Laut einem neuen Bericht von WHO/Europa wollen die Gesundheitsbehörden verstärkt verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse nutzen, um große gesundheitliche Herausforderungen zu bekämpfen, doch fehlt es ihnen sowohl an Ressourcen als auch an Kapazitäten.
Das Referat Verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse (BCI) hat gerade seinen ersten Sachstandsbericht über die Anwendung verhaltensbezogener und kultureller Erkenntnisse in den Ländern Europas und Zentralasiens veröffentlicht. Dies geschah im Anschluss an eine im September 2022 angenommene Resolution der Europäischen Region, in der die zentrale Rolle des Verhaltens und der kulturellen Rahmenbedingungen im Hinblick auf Chancengleichheit im Gesundheitsbereich hervorgehoben wurde.
Alle großen gesundheitlichen Herausforderungen und Ursachen von Tod und Krankheit – wie Krebs, Bluthochdruck, Impflücken, Resistenz gegen antimikrobielle Mittel und die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels – haben grundsätzlich mit Verhaltensweisen zu tun. Sie sind komplex und werden von individuellem Wissen und Motivation sowie von soziokulturellen und strukturellen Faktoren beeinflusst. Derartige Verhaltensweisen können nur durch einen evidenzbasierten und strukturierten Ansatz wirksam unterstützt, ermöglicht und gefördert werden.
Die Resolution betraf einen Handlungsrahmen mit fünf ehrgeizigen strategischen Verpflichtungen für die Länder mit jeweils spezifischen Zielvorgaben, um Fortschritte bei der Einführung verhaltensbezogener und kultureller Aspekte herbeizuführen:
- Schaffung von Verständnis und Unterstützung für verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse in zentralen Interessengruppen;
- Durchführung von Forschungsarbeiten im Bereich verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse;
- Anwendung von verhaltensbezogenen und kulturellen Erkenntnissen zur Verbesserung der Resultate von gesundheitsbezogenen Handlungskonzepten, Angeboten und entsprechender Kommunikation;
- Zusage personeller und finanzieller Ressourcen für die Arbeit im Bereich verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse und Gewährleistung ihrer Nachhaltigkeit; und
- Umsetzung strategischer Pläne für die Anwendung verhaltensbezogener und kultureller Erkenntnisse zugunsten von mehr Gesundheit.
Ehrgeizige Ziele für 2026
Im ersten Sachstandsbericht, der die Arbeit in den Jahren 2021 und 2022 umfasst, werden die Fortschritte wie auch die Herausforderungen für die Gesundheitsbehörden dargestellt.
„Wir befinden uns an einem entscheidenden Punkt, denn dies ist der erste Bericht an die WHO seit der Resolution. Die Ergebnisse zeigen, dass es noch viel zu tun gibt, um die ehrgeizigen Ziele für 2026 zu erreichen“, erklärte Katrine Bach Habersaat, Regionalbeauftragte für verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse bei WHO/Europa. „Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam die Herausforderungen erfolgreich meistern und Lücken schließen können, damit wir verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse sinnvoller nutzen und die gesundheitlichen Herausforderungen und die wichtigsten Todesursachen unserer Zeit angehen können.“
Erfreuliche Fortschritte im Bereich BCI
Erfreulicherweise werden in dem Bericht positive Fortschritte in der Forschung auf diesem Gebiet hervorgehoben: so führen 56 % der Gesundheitsbehörden Studien in verschiedenen Gesundheitsbereichen durch.
Bei drei Vierteln (73 %) der Gesundheitsbehörden sind verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse in die Entwicklung und Verbesserung der Gesundheitspolitik, des Leistungsangebots und der Kommunikation eingeflossen, etwa durch evidenzbasierte Strategien, Kampagnen, Schreiben und Ratgeber sowie durch neu gestaltete Patientenhilfsmittel und -interventionen.
Der Bereich BCI ist unterfinanziert und unzureichend ausgestattet
In dem Bericht wird auf Probleme bei der Ressourcenausstattung hingewiesen, die den Handlungsbedarf verdeutlichen. Zwar stehen teilweise spezielle Gelder und spezielles Personal zur Verfügung, doch reichen diese für eine systematische Anwendung in verschiedenen Gesundheitsbereichen nicht aus. 69 % der Gesundheitsbehörden geben an, nur über begrenzte Ressourcen zu verfügen, 31 % haben keine.
Der Handlungsappell ist klar: die wachsende Anerkennung verhaltensbezogener und kultureller Erkenntnisse als wesentlicher Lösungsansatz im öffentlichen Gesundheitswesen muss sich in nachhaltiger Finanzierung und Personalausstattung sowie entsprechenden Strukturen niederschlagen. Dazu sind auch die Weiterbildung von Personal und die Förderung von Kooperationen mit wissenschaftlichen Einrichtungen erforderlich.
Zunehmende strategische Anwendung verhaltensbezogener und kultureller Erkenntnisse
Über die Zuteilung von Ressourcen hinaus ist die ganzheitliche Einbettung verhaltensbezogener und kultureller Erkenntnisse in Gesundheitsstrategien und Planungsprozesse von entscheidender Bedeutung, doch nur 10 % der Gesundheitsbehörden verfügen derzeit über eine spezielle nationale Strategie oder einen Plan zur Anwendung solcher Erkenntnisse im Gesundheitswesen. Als Zielvorgabe für 2026 wurden mindestens 38 % festgelegt; dies unterstreicht die Notwendigkeit von Veränderungen hinsichtlich der Art, wie verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse bei Entscheidungsprozessen herangezogen werden.
„Regierungen und Gesundheitsbehörden müssen einen evidenzbasierten Ansatz anwenden, indem sie die Kluft zwischen denjenigen, die die Ursachen von Verhaltensweisen erforschen, und den Entscheidungsträgern überbrücken“, erklärte Julika Loss, Leiterin des Fachgebiets Gesundheitsverhalten am Robert Koch-Institut in Deutschland.
Deshalb müssen die Gesundheitsbehörden Mechanismen festlegen, die eine fachübergreifende Zusammenarbeit und eine Einbeziehung verhaltensbezogener und kultureller Erkenntnisse ermöglichen, um eine stärkere und durchschlagendere Wirkung in allen Bereichen des Gesundheitsschutzes zu erzielen.
Blick nach vorn
„Es war ein Meilenstein, als auf der 76. Weltgesundheitsversammlung im Mai 2023 zusätzlich zu der Resolution der Europäischen Region eine globale Resolution über Verhaltenswissenschaften im Dienste der Gesundheit angenommen wurde, um die Anwendung evidenzbasierter Ansätze auf das Gesundheitsverhalten weltweit voranzutreiben. Wenn wir die Ziele für die Umsetzung verhaltensbezogener und kultureller Erkenntnisse bis 2026 erreichen wollen, sind die Resolutionen der WHO, der Handlungsrahmen und die Berichtspflichten wichtige Triebkräfte für einen solchen Wandel“, fügte Katrine Bach Habersaat, Regionalbeauftragte für verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse bei WHO/Europa, hinzu.
„Die WHO und ihre Partnerorganisationen spielen eine Schlüsselrolle bei der Einrichtung von Plattformen und Dialogen für die Länder, der Überzeugungsarbeit gegenüber Entscheidungsträgern, dem Austausch von Erfolgsgeschichten und dem Aufbau von Kapazitäten“, sagte Robb Butler, Direktor der Abteilung Übertragbare Krankheiten, Umwelt und Gesundheit bei WHO/Europa. „Wir müssen gemeinsam darauf hinarbeiten, den Kapazitätsaufbau zu erreichen, der erforderlich ist, um die durch verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse eröffneten Chancen im Hinblick auf die Bewältigung kritischer Herausforderungen für die öffentliche Gesundheit voll auszuschöpfen.“
Um die Hindernisse, vor denen die Gesundheitsbehörden stehen, genauer zu untersuchen, hat das Referat BCI bei WHO/Europa eine Interviewstudie durchgeführt, die 2024 veröffentlicht werden soll.
Der nächste Sachstandsbericht ist für März 2025 vorgesehen und wird sich auf den Zeitraum 2023–2024 beziehen.
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Dieser Artikel wurde am 15. Januar 2024 aktualisiert, um Änderungen hinsichtlich der Zuweisung des Zitats wiederzugeben und das Gremium zu nennen, das die globale Resolution angenommen hat.