„Mit den neuen Maßnahmen gegen das Humane Papillomavirus (HPV) gehen wir davon aus, dass wir in Schweden in fünf Jahren eine Eliminierung von Gebärmutterhalskrebs erreicht haben könnten. Ohne die Pandemie hätte das wesentlich länger gedauert.“
Prof. Joakim Dillner ist Krebsforscher am Karolinska-Institut in Schweden. Er erklärt, wie das Land gezwungen war, seinen Ansatz bei den Vorsorgeuntersuchungen auf Gebärmutterhalskrebs zu überdenken, als im April 2020 wegen der COVID-19-Pandemie die nicht-notfallbezogene Versorgung in der Region Hauptstadt eingestellt wurde. Drei Monate lang hatte keine Frau Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen auf Gebärmutterhalskrebs. Als dann das nationale Programm wieder anlief, konnten die Kliniken aufgrund der Abstandsgebote nicht selbst Proben entnehmen.
Um das Problem zu lösen, wurden HPV-Selbsttests landesweit an alle in Frage kommenden Frauen geschickt, einschließlich der Altersgruppe zwischen 23 und 29 Jahren, der zuvor zytologiebasierte Screenings (gemeinhin als „Pap-Abstrich“ bezeichnet) angeboten worden waren, die von Klinikern durchgeführt werden.
Die Region Stockholm, wo insgesamt 330 000 Selbsttest-Kits verschickt wurden, verzeichnete in nur einem Jahr eine dramatische Erhöhung des Versorgungsgrades der Bevölkerung um 10 Prozentpunkte – von 75% auf 85%.
Hoher Versorgungsgrad, geringe Kosten
Obwohl insgesamt mehr Frauen untersucht wurden, zeigten die Ergebnisse der HPV-Selbsttests weniger HPV-Infektionen in der Altersgruppe von 23 bis 29 Jahre, da mehr dieser Frauen in der Schule gegen HPV geimpft worden waren. Zuvor waren dieser Altersgruppe nur zytologiebasierte Tests angeboten worden, die weniger sensibel sind und seltener zu Überbehandlung führen. Die schwedische Regierung hat diese Gruppe inzwischen in das nationale HPV-Screening-Programm aufgenommen.
„Das Selbsttest-Kit ist nicht besonders spezialisiert. Es ist im Grunde genommen wie ein Mascarapinsel, mit dem sich manche Frauen die Wimpern schminken“, sagt Prof. Dillner. „Das sind ganz einfache, kostengünstige Test-Kits, die zum HPV-Screening gehören.“
Prof. Dillner hebt auch hervor, dass die niedrigen Kosten der Kits eine weltweite Einführung von HPV-Selbsttests wesentlich begünstigen könnten, denn nicht alle Länder könnten sich hohe Ausgaben leisten. Selbst wenn man nur die Laborkosten betrachte, so brächten Selbsttests erhebliche Einsparungen für das Gesundheitswesen gegenüber der Zeit, die ein Kliniker für die Durchführung eines Tests benötigt.
Doch Dr. Marilys Corbex, leitende Fachreferentin bei der WHO, erklärt, dass HPV-Selbsttests in vielen Ländern auf Widerstand stoßen könnten, in denen Vorsorgeuntersuchungen auf Gebärmutterhalskrebs von in Gynäkologie ausgebildeten Allgemeinärzten durchgeführt werden, für die sie auch eine Einnahmequelle darstellen.
Außerdem hält Dr. Corbex es für wichtig, dass Frauen nicht nach eigenem Gutdünken Selbsttests durchführen, weil manche es dann zu oft und andere zu selten tun. Vielmehr müsse dies, um effektiv zu sein, innerhalb einer Zielpopulation und im Rahmen eines organisierten Screening-Programms geschehen, damit jede Frau zur rechten Zeit getestet wird.
Nach den Empfehlungen der WHO sind die Zielgruppe für Screenings Frauen ab 30 Jahren bzw. Frauen ab 25 Jahren mit HIV.
Dr. Corbex gibt zu bedenken: „Jede Probe muss analysiert werden, und das kostet. Außerdem: Wenn das Resultat positiv ist, muss eine ordnungsgemäße Diagnose, Behandlung und Nachsorge im Rahmen eines organisierten Systems durchgeführt werden.“
Krise und Innovation
„In Schweden wäre das nie möglich gewesen, wenn wir nicht zu Veränderungen gezwungen worden wären. Anderenfalls hätten wir weiterhin viele Ärzte und Pflegekräfte damit beschäftigt, diese Tests durchzuführen, obwohl es eigentlich nicht notwendig war. Wir haben sogar einen deutlich höheren Versorgungsgrad erreicht, indem wir die Tests einfach direkt an die Frauen geschickt haben. Darüber sollte man nachdenken“, sagt Prof. Dillner.
Neben der Senkung der Kostenlast weist er auch darauf hin, dass eine Veränderung des Denkansatzes zur Überwindung von Barrieren für die Einführung von HPV-Selbsttests in anderen Teilen der Welt beitragen könnte. Bei einem organisierten landesweiten Screening-Programm müssen Frauen nicht einmal eine Postanschrift oder ein Postfach haben, um an den Selbsttests teilnehmen zu können.
„Sie können sich morgens mit einem Eimer Selbsttest-Kits auf den Markt oder auf den Dorfplatz stellen und die Tests verteilen – und dann darauf warten, dass sie im Laufe des Tages wieder abgeliefert werden“, schlägt Prof. Dillner vor. Er fügte hinzu: „Es ist wirklich ganz einfach, vor allem weil viele Länder mit niedrigem bis mittlerem Volkseinkommen über sehr fortgeschrittene Methoden zur elektronischen Identifikation verfügen.“
Ein veränderter Denkansatz
Im Juli 2022 treten in Schweden neue staatliche Vorschriften in Kraft, die Frauen die Wahl überlassen, ob sie ein Selbsttest-Kit verwenden oder sich in der Klinik untersuchen lassen wollen. Dadurch werden Ressourcen frei, sodass Frauen, die zu ihrer ersten Vorsorgeuntersuchung kommen, bei der Gelegenheit auch geimpft werden können; die Weiterverfolgung kann dann auf jene Frauen beschränkt werden, die in Bezug auf eine krebsverursachende HPV-Infektion positiv getestet wurden.
„Es galt die Denkweise zu verändern“, erklärt Prof. Dillner. „Als alles zum Stillstand kam, mussten wir uns etwas ganz anderes einfallen lassen. Wir erwarten, dass viele Frauen vor Gebärmutterhalskrebs bewahrt werden und dass wir auf dem Weg zur Erfüllung des Eliminierungsziels der WHO schneller vorankommen.“
Prof. Dillners Fazit: „Vieles ist möglich, wenn man bemerkt, dass man aus den alten Denkmustern ausbrechen kann. Es ist wichtig, auch alternative Problemlösungen in Betracht zu ziehen. Ich glaube, die Selbsttests bewirken den entscheidenden Unterschied.“