8. Mai 2025, Amsterdam
Europa weist von allen Regionen der WHO den höchsten Alkoholkonsum auf. Dieser Alkoholkonsum hat in der Europäischen Region eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge, insbesondere bei Männern. So verursacht Alkohol pro Stunde mehr als 80 Todesfälle, was sich auf etwa 800 000 Tote pro Jahr summiert.
Alkohol ist auch ein führender Risikofaktor für Behinderungen, eine Hauptursache für mehr als 200 chronische Krankheiten und ein Einflussfaktor für viele Verletzungen und psychische Störungen. Neben dieser unhaltbaren Belastung für die menschliche Gesundheit ist Alkohol auch ein wesentlicher Einflussfaktor für Kriminalität und andere negative Entwicklungen in der Gesellschaft.
Nun will ein neu gebildetes Bündnis von Gesundheitsorganisationen und -experten sich für die Reduzierung der Zahl alkoholbedingter Erkrankungen, Verletzungen und Todesfälle einsetzen. Die heute auf dem Kongress 2025 der European Association for the Study of the Liver (EASL) in Amsterdam ins Leben gerufene Europäische Gesundheitsallianz zur Bekämpfung des Alkoholkonsums ist ein Zusammenschluss europäischer Verbände der Gesundheitsberufe, der der Stimme dieser Berufsgruppen bei politischen Entscheidungen mehr Gewicht verleihen soll. Die Allianz hat sich zum Ziel gesetzt, die Auswirkungen des Alkoholkonsums auf die Gesundheit zu verringern, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und sich für die Umsetzung bewährter, wirksamer Maßnahmen einzusetzen, die Leben retten.
Besonderes Augenmerk auf die versteckten Schäden des Alkoholkonsums
„Alkohol wird mit mehr als 200 verschiedenen Gesundheitsproblemen in Verbindung gebracht – von Leberzirrhose über Krebs bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen; dennoch werden viele der verursachten Schäden häufig übersehen“, erklärt Aleksander Krag, Generalsekretär der EASL. „So ist Alkohol in Europa die bei Weitem häufigste Todesursache aufgrund von Lebererkrankungen und verursacht jedes Jahr mehr als 70 000 Todesfälle durch Krebserkrankungen. Dieses Bündnis soll sicherstellen, dass die Menschen über die Fakten informiert sind und das Recht haben, mündige Entscheidungen zu treffen.“
Alba Gil, Fachreferentin bei der Association of European Cancer Leagues, fügt hinzu: „Die Vorstellung, dass nur starke Trinker ein Risiko für alkoholbedingte Krebserkrankungen haben, ist ein gefährlicher Mythos. Es gibt kein sicheres Maß an Alkoholkonsum, aber zu wenige Menschen sind sich dieser Tatsache bewusst. Zum Beispiel wissen viele Frauen nicht, dass Alkohol einer der größten Risikofaktoren für Brustkrebs ist.“
Die Allianz wird die oft übersehenen Zusammenhänge zwischen Alkoholkonsum und anderen Gesundheitsschäden wie Herzkrankheit, Suizid und fetalen Alkoholspektrumstörungen ebenso hervorheben wie seine schädlichen Auswirkungen auf Schlaf und die psychische Gesundheit.
Engagement für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor alkoholbedingten Schäden
Im Mittelpunkt des Auftrags der Allianz steht der Aufruf, Kinder und Jugendliche vor Schäden aufgrund von Alkoholkonsum zu schützen. Sie stellen eine besonders gefährdete Gruppe dar, deren Gefährdung mit der Exposition im Mutterleib beginnt und sich durch Vernachlässigung, Gewalt in Verbindung mit elterlichem Alkoholkonsum sowie frühe Muster des Rauschtrinkens in der Kindheit und Jugend fortsetzt.
Bedauerlicherweise werden Kinder und Jugendliche weiterhin durch aggressive Werbepraktiken angesprochen, die von einer unzureichenden Regulierung profitieren.
„Wir dürfen nicht zulassen, dass eine weitere Generation von Kindern durch Alkohol geschädigt wird“, erklärt Ann de Guchtenaere, Generalsekretärin der European Academy of Pediatrics. „Kinder vor Alkohol zu schützen bedeutet, jeglichen Alkoholkonsum in der Schwangerschaft zu vermeiden, Kinder vor starkem Alkoholkonsum der Eltern zu schützen, den Gesamtkonsum zu reduzieren, die Werbung stärker einzuschränken und soziale Normen zu verändern.“
In der Europäischen Region ist Alkoholkonsum für ein Viertel aller Todesfälle in der Altersgruppe zwischen 19 und 24 Jahren verantwortlich. Die Allianz wird sich für einen stärkeren Schutz einsetzen, namentlich durch Beschränkung der Alkoholwerbung, Mindestpreise pro Einheit sowie die Verteuerung und geringere Verfügbarkeit von Alkohol.
Evidenzbasierte Lösungen, reale Ergebnisse
Als Plattform für eine gemeinsame Überzeugungsarbeit wird die Allianz versuchen, den Einfluss der Gesundheitsberufe auf die Alkoholpolitik auf kommunaler und nationaler Ebene und in der Europäischen Region insgesamt zu stärken. Evidenzbasierte Konzepte zur Verringerung der schädlichen Wirkungen des Alkohols sind zwar wohlbekannt, werden aber nur unzureichend umgesetzt. Dazu gehören Preis- und Steuererhöhungen, Beschränkungen für Werbung und Vermarktung sowie Maßnahmen zur Einschränkung der Verfügbarkeit.
Länder wie Litauen haben die durchschlagende Wirkung einer strengen Alkoholpolitik unter Beweis gestellt: So konnte zwischen 2016 und 2019 dank der Einführung umfassender alkoholpolitischer Maßnahmen der Konsum drastisch reduziert, Tausende von Menschenleben gerettet und die Inzidenz zahlreicher Krankheiten gesenkt werden.
„Wir wissen, welche Konzepte Alkoholschäden wirksam verringern können“, erklärt Gauden Galea, Strategischer Berater des Regionaldirektors und Leiter der Sonderinitiative für nichtübertragbare Krankheiten und Innovation bei WHO/Europa. „Eine vor Kurzem durchgeführte Studie der WHO hat gezeigt, dass die sog. „Quick Buys“, die schnellen Erfolgsrezepte – Erhöhung der Alkoholbesteuerung und Einschränkung der Alkoholwerbung –, innerhalb von weniger als einem Jahr Wirkung zeigen, sodass sie innerhalb einer Wahlperiode wirksam umgesetzt werden können.“
Er fügt hinzu: „Die Allianz kann diese Lösungen verstärken und in der gesamten Europäischen Region für ihre Umsetzung werben.“
Eine Aufgabe für das gesamte Gesundheitspersonal
Ärzte, Pflegekräfte und andere Gesundheitsberufe sind oft die ersten, die die von Alkohol verursachten Schäden erkennen. Die Allianz wird für die Rolle der Gesundheitsberufe bei der Untersuchung auf riskanten Alkoholkonsum und bei der Bereitstellung von Kurzinterventionen werben. Das Gespräch über Alkoholkonsum sollte ein routinemäßiger Bestandteil der Versorgung von Patienten werden.
„Als Allgemeinmedizinerin sehe ich täglich die Schäden, die Alkohol bei Einzelpersonen, in ihren Familien und in ihrem Umfeld verursacht“, erzählt Margarida Santos aus Portugal. „Als Mediziner müssen wir das ansprechen und schädliche Falschvorstellungen über Alkoholkonsum ausräumen. Die Bekämpfung von alkoholbedingten Schäden erfordert aber mehr als eine medizinische Intervention: wir brauchen eine wirksame Politik und ein Umdenken in der Gesellschaft.“
Eine stärkere Stimme, gemeinsame Verantwortung
Die Gründung der Allianz sendet die klare Botschaft aus, dass die Verantwortung für alkoholbedingte Schäden nicht beim Einzelnen liegen darf, sondern dass sie zu wirksamen, evidenzbasierten Maßnahmen führen muss.
Frank Murray, Mitglied des Ausschusses für öffentliche Gesundheit und Überzeugungsarbeit bei der EASL, erklärt: „Alkoholbedingte Schäden sind nicht unvermeidlich und kein persönliches Versagen, sondern das Ergebnis eines weit verbreiteten Versagens der Länder bei der Umsetzung bewährter, evidenzbasierter Konzepte zur Verringerung alkoholbedingter Schäden sowie der schädlichen und inakzeptablen Auswirkungen der starken Einmischung der Alkoholindustrie in die staatliche Gesundheitspolitik.“
Er hebt hervor: „Die Alkoholindustrie sollte in ihrem Fahrwasser bleiben und keinen Einfluss auf die Gestaltung der Gesundheitspolitik haben.“
Durch gemeinsames Handeln will die Allianz politische Entscheidungsträger dazu veranlassen, dass sie evidenzbasierte Konzepte zur Verringerung der alkoholbedingten Schäden umsetzen. Dies stellt eine neue Möglichkeit dar, den Stimmen der Gesundheitsberufe auf koordinierte Weise Gehör zu verschaffen.