WHO/Europa unterstreicht in einem neuen Faktenblatt das kritische, doch oft übersehene Problem der krankheitsbedingten Mangelernährung. Krankheitsbedingte Mangelernährung kann durch nahezu jede akute oder chronische Krankheit verursacht werden, auch durch nichtübertragbare Krankheiten. Dem Faktenblatt zufolge sind 30–50 % der Krankenhauspatienten von Mangelernährung betroffen. Diese stellt für schutzbedürftige Gruppen ein besonderes Risiko dar, darunter ältere Erwachsene und Menschen mit nichtübertragbaren Krankheiten wie Krebs oder Diabetes. Um den Behandlungserfolg für Patienten zu verbessern und die Gesundheitskosten zu senken, fordert WHO/Europa die Länder eindringlich dazu auf, dieses versteckte Problem zu bekämpfen.
Warum sind Patienten unterernährt?
Krankheitsbedingte Mangelernährung kann unserer Gesundheit auf vielerlei Weise schaden. Sie schwächt die Fähigkeit des Körpers, Infektionen zu bekämpfen und sich von Krankheit zu erholen, und kann die psychische Gesundheit ernsthaft beeinträchtigen. Dies führt zu Komplikationen, längeren Krankenhausaufenthalten und sogar einer höheren Sterblichkeitsrate bei Patienten.
In der Europäischen Region der WHO verlieren etwa 40 % der stationären Patienten ungewollt Gewicht, und die Hälfte ernährt sich unzureichend und ist durch Mangelernährung gefährdet. Fast die Hälfte der stationären Patienten erhält keine ernährungsbezogene Versorgung, und nur ein Drittel der Patienten, die aufgrund ihres Zustands nicht in der Lage sind zu essen, erhalten orale Nahrungsergänzungsmittel oder künstliche Ernährung.
„Während sich die Länder der Region um die Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und anderer globaler Verpflichtungen bemühen, dürfen wir die Herausforderung der krankheitsbedingten Mangelernährung nicht übersehen“, sagt Dr. Kremlin Wickramasinghe, Regionalbeauftragter für Ernährung, Bewegung und Adipositas bei WHO/Europa. „Für Menschen, die mit nichtübertragbaren Krankheiten leben, und für das sie behandelnde Gesundheitspersonal kann Mangelernährung eine große Herausforderung darstellen. Die Vernachlässigung dieses Problems macht es noch dringlicher, insbesondere für gefährdete Personengruppen.“
Nichtübertragbare Krankheiten, von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes bis hin zu chronischen Atemwegserkrankungen und Krebs, verursachen in der Europäischen Region der WHO fast 90 % der Todesfälle und sind für 85 % der mit Behinderungen verbrachten Lebensjahre verantwortlich. Mangelernährung trägt auf unterschiedliche Weise und in jedem Umfeld, einschließlich aller Ebenen der Gesundheitsversorgung, zu dieser Belastung durch nichtübertragbare Krankheiten bei:
- Sie beeinträchtigt das Wachstum und die Entwicklung von Kindern und erhöht das Risiko, später im Leben an nichtübertragbaren Krankheiten zu erkranken.
- Sie erhöht das Risiko für nichtübertragbare Krankheiten und mit diesen verbundene akute Komplikationen bei Erwachsenen.
- Krankheitsbedingte Mangelernährung birgt hohe Risiken für Menschen mit nichtübertragbaren Krankheiten, darunter eine langsamere Genesung, eine schlechtere Lebensqualität und letztlich eine höhere Sterblichkeitsrate.
„Wir müssen krankheitsbedingte Mangelernährung als eine ernsthafte Herausforderung für die Gesundheitssysteme der Länder anerkennen und Maßnahmen ergreifen, um dieses Problem auf allen Ebenen zu bekämpfen. Medizinische Fakultäten und Angehörige der Gesundheitsberufe müssen besser in der ernährungsbezogenen Versorgung ausgebildet werden. Gleichzeitig sollten die Regierungen die Bedeutung der ernährungsbezogenen Versorgung anerkennen und diese in die primäre, ambulante und stationäre Versorgung integrieren“, fügt Dr. Wickramasinghe hinzu.
Die Lösung: Priorisierung der ernährungsbezogenen Versorgung
Die gute Nachricht ist, dass krankheitsbedingte Mangelernährung behandelbar und vermeidbar ist. Indem wir der ernährungsbezogenen Versorgung Priorität einräumen und in politische Veränderungen investieren, können wir sicherstellen, dass Patienten die richtige Ernährung erhalten, die sie brauchen, um Krankheiten zu bekämpfen, schneller zu genesen und gesünder zu leben.
Die WHO empfiehlt einen vierstufigen Ansatz für die ernährungsbezogene Versorgung:
- Vorsorge: Eine frühzeitige Erkennung des Risikos der Mangelernährung ist entscheidend. Standardisierte Instrumente können von jeder Gesundheitsfachkraft genutzt werden.
- Diagnose und Bewertung: Durch eine detaillierte Evaluation werden die Ursache und der Schweregrad der Mangelernährung ermittelt.
- Individuelle Behandlung: Diese kann je nach den Bedürfnissen des Patienten eine Ernährungsumstellung, orale Nahrungsergänzungsmittel oder sogar Sondennahrung umfassen.
- Überwachung und Evaluation: Eine regelmäßige Überwachung gewährleistet Fortschritte und ermöglicht Anpassungen des Behandlungsplans.
Das Faktenblatt von WHO/Europa unterstreicht die Kosteneffizienz der ernährungsbezogenen Versorgung, da bessere Ergebnisse für die Patienten langfristig zu geringeren Gesundheitskosten führen. Darüber hinaus enthält die Publikation Ressourcen, u. a. Kriterien für die Diagnose von Mangelernährung.
Maßnahmen von WHO/Europa zur Bekämpfung von Mangelernährung
Um die Fortschritte bei der Bekämpfung der krankheitsbedingten Mangelernährung zu beschleunigen, nahmen Experten von WHO/Europa im September 2024 an der gemeinsamen Sitzung zum Thema Altern und krankheitsbedingte Mangelernährung auf dem Kongress der Europäischen Gesellschaft für klinische Ernährung und Metabolismus (ESPEN) teil.
Während der Sitzung konnten Gesundheitsfachkräfte, Wissenschaftler und Entscheidungsträger aus der gesamten Region erörtern, wie krankheitsbedingte Mangelernährung auf der Ebene der Gesundheitsversorgung zu bewerten ist und wie wirksame Maßnahmen zur langfristigen Bewältigung des Problems ergriffen werden können.