November ist ein extrem wichtiger Monat für unser Klima und unsere Gesundheit. Denn in diesem Monat versammeln sich Vertreter und Verhandler aus der ganzen Welt in Sharm El-Sheikh (Ägypten) zur Weltklimakonferenz 2022 der Vereinten Nationen (COP27), um aufbauend auf früheren Vereinbarungen zügig den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren, Resilienz zu entwickeln und sich trotz der bestehenden Herausforderungen an die unvermeidlichen Folgen des Klimawandels anzupassen.
Der Klimawandel und die durch ihn ausgelösten Krisen verursachen schon seit Langem gesundheitliche Notlagen. Die WHO und ihre Partnerorganisationen schlagen schon lange Alarm, aber bisher war das Handeln gefährlich inkonsequent und viel zu langsam.
Erst im letzten Sommer haben wir in der Europäischen Region der WHO eine Serie von Hitzewellen, Dürren und Waldbränden erlebt, die sich allesamt auf die Gesundheit der Menschen ausgewirkt haben.
Nach Aussage des bei der Europäischen Union angesiedelten Copernicus-Dienstes zur Überwachung des Klimawandels hat die Europäische Region gerade den heißesten Sommer und den heißesten August seit Beginn der Wetteraufzeichnungen erlebt. Neben den hohen Temperaturen hatten wir in allen Teilen der Europäischen Region auch mit verheerenden Waldbränden zu kämpfen, die die höchsten CO2-Emissionen seit 2007 verursacht, unsere Luft belastet und viele Menschen getötet haben – oft auch die Einsatzkräfte vor Ort selbst; außerdem wurden viele Menschen vertrieben und große Landstriche auf Jahre verwüstet.
Hitzewellen können töten
Hitzebelastung, bei der der Körper sich nicht selbst abkühlen kann, ist die führende Ursache wetterbedingter Todesfälle in der Europäischen Region. Temperaturextreme können auch chronische Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-, Atemwegs- und zerebrovaskuläre Erkrankungen sowie Diabeteserkrankungen verschärfen.
Anhand der bisher vorliegenden Daten aus den Ländern wird geschätzt, dass 2022 mindestens 15 000 Menschen konkret aufgrund der Hitze gestorben sind. So meldeten die zuständigen Gesundheitsbehörden in Spanien während der drei Sommermonate fast 4000 Todesfälle; in Portugal waren es mehr als 1000, im Vereinigten Königreich mehr als 3200 und in Deutschland etwa 4500.
Diese Schätzung wird wohl noch nach oben korrigiert werden müssen, wenn weitere Länder ihre hitzebedingte Übersterblichkeit melden. So starben in Frankreich nach Angaben des Nationalen Instituts für Statistik und ökonomische Studien (INSEE) zwischen 1. Juni und 22. August 2022 über 11 000 Menschen mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2019 – dem letzten Jahr vor der COVID-19-Pandemie. Nach Ansicht des INSEE erklären sich diese Zahlen wahrscheinlich aus der Hitzewelle Mitte Juli, die auf eine schon Mitte Juni verzeichnete erste Hitzeepisode folgte.
Die Temperaturen in Europa sind während des Zeitraums 1961–2021 deutlich gestiegen, und zwar um durchschnittlich 0,5 °C pro Jahrzehnt. Damit ist Europa nach einem in dieser Woche veröffentlichten Bericht der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) die Region mit der schnellsten Erwärmung. In dem genannten Zeitraum von 50 Jahren waren extreme Temperaturen für 148 000 Todesfälle in der Europäischen Region verantwortlich. In dem einen Jahr danach waren es mindestens weitere 15 000 Todesfälle.
2021 führten folgenschwere Wetter- und Klimaereignisse zu Hunderten Todesfällen, und über ein halbe Million Menschen waren direkt von den Folgen betroffen. Etwa 84% dieser Ereignisse waren Überschwemmungen oder Stürme.
Diese Auswirkungen auf die Gesundheit, die die Menschen in unserer Region jetzt bei einer Erwärmung der globalen Durchschnittstemperatur um 1,1 °C erleben, sind nur ein Vorgeschmack auf das, was uns bevorsteht, wenn der Temperaturanstieg 2° C oder mehr gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter erreicht. Das sollte für uns ein Weckruf in Bezug auf unsere Zukunft in einem sich verändernden Klima sein.
Konzertierte Klimamaßnahmen sind schon lange fällig – aber es ist noch nicht zu spät zum Handeln
In den kommenden Jahrzehnten werden eine höhere Exposition und Anfälligkeit gegenüber Hitzeperioden und anderen extremen Wetterereignissen zu mehr Krankheiten und Todesfällen führen, wenn nicht die Länder wahrhaft drastische Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen ergreifen.
Anpassung bedeutet, dass die Gesundheitssysteme und Gesellschaften für die Zukunft gerüstet werden müssen. Gesundheitsaktionspläne für Hitzeperioden, die die Bevölkerung vor hitzebedingten Todesfällen und Erkrankungen schützen, sind zur Anpassung an den Klimawandel unverzichtbar. Mehr als 20 Länder in der Europäischen Region verfügen inzwischen über solche Aktionspläne. Das ist zwar erfreulich, reicht aber bei weitem noch nicht aus. Damit die Pläne wirksam werden, brauchen wir eine starke ressortübergreifende Koordinierung und Zusammenarbeit. Wenn wir in unserer Region besser auf Hitze vorbereitet sind, können wir viele Menschenleben retten.
Klimaschutz bedeutet, mehr zu tun als sich nur auf die Folgen des Klimawandels einzustellen, sondern aktiv zur Lösung beizutragen. Unsere Gesundheitssysteme und Gesellschaften müssen klimaresilient, nachhaltig und CO2-arm werden. Wir können unseren Beitrag leisten, indem wir dafür sorgen, dass in unseren Gesundheitssystemen Aspekte des Klimawandels umfassend integriert und institutionalisiert werden und dass so eine nachhaltige Gesundheitsversorgung zugunsten der Gesundheit von Individuen, Gesellschaft und unserem Planeten unter Einhaltung des Netto-Null-Ziels schneller möglich wird.
Wir können uns auch für Klimaschutzkonzepte einsetzen, die eine Senkung der Emissionen bewirken und auch vielfältigen gesundheitlichen und gesellschaftlichen Nutzen bringen, indem wir gleichzeitig Klimawandel und Luftverschmutzung bekämpfen, die jährlich in unserer Region geschätzt 550 000 und weltweit geschätzt 7 Millionen Menschenleben kostet.
Auf der individuellen und gesellschaftlichen Ebene müssen wir alle unsere CO2-Emissionen deutlich senken – durch nachhaltigere Produktions- und Konsummuster und durch Einleitung eines umfassenden und zügigen Übergangs zu sauberen und erneuerbaren Energieträgern. Wir haben die Technologien – nun müssen wir Wege finden, um sie für alle Länder zugänglich und schnell umsetzbar zu machen.
Gesundheit auf der COP27
In diesem Monat ist die COP27 für uns hier in der Europäischen Region und für die Menschen in aller Welt ein entscheidendes Ereignis. Die Regierungen müssen einen deutlich stärkeren politischen Willen demonstrieren und schneller das weltweit rechtsverbindliche Pariser Klimaschutzabkommen umsetzen, damit wir all gemeinsam eine nachhaltigere, CO2-ärmere und gesündere Zukunft schaffen können.
Die WHO unterstützt die Verhandlungen erneut durch den COP27 Health Pavilion, wo globale Gesundheitspolitiker und ihre Partner gemeinsam dafür eintreten, dass Gesundheit und Chancengleichheit einen zentralen Platz in der Debatte erhalten. Das Bündnis für transformative Maßnahmen für Klimaschutz und Gesundheit – das zur Unterstützung der Länder geschaffen wurde, die sich zu den Gesundheitsinitiativen der COP26 für klimaresiliente und CO2-arme nachhaltige Gesundheitssysteme verpflichtet haben – gewinnt auch an Dynamik und nutzt die kollektive Kraft der Mitgliedstaaten der WHO zur Verwirklichung dieses Ziels und zur Einbeziehung von Gesundheit in jeden Plan zur Bewältigung des Klimawandels.
Man kann es nicht oft genug sagen: Wir müssen gemeinsam den Klimawandel wirksam bekämpfen. Wir müssen in unserer Europäischen Region und darüber hinaus mehr tun. Wir müssen uns an den Klimawandel anpassen und – noch wichtiger – ihn bremsen, um mehr Menschenleben zu retten. Und wir müssen es jetzt tun, wenn wir verhindern wollen, dass die Klimakrise zu einer unumkehrbaren Klimakatastrophe für unsere Region und unseren gesamten Planeten wird.