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Gesundheit im Mittelpunkt des Wiederaufbaus nach COVID-19: Europäische Region der WHO vor schwierigen Entscheidungen, die ihre Zukunft maßgeblich prägen werden

10 March 2022
Pressemitteilung
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Europäischer Gesundheitsbericht 2021 weist den Weg nach vorn

Kopenhagen,  10. März 2022

Angesichts der weitreichenden Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in der Europäischen Region der WHO stehen die Länder der Region bei der Bekämpfung gesundheitlicher Benachteiligungen und der Verwirklichung der gesundheitsbezogenen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) bis 2030 vor gewaltigen Herausforderungen. Es besteht jedoch noch eine entscheidende Chance, sofern Regierungen und Gesundheitsbehörden die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, so das Fazit des heute vom WHO-Regionalbüro für Europa veröffentlichten zukunftsweisenden Europäischen Gesundheitsberichts 2021.

Die jüngste Fassung des alle drei Jahre veröffentlichten Berichts zieht Bilanz über die in der Europäischen Region hinsichtlich der SDG-Gesundheitsindikatoren erzielten Fortschritte. Zu diesen Indikatoren zählen etwa die Verwirklichung einer allgemeinen Gesundheitsversorgung, nichtübertragbare Krankheiten und der Bereich Umwelt und Gesundheit. Darüber hinaus legt der Bericht dar, inwiefern die COVID-19-Pandemie die Bemühungen der Länder um die Verwirklichung entscheidender Zielvorgaben beeinträchtigt hat.

Zudem enthält er erstmals eine Reihe von Prognosen zu gesundheitlichen Auswirkungen in drei unterschiedlichen Szenarien: es werden keinerlei strategische Maßnahmen ergriffen, um die Region wieder auf Kurs zu bringen; die Fortschritte werden beschleunigt und gestärkt; oder die Fortschritte werden weiter verlangsamt und verwässert.

„Wir haben an dieser Stelle nach fast zwei Jahren Pandemie wichtige Entscheidungen zu treffen“, erklärte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa. „Wir können dem Gesundheitswesen wie nie zuvor Priorität einräumen und uns besonders auf lange Zeit vernachlässigte Themen wie etwa die psychische Gesundheit konzentrieren und in diesem Zusammenhang die Gesundheitssysteme und das Gesundheitspersonal als wesentliche Säulen des sozioökonomischen Wiederaufbaus und als entscheidend für die Vorbereitung auf künftige Krisen anerkennen. Oder wir können diese Chance verpassen und die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung aufs Spiel setzen und die Gesundheitssicherheit einzelner Länder sowie unserer gesamten Region untergraben. Die richtige Wahl liegt auf der Hand.“

Aus dem Bericht geht Folgendes hervor:

  • Alle Länder in der Europäischen Region der WHO haben die SDG-Zielvorgabe einer Müttersterblichkeitsrate von unter 70 pro 100 000 Lebendgeburten bis 2030 erfüllt. Die durchschnittliche Rate in der Region liegt bei 13 pro 100 000 Lebendgeburten (Stand: 2017).
  • Nahezu alle Länder in der Region haben die SDG-Zielvorgabe einer Sterblichkeitsrate bei Neugeborenen und Kindern von unter 12 bzw. 25 Todesfällen pro 1000 Lebendgeburten erfüllt. Die durchschnittliche Rate in der Region liegt bei 4 bzw. 8 Todesfällen pro 1000 Lebendgeburten.
  • Darüber hinaus verzeichnet die Region uneinheitliche Fortschritte bei der vorzeitigen Sterblichkeit aufgrund von nichtübertragbaren Krankheiten. Zwischen 2010 und 2018 ging die vorzeitige Sterblichkeit aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen um fast 20% und die vorzeitige Sterblichkeit aufgrund von Krebserkrankungen um fast 10% zurück, wobei nach wie vor mehr als 20% aller Todesfälle auf Krebserkrankungen zurückzuführen sind – ein Zustand, der durch die Folgen der Pandemie für Krebsvorsorgeuntersuchungen und die Krebsbehandlung noch weiter verschärft wurde.

Trotz dieser ermutigenden Tendenzen enthält der Bericht zudem folgende Erkenntnisse:

  • Die Pandemie hatte beispiellose Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Menschen in der Region. Vorläufige Erkenntnisse deuten darauf hin, dass zwar Männer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren die deutlichste Verschlechterung des psychischen Wohlbefindens verzeichneten, jedoch Frauen der Altersgruppen 18–24 Jahre und 35–44 Jahre insgesamt das niedrigste Niveau psychischen Wohlbefindens aufwiesen.
  • Suizid ist nach wie vor eine wichtige Ursache für vorzeitige Sterblichkeit. Trotz abnehmender Tendenz verzeichnet die Region weiterhin weltweit die höchste altersstandardisierte Sterblichkeit aufgrund von Suizid. Im Jahr 2019, also noch vor Beginn der Pandemie, starben 119 000 Menschen in der Region infolge eines Suizids.
  • Die Europäische Region ist eine von zwei Regionen der WHO, in denen die Zahl der HIV-Infektionen ansteigt. Zwischen 2015 und 2019 stieg die Zahl der HIV-Neuinfektionen um 6% gemessen an der Zahl Nicht-Infizierter (pro 1000).
  • Auch die finanzielle Absicherung stellt in der Region nach wie vor eine Herausforderung dar. Zwischen 1% und 19% aller Haushalte in allen Teilen der Region hat mit ruinösen Gesundheitsausgaben – also der Unfähigkeit eines Haushalts, aufgrund der hohen Kosten für Gesundheitsleistungen zu zahlen – zu kämpfen.
  • COVID-19 hat die Gesundheitssysteme über alle Maßen beansprucht und die Gesundheitsversorgung erheblich beeinträchtigt. 2020 waren in den ersten paar Monaten der Pandemie 40% aller unentbehrlichen Gesundheitsleistungen in der Region zumindest teilweise beeinträchtigt. Dieses Muster setzte sich auch 2021 fort: während der ersten drei Monate des Jahres blieben noch rund 29% aller Gesundheitsleistungen zumindest teilweise beeinträchtigt.
  • Bei nichtübertragbaren Krankheiten konnten jüngst zwar Fortschritte bei der Bekämpfung von Risikofaktoren wie Alkohol- und Tabakkonsum erzielt werden, doch rauchen nach wie vor 26% der erwachsenen Bevölkerung (während der weltweite Durchschnitt bei 23,6% liegt) und trinken Erwachsene durchschnittlich 9,5 Liter reinen Alkohol pro Jahr (während der weltweite Durchschnitt bei 5,8 Litern liegt).
  • Nahezu jedes dritte Kind in der Europäischen Region leidet an Übergewicht oder Adipositas.

Künftige Möglichkeiten

Erstmals enthält der aktuelle Europäische Gesundheitsbericht Projektionen auf Grundlage von Gesundheitsprognosen, die vom Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) an der medizinischen Fakultät der University of Washington in Seattle (USA) erstellt wurden.

Diese Prognosen stützen sich auf drei mögliche Szenarien bis zum Jahr 2030 für 12 SDG Gesundheitsindikatoren:

  • Das „Referenz-Szenario“ ist das, was das IHME auf Grundlage vergangener Trends erwartet.
  • Das „bessere“ Szenario ist das, was nach den Erwartungen des IHME geschehen würde, wenn alle Länder ihre Fortschritte erheblich beschleunigen.
  • Das „schlechtere“ Szenario ist das, was nach den Erwartungen des IHME in allen Ländern geschehen würde, wenn die Fortschritte verlangsamt werden.

Am Beispiel der HIV-Inzidenz in der Region zeigen die Prognosen des IHME etwa, dass die Infektionsraten im Referenz-Szenario auf Grundlage der gegenwärtig ergriffenen Maßnahmen auf dem gleichen Niveau wie im Jahr 2010 bleiben würden. Im besseren Szenario würden sie sich dem angestrebten Niveau der SDG Zielvorgaben annähern, dieses jedoch nicht vollständig erreichen. Und im schlechteren Szenario würden sie erheblich ansteigen.

Im Hinblick auf einen weiteren SDG-Gesundheitsindikator, Gewalt gegen Frauen durch einen Intimpartner – eine Geißel, die sich während der Lockdowns in der Pandemie erheblich zuspitzte –, offenbaren die Prognosen des IHME, dass die Prävalenz im besseren Szenario bis 2030 im Vergleich zu 2015 um 5% sinken, im schlechteren Szenario jedoch um 3% ansteigen könnte.

„Der zukunftsweisende Bericht enthält viele Erfolgsgeschichten, wie etwa die anhaltende Senkung der Kinder- und Müttersterblichkeit oder die Fortschritte bei der Eindämmung von Todesfällen aufgrund von Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, erläuterte Dr. Christopher Murray, Direktor des IHME. „Doch die bei unterschiedlichen Indikatoren erzielten Erfolge bleiben fragil. Unsere Prognosen unterstreichen eindeutig, dass es für die Länder dringend erforderlich ist, ihre Anstrengungen zur Erzielung positiver gesundheitlicher Resultate an zahlreichen Fronten zu intensivieren.“

„Glücklicherweise verfügt die Region über einen Fahrplan, dem sie folgen kann – unser zukunftsorientierter Fünf-Jahres-Plan, der von den Mitgliedstaaten im Jahr 2020 einstimmig angenommen wurde“, fuhr Dr. Kluge fort. „Das Europäische Arbeitsprogramm verfolgt eine Neuausrichtung der gesundheitlichen Prioritäten in zentralen Bereichen und Säulen und sieht gemeinsame Maßnahmen für mehr Gesundheit durch Regierungen, die Zivilgesellschaft und andere maßgebliche Partner vor. Auch wenn wir die erheblichen Fortschritte der Region anerkennen wollen, sollten wir doch die im Europäischen Gesundheitsbericht enthaltenen Warnungen beachten, wenn wir uns der Zukunft nach COVID-19 zuwenden.“

Für weitere Auskünfte, einschließlich Interviewanfragen, wenden Sie sich bitte an: 


Bhanu Bhatnagar: bbhatnagar@who.int 
Ramy Srour: srourr@who.int 
Das Pressebüro des WHO-Regionalbüros für Europa: eupress@who.int