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Erik und Mikaela von der Polhem-Schule in Lund (Schweden) haben in den letzten drei Jahren den „Tanz fürs Leben“ organisiert
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„Tanzen fürs Leben“: eine Schule in Schweden tanzt für die Suizidprävention

8 September 2023
Pressemitteilung
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Am 8. September, zwei Tage vor dem Welttag der Suizidprävention, werden über 30 000 Schüler aus 121 Schulen in ganz Schweden in einer gemeinsamen Demonstration der Einheit gegen Suizid – einem der durchdringendsten gesundheitlichen Probleme unter jungen Menschen in der Europäischen Region der WHO – zusammen tanzen. 

Durch Tanz etwas bewegen

Die Veranstaltung unter dem Titel „Tanz fürs Leben“ (auf Schwedisch Dansa för livet) verfolgt eine einfache, aber eindringliche Prämisse: zu Beginn des neuen Schuljahres legen alle neuen Schüler gemeinsam eine Pause vom Unterricht ein, um an einem schulweit einstudierten Tanz mitzuwirken. 

„Ziel des Projekts ist es, psychische Erkrankungen bei jungen Menschen zu verhindern, die Zahl der Suizide zu senken und mit dem Stigma zu brechen, das oft mit dem Sprechen über psychische Erkrankungen verbunden ist“, erklärt Erik Allard, einer der Organisatoren des Projekts.

Suizid ist weltweit die vierthäufigste Todesursache in der Altersgruppe der 15–29-Jährigen. Im Jahr 2019 starben in der Europäischen Region der WHO über 137 000 Menschen – viele von ihnen junge Menschen – infolge eines Suizids.

Erik, der Sport und Gesundheitserziehung an der Polhem-Schule in Lund unterrichtet, hatte die Idee für das Projekt „Tanz fürs Leben“, als er nach der Arbeit mit dem Fahrrad nach Hause fuhr. Er fragte sich, wie man die Gesundheitserziehung in der Schule besser auf die Wünsche und Bedürfnisse der Schüler ausrichten könnte. „Sie wollten gehört werden und sehen, dass ihre eigenen Bemühungen mit in den Unterricht einfließen. Diese Offenbarung habe ich auf dem Fahrrad mitgenommen.“ 

Sofort dachte er dabei ans Tanzen. „Tanzen kann eine magische Wirkung ausüben“, erklärt Erik. „Es ist eine kreative Tätigkeit und ermöglicht einem, etwas Neues zu schaffen und mit anderen etwas Sinnstiftendes zu teilen.“

Er erzählte anderen Lehrern von der Idee, die sofort mit an Bord waren. 

„Wir waren begeistert und sagten ,Ja, lasst uns das machen!‘“, erinnert sich Mikaela Hilbertsson, die ebenfalls Lehrerin für Sport und Gesundheitserziehung ist.

Teil eines umfassenderen Gesprächs

Tanz und andere künstlerische Aktivitäten können sich positiv auf das Wohlbefinden auswirken, dabei helfen, Stress abzubauen, und bei Jugendlichen die Sozialisierung untereinander fördern, so eine Bestandsaufnahme des WHO-Regionalbüros für Europa aus dem Jahr 2020. 

Doch sowohl Erik als auch Mikaela wussten von Beginn an, dass „Tanz fürs Leben“ Teil eines umfassenderen Gesprächs über das Thema psychische Gesundheit an der Polhem-Schule sein musste. „Wir glauben, dass das Projekt ein guter Ansatzpunkt ist, um ein tieferes Gespräch über psychische Gesundheit und psychische Erkrankungen im Klassenzimmer und in unterschiedlichen Fächern anzuregen“, erklärt Mikaela.

Im Vorfeld des Tanzes wie auch im Anschluss daran stellten Mikaela, Erik und andere Lehrer den Schülern Informationen über psychische Erkrankungen bereit, sowie darüber, wie man mit Stress und Emotionen umgehen und wo und wie man Hilfe in Anspruch nehmen kann.

„Wir sprechen darüber, dass das Gefühl von Stress und Unwohlsein ganz normal ist. Dass es möglich ist, sich über einen längeren Zeitraum gestresst zu fühlen, aber dass es auch möglich ist, sich davon zu erholen, und wie man Zeichen der Erholung erkennt“, erklärt Mikaela.

Der WHO zufolge ist die Förderung dieser Art des sozialen und emotionalen Lernens in Schulen ein effektiver Weg, um die Zahl der Suizide unter jungen Menschen zu senken. Sie ist eine der zentralen Maßnahmen, die im Live-life-Toolkit der WHO enthalten sind, in dem genau erläutert wird, wie sich Programme zur Suizidprävention auf kommunaler oder nationaler Ebene umsetzen lassen.

An der Polhem-Schule wurden diese Aktivitäten von den Schülern selbst gefordert. Mikaela sagt: „Ich hatte das Gefühl, dass sie psychische Gesundheit in die Wände der Schule einbauen wollten, dass sie sie zu einem Teil all dessen machen wollten, was sie tun.“

Ein wundervoller Ausdruck dafür, wie sich mit einem Stigma brechen lässt

Als Vollzeitlehrer war Erik, Mikaela und anderen an der Polhem-Schule bewusst, dass sie Unterstützung brauchten, um das Projekt erfolgreich umzusetzen. Nachdem sie die Schulleitung überzeugt hatten, nahmen sie daher Kontakt zu gemeinnützigen Organisationen in ganz Schweden auf. Eine davon war die Stiftung Tim Bergling.

„Ich war sofort begeistert von der Idee“, erzählt Klas Bergling, der Geschäftsführer der Stiftung. „Tanz und Musik, das ist eine Sprache, die junge Menschen sehr gut verstehen.“

Klas gründete die Stiftung, nachdem sein Sohn, der Musiker Tim Bergling – der weltweit unter dem Namen Avicii Bekanntheit erlangt hatte –, 2018 nach einem Suizid gestorben war. Ziel der Stiftung ist es, Initiativen in Schweden und auf der ganzen Welt zu unterstützen, um psychische Erkrankungen bei jungen Menschen zu verhindern und ihr Gedeihen zu fördern. 

Klas war beeindruckt, dass das Projekt „Tanz fürs Leben“ lediglich Teil eines längeren Kurses für soziales und emotionales Lernen war. „In Schweden ist das Thema psychische Gesundheit bislang nicht Teil unserer Schulbildung. Aber psychische Gesundheit ist etwas, über das junge Menschen mehr erfahren müssen. Das Leben besteht aus Höhen und Tiefen. Und je besser sie darauf vorbereitet sind, desto besser können sie damit umgehen. Zudem müssen sie auch mehr darüber erfahren, wann man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen sollte.“

Die Stiftung unterstützte das Projekt in vollem Umfang, etwa, indem sie der Schule die Nutzungsrechte für Aviciis Musik für den Tanz gewährte. 

„Ich bin der Meinung, dass der „Tanz fürs Leben“ ein wundervoller Ausdruck dafür ist, wie sich mit dem Stigma rund um das Thema psychische Gesundheit und Suizid brechen lässt“, erklärt Klas.

Gespräche über psychische Gesundheit fördern

Die Polhem-Schule hielt die erste Veranstaltung im Rahmen des „Tanz fürs Leben“-Projekts im September 2021 ab. Alle ungefähr 900 neuen Schüler wurden gebeten, an dem Projekt teilzunehmen. 

„Ich fand, dass es eine wirklich gute und kreative Idee war. Eine großartige Möglichkeit, um das Bewusstsein für die Bedeutung der psychischen Gesundheit zu schärfen“, erklärt Linn, eine der Schüler und Schülerinnen, die 2021 an dem Tanz teilnahmen. 

Diese erste Veranstaltung war ein voller Erfolg. „Wir konnten sehen, dass die Schüler und Lehrer über Tage hinweg viel Spaß hatten“, erzählt Erik. „Wir sahen tolle Reaktionen bei Lehrern, Schülern, Erziehungsberechtigten, selbst früheren Erziehungsberechtigten – daran konnte man sehen, wie wirkungsvoll es war. Es fühlte sich wirklich so an, dass wir etwas bewegten.“ Zudem sahen sie die Veranstaltung als eine Chance, neuen Schülern dabei zu helfen, untereinander Kontakte zu knüpfen und Beziehungen aufzubauen. 

Die Veranstaltung wurde 2022 mit ähnlichem Erfolg wiederholt. Auch ihre Wirkung war sichtbarer: im Rahmen der Schulumfrage im Jahr 2022 war ein Anstieg bei der Zahl der Schüler zu verzeichnen, die nachdrücklich der Aussage zustimmten, dass sie jemanden in der Schule hatten, der sie gern hatte – von 25 % im Jahr 2020 auf 35 % im Jahr 2022. Auch der Anteil der Schüler, die die Schule abschlossen, stieg – von 91 % im Jahr 2020 auf 97 % im Jahr 2022.

Am eindrucksvollsten war, dass mehr Schüler anfingen, über das Thema psychische Gesundheit zu sprechen. 

„Meine Klassenkameraden und ich sprachen vor und nach dem Tanz sehr viel über das Thema. Ich glaube, es inspirierte mich dazu, über psychische Gesundheit nachzudenken und mit meinen Freunden darüber zu sprechen“, erklärt Linn, die jetzt seit drei Jahren an der Schule ist.

Lasst uns zusammen für das Leben tanzen

In diesem Jahr ist der Tanz fürs Leben so groß wie nie. Sobald die Entscheidung getroffen worden war, andere Schulen in das Projekt einzubeziehen, richteten sie einen Link ein, über den Schulen sich anmelden konnten. Erik erzählt, dass er sich über 10 Schulen gefreut hätte, doch letztendlich erhielten sie Anmeldungen von über 100 Schulen.

„Es war wie im Traum“, sagt Mikaela.

Was die Zukunft betrifft, hoffen Erik und Mikaela, weitere Unterstützung von Politikern zu erhalten, um das Thema psychische Gesundheit fest in den Lehrplan für alle Schüler aufzunehmen.

Klas Bergling ist der Ansicht, dass eine Beschäftigung mit dem Thema psychische Gesundheit in Schulen ein guter Anfang ist, aber dass mehr getan werden sollte, um junge Menschen zu betreuen, die die Schule bereits verlassen haben. „Im Alter zwischen 18 und 25 Jahren wird man noch immer als ein junger Mensch angesehen, aber man kann sich nirgendwo hinwenden.“ 

Erik und Mikaela hoffen, dass der Tanz fürs Leben auch in anderen Ländern eingeführt wird. 

„Beim Tanz fürs Leben geht es darum, gemeinsam etwas zu tun“, erklärt Erik. „Das schafft ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das für unser Wohlbefinden Wunder bewirkt – lasst uns also zusammen für das Leben tanzen!“

Um weitere Informationen zum Projekt „Tanz fürs Leben“ zu erhalten, wenden Sie sich bitte an dansaforlivet@lund.se. Sie können @dansa.for.livet auch auf Instagram folgen.

Wenn Sie sich in einer Krise befinden oder Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an den Notfalldienst in Ihrer Region oder an die Telefonseelsorge oder eine Suizid-Hotline. Mehr Informationen zu entsprechenden Hotlines finden Sie auf folgender Website: https://findahelpline.com/.