„Aus Wochen sind Monate und mittlerweile Jahre geworden, und es gibt Tage, an denen ich mich frage, ob ich jemals wieder in mein früheres Leben zurückfinden werde, und das stimmt mich etwas depressiv. Am meisten frustriert mich, dass ich wegen der Müdigkeit keine langen Spaziergänge unternehmen, keine Berge besteigen und keine langen Strecken zurücklegen kann. Auch mein Gedächtnis und meine Fähigkeit, mich an Wörter zu erinnern, sind beeinträchtigt.“
Die 63-jährige Susan ist Beraterin für Gesundheitspolitik. Bevor sie sich im April 2020 mit COVID-19 infizierte, hielt sie sich für fit und gesund. Damals war sie passionierte Bergsteigerin und machte regelmäßig Yoga. Sowohl Susan als auch ihr Mann steckten sich etwa zur gleichen Zeit mit COVID-19 an, doch er hatte seine Krankheit nach nur etwa einer Woche überstanden.
Susan hatte dagegen nicht so viel Glück – sie litt weiterhin unter Müdigkeit, Kopfschmerzen, hohem Fieber und Muskelschmerzen, und zwei Wochen später trat ein unangenehmer Husten auf. Sie lag drei Wochen lang krank im Bett und wagte sich nur aus dem Haus, um in einem örtlichen Drive-through-Testzentrum ihren Puls und ihre Sauerstoffwerte messen zu lassen.
Zwei Monate nach der Infektion mit COVID-19 hatte Susan noch immer mit Kopfschmerzen zu kämpfen und Probleme beim Verarbeiten von Informationen; diese Symptome klangen letztlich ab, doch dann kehrten Atemnot und Müdigkeit zurück.
„In den ersten Monaten war ich frustriert, denn ich konnte nicht einmal zu den Geschäften in meiner Nähe laufen, obwohl ich immer ein sehr aktiver und eigenständiger Mensch gewesen war. Mein Mann hat mich sehr unterstützt, doch konnte er zunächst kaum verstehen, warum es mir nicht besser ging, zumal er das Virus so schnell wieder losgeworden war. Dass ich müdigkeitsbedingt meinen Appetit verloren hatte und mich für nichts mehr interessierte, bereitete mir Sorge, doch war ich sehr zuversichtlich, dass die Symptome bald abklingen würden.“
Susan hatte nicht nur diese optimistische Grundeinstellung, sondern auch das Gefühl, dass es viel schlimmer hätte kommen können.
„Wenn man bedenkt, wie viele Menschen 2020 an COVID-19 starben, hatte ich wohl überaus großes Glück. Als wir uns alle im Lockdown befanden, war mir ganz klar, dass nicht nur mein eigenes Leben, sondern das aller Menschen eingeschränkt war. Außerdem konnte ich es mir zum damaligen Zeitpunkt in meinem Leben leisten, etwas kürzerzutreten, ohne mir größere finanzielle oder familiäre Sorgen zu machen. Hätte ich mitten im Berufsleben gestanden und eine körperlich anstrengende Arbeit, wäre ich sicher viel frustrierter und gestresster gewesen.
Susan begann, der Facebook-Seite Long Covid Support zu folgen, und stellte fest, dass sie mit ihren Symptomen nicht allein war.
„Im ersten Halbjahr 2020 schien diese Facebook-Seite die einzige Form der Unterstützung zu sein, die ich finden konnte. Ein koordiniertes Angebot zur Behandlung meiner Symptome wurde in meiner Gegend erst im Frühjahr 2021 bereitgestellt. Es war beruhigend zu erfahren, dass sich viele andere in der gleichen Situation wie ich befanden und dass das, was ich erlebte, real war. In einer Zeit, in der kaum praktischer Rat vorhanden war, wurde die Seite zu einer wirklich nützlichen Quelle.
Susan fügt hinzu: „Ich konnte auch ein paar Leute ausfindig machen, die ebenso wie ich an COVID-19 erkrankt waren und noch Wochen später daran litten, jedoch nicht ins Krankenhaus eingewiesen wurden. Wir alle hatten, nachdem die anfängliche Infektion überstanden war, versucht, uns wieder zu körperlich zu betätigen, waren dann aber so erschöpft, dass wir erneut ins Bett mussten. Für mich war das der entscheidende Moment, an dem ich erkannte, dass etwas wirklich nicht stimmte.“
Zwischen August und Oktober 2020 wurde Susan zu Herz-, Lungen- und Bluttests geschickt, bei denen eine postvirale chronische Müdigkeit diagnostiziert wurde – ein klassisches Anzeichen für ein Post-COVID-Syndrom, allgemein bekannt als Long COVID.
„Mein Arzt hat mich sowohl vor als auch nach der Diagnose sehr unterstützt. Man darf nicht vergessen, dass damals niemand wirklich wusste, was es mit Long COVID auf sich hatte – und noch immer verstehen wir es nicht ganz – auch für Kliniker war das also eine schwierige Zeit. Mein Arzt hat mir allerdings wirklich zugehört, und während der Behandlung haben wir beide viel über das Syndrom gelernt.“
Zwei Jahre nach ihrer Infektion mit COVID-19 leidet Susan immer noch unter Müdigkeit, hat sich jedoch auf die Realität ihres neuen Lebens eingestellt und kommt damit zurecht.
„Ich bin oft schon am frühen Abend müde und muss daher meinen Tagesablauf entsprechend planen. Ich halte Yoga – eine Kombination aus Bewegung, Atmung und Achtsamkeit – für sehr hilfreich. Mein Tagesablauf hat sich deutlich verlangsamt, aber in mancher Hinsicht finde ich das ganz nützlich. Ich nehme weitaus mehr um mich herum wahr und weiß es zu schätzen, vor allem die Natur und die Jahreszeiten. Wenn sich also eine Tür schließt, öffnet sich eine andere“, erklärt sie.
„Long COVID kann das Leben verändern, wie ich festgestellt habe, und ich verstehe daher nicht, warum sich Menschen nicht gegen COVID-19 impfen lassen wollen, um ihre Gesundheit und die ihrer Angehörigen zu schützen. Bislang kann niemand vorhersagen, bei wem nach einer COVID-19-Infektion Long COVID auftreten wird; es ist ein Syndrom, das alle Altersgruppen betreffen kann. Und es gibt viele Leidende – wie mich –, die vorher gesund waren und keine Vorerkrankungen hatten.“
Susan fährt fort: „Ich würde jedem dringend raten, sich impfen zu lassen, denn Menschen, die wegen einer COVID-19-Infektion letztlich im Krankenhaus behandelt werden müssen, verschlimmern möglicherweise auch den ohnehin bereits beträchtlichen Rückstau bei der Behandlung von Patienten mit anderen schweren Erkrankungen.“
Das Post-COVID-19-Syndrom: Mehr Anerkennung, Forschung und Rehabilitation
Das Ausmaß des Post-COVID-19-Syndroms und die langfristige Belastung, die es für die Gesundheitssysteme darstellen dürfte, werden erst jetzt allmählich erkannt. Studien zufolge haben rund 10–20% der mit COVID-19 Infizierten, also Millionen von Menschen weltweit, möglicherweise noch Wochen, Monate oder sogar Jahre nach ihrer ursprünglichen Infektion mit anhaltenden Symptomen zu kämpfen.
WHO/Europa ist derzeit dabei, eine Partnerschaft mit Long COVID Europe einzugehen, ein Netzwerk aus patientengeführten Verbänden, das seit seiner Gründung im letzten Jahr Informationen zu der Erkrankung sammelt und sie mit interessierten Akteuren und Betroffenen teilt.
Darüber hinaus arbeitet WHO/Europa mit Patientengruppen zusammen, um vorrangige Bereiche zu ermitteln, in denen Handlungsbedarf besteht. Aktuell fordert WHO/Europa Regierungen und Behörden auf, ihre Aufmerksamkeit auf Long COVID und die davon Betroffenen zu richten, und zwar durch bessere:
- Anerkennung: sämtliche Dienste müssen angemessen ausgestattet werden und kein Patient sollte alleine gelassen werden oder durch ein System navigieren müssen, das nicht darauf vorbereitet oder nicht in der Lage ist, diese stark beeinträchtigende Erkrankung anzuerkennen;
- Forschung und Berichterstattung: es bedarf der Datensammlung und Fallmeldung sowie einer gut koordinierten Erforschung unter vollständiger Einbindung von Patienten, um ein besseres Verständnis der Prävalenz, Ursachen und Kosten von Long COVID zu entwickeln; und
- Rehabilitation: diese kostenwirksame Intervention stellt eine Investition in den Wiederaufbau gesunder und produktiver Gesellschaften dar.