlauf bei COVID-19 verhindern können, und der Tatsache, dass nichtärztliche Gesundheitsfachkräfte, die an der Studie teilnahmen, sich in den ersten 18 Monaten der Pandemie häufiger mit COVID-19 ansteckten als Ärzte.
„Viele meiner Kollegen sind sehr zögerlich bei der Inanspruchnahme von COVID-19-Auffrischungsimpfungen“, gesteht Frau Durmishaj, die zusammen mit Frau Çopa an der Studie teilnahm. „Ich habe sie dazu ermutigt, sich die Auffrischungsdosis geben zu lassen, da Prävention besser ist als Heilung.“
Die Studie stellte zudem fest, dass die Inanspruchnahme der Erstimpfungen gegen COVID-19 unter jüngeren und weiblichen Gesundheitsfachkräften insgesamt niedriger ausfiel. Diese Erkenntnisse zeigen, dass viele Gesundheitsfachkräfte im gebärfähigen Alter sich den Nutzen der Impfung entgehen lassen.
Dies ist besorgniserregend, da mit COVID-19 infizierte Schwangere im Vergleich zu nichtschwangeren Frauen häufiger schwer erkranken. Die COVID-19-Impfstoffe haben sich für Schwangere als sicher und wirksam erwiesen, und die Impfung von Schwangeren scheint auch ihre Neugeborenen vor einer Erkrankung zu schützen.
Die vom albanischen Institut für öffentliche Gesundheit mit Unterstützung von WHO/Europa, der Task Force for Global Health und den United States Centers for Disease Control and Prevention (CDC) durchgeführte Studie wurde jüngst in der Fachzeitschrift The Lancet Regional Health – Europe veröffentlicht.
Eine Studie wie keine andere
Zwischen Februar 2021 und Juni 2022 lieferten jede Woche rund 1500 Gesundheitsfachkräfte – über 40 % des Personals dreier großer öffentlicher Krankenhäuser – dem Studienteam im Rahmen einer umfassenderen Studie zur Beurteilung der Wirksamkeit der COVID-19-Impfstoffe detaillierte Informationen. Die Daten aus der Studie wurden analysiert, um die Inanspruchnahme der COVID-19-Impfungen unter albanischen Gesundheitsfachkräften besser nachvollziehen zu können.
„Die Stärke der Studie liegt in der großen Anzahl an Gesundheitsfachkräften, die über einen beträchtlichen Zeitraum an der Studie teilnehmen und das Studienteam regelmäßig mit Informationen zu ihrer Gesundheit und ihrem COVID-19-Impfstatus versorgen. Ich glaube nicht, dass es weltweit viele Studien dieser Art gibt“, erklärt Silvia Bino, die leitende Autorin der Studie und Leiterin der Abteilung für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten im albanischen Institut für öffentliche Gesundheit.
„Die Studie hilft uns, besser zu verstehen, welche Kategorien von Gesundheitsfachkräften sich seit Januar 2021, als die COVID-19-Impfungen in Albanien eingeführt wurden, nicht oder nur teilweise haben impfen lassen. Die Erkenntnisse aus der Studie können in gesundheitspolitische Konzepte und Interventionen einfließen, um die Inanspruchnahme von Impfungen in dieser vorrangigen Gruppe zu erhöhen“, erläutert Frau Bino.
Pernille Jorgensen, Koordinatorin der Studie und Fachreferentin bei WHO/Europa, merkt an: „Die Studie stellte zudem fest, dass Gesundheitsfachkräfte, die sich zuvor gegen die saisonale Grippe hatten impfen lassen – eine Impfung, die in Albanien seit 2014 für sämtliches Gesundheitspersonal empfohlen wird –, häufiger auch mindestens eine Impfung gegen COVID-19 erhalten hatten.“
Frau Jorgensen fügt hinzu: „Den gleichen Zusammenhang zwischen Grippeimpfung und der Inanspruchnahme von COVID-19-Impfungen haben wir auch in anderen WHO-Studien in mehreren Ländern der Europäischen Region festgestellt. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Erhöhung der Inanspruchnahme von Grippeimpfungen neben der Prävention von Influenza-Erkrankungen potenziell auch zu einer erhöhten Inanspruchnahme künftiger pandemischer Impfstoffe führen kann.“
Elga Spaho, eine 52-jährige Psychiaterin, die an der albanischen Studie teilnahm, ist gleicher Meinung: „Die Tatsache, dass ich mich gegen die Grippe haben impfen lassen, hat meine Entscheidung, mich auch gegen COVID-19 impfen zu lassen, beeinflusst, da mir der Nutzen von Impfungen schon länger bekannt ist. Ich war bereits geimpft als ein COVID-19-Test positiv ausfiel, sodass mein Immunsystem gut vorbereitet war und ich die Erkrankung leicht verkraftet habe. Ich habe meine gesamte Familie impfen lassen und habe auch versucht, alle meine Freunde und Bekannten von den COVID-19-Impfungen zu überzeugen.“
Impfungen sind nach wie vor der beste Schutz vor COVID-19
Seit dem ersten Auftreten von COVID-19 in der Europäischen Region der WHO, die insgesamt 53 Länder in ganz Europa und Zentralasien umfasst, sind über drei Jahre vergangen. Das Virus stellt für Millionen von Menschen in der Region, die noch immer nicht geimpft sind – darunter auch Gesundheitsfachkräfte –, nach wie vor eine Bedrohung dar.
Gesundheitsfachkräfte sind aufgrund ihres Berufs äußerst anfällig für COVID-19. Sie laufen Gefahr, selbst zu erkranken und die Krankheit an gefährdete Patienten zu übertragen. Aus diesen Gründen gehörten Gesundheitsfachkräfte auch zu den ersten Gruppen, die eine COVID-19-Impfung erhielten.
Da Gesundheitsfachkräfte eine primäre und vertrauenswürdige Informationsquelle darstellen, können sie, wenn sie sich positiv zu Impfungen äußern, zudem dazu beitragen, dass auch ihre Patienten sich häufiger impfen lassen.
Während COVID-19-Impfungen von Gesundheitsfachkräften in vielen Ländern mit hohem Volkseinkommen im Allgemeinen gut angenommen wurden, fällt die Inanspruchnahme in Ländern mit niedrigem und mittlerem Volkseinkommen sehr unterschiedlich aus. In der Europäischen Region hatten Ende Juni 2022 über 80 % der Gesundheitsfachkräfte in Ländern mit hohem Volkseinkommen ihre vollständigen Erstimpfungen gegen COVID-19 erhalten und 51 % zudem eine zusätzliche (Auffrischungs-) Dosis, wohingegen es bei Gesundheitsfachkräften in Ländern mit gehobenem mittlerem Einkommen nur 33 % bzw. 8 % waren.
Richard Pebody, Leiter des Teams für hochgefährliche Erreger bei WHO/Europa, erläutert: „Während die meisten an der albanischen Studie teilnehmenden Gesundheitsfachkräfte die vollständigen Erstimpfungen gegen COVID-19 erhalten hatten, hatten viele von ihnen von dem Angebot der Auffrischungsimpfungen keinen Gebrauch gemacht. Es sollten Anstrengungen unternommen werden, um die Gründe für die geringe Inanspruchnahme von Auffrischungsimpfungen zu verstehen, insbesondere unter jungen Gesundheitsfachkräften, weiblichem Gesundheitspersonal und nicht-ärztlichen Fachkräften. Die Ermittlung dieser Gründe wird den Gesundheitsbehörden dabei helfen, ihre Impfprogramme auf den Schutz von Gesundheitsfachkräften zuzuschneiden und die Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsleistungen während künftiger Wellen von SARS-CoV-2 zu ermöglichen.“
Er fügt hinzu: „Darüber hinaus bedarf es zusätzlicher Anstrengungen, um das Bewusstsein für die Sicherheit und den Nutzen von COVID-19-Impfungen für Gesundheitsfachkräfte im gebärfähigen Alter und Schwangere allgemein zu schärfen.“
Abschließend betont Pebody: „Impfungen bieten nach wie vor den besten Schutz vor schweren Krankheitsverläufen und Tod infolge einer COVID-19-Infektion. Durch Auffrischungsimpfungen wird der Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf verstärkt. Selbst in Gemeinschaften, die mit hohen COVID-19-Infektionsraten zu kämpfen hatten, bieten Impfungen und Auffrischungsimpfungen eine zusätzliche Ebene des Schutzes vor einer erneuten Infektion und besonders schweren Krankheitsverläufen. Diese Botschaft müssen wir daher umso mehr an die Öffentlichkeit bringen, und zwar immer und immer wieder.“