WHO
© Credits

Bericht der WHO präsentiert neuen Ansatz zur Reduzierung der Risiken für nichtübertragbare Krankheiten im Strafvollzug

10 May 2022
Pressemitteilung
Reading time:
Nichtübertragbare Krankheiten zählen zu den größten gesundheitlichen Bedrohungen für die Insassen von Haftanstalten – doch es fehlt immer noch an Konzepten zur Bewältigung dieses ernsten Problems. In dem neuen Bericht der WHO mit dem Titel „Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten in Haftanstalten in der Europäischen Region der WHO: Interventionen und Handlungsoptionen“ werden die neuesten Daten ausgetauscht und wird ein erneuerter Ansatz zur Reduzierung dieser Risiken präsentiert, der allen Mitgliedstaaten Nutzen bringen soll.

Nichtübertragbare Krankheiten in Haftanstalten: Prioritätensetzung und Investitionen erforderlich

In der Europäischen Region befinden sich derzeit mehr als 1,5 Mio. Menschen in Haft, und ihre Gesundheit ist anfälliger als die der übrigen Bevölkerung außerhalb der Gefängnismauern. 

„Nichtübertragbare Krankheiten sind für 71% der Todesfälle weltweit verantwortlich und stellen eine Herausforderung für die Gesundheitssysteme dar. Doch sie werden nur in unzureichendem Maße als ernstes Problem für die Gesundheit im Strafvollzug erkannt, da in Haftanstalten traditionell der Schwerpunkt auf der Prävention von Infektionskrankheiten und Verletzungen liegt“, erklärte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa.

„Die insgesamt unzureichenden Investitionen der Gesellschaft im Bereich der nichtübertragbaren Krankheiten werden im Strafvollzug noch verschärft, wo nichtübertragbare Krankheiten immer noch nicht als Priorität betrachtet werden.“

Nach Schätzungen bewegen sich weltweit jährlich etwa 30 Mio. Menschen, die zum Großteil verschiedenen Benachteiligungen ausgesetzt sind, zwischen Strafvollzug und Gesellschaft. Für manche Menschen ist die Haftanstalt der Ort, an dem sie zum ersten Mal in ihrem Leben Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten.

Nach der neuen Publikation der WHO sollen Konzepte zur Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten in Haftanstalten an mehr Einflussfaktoren ansetzen als zuvor, sich an den von der WHO empfohlenen Ansätzen orientieren und sowohl bei der Gestaltung als auch bei der Umsetzung von Interventionen und Konzepten die besonderen Gegebenheiten im Strafvollzug gebührend berücksichtigen.

Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen, Krebserkrankungen und psychische Gesundheit in Haftanstalten: zentrale Fakten

In dem Bericht der WHO werden die Daten aus jüngsten Forschungsarbeiten über Benachteiligungen für die Insassen von Haftanstalten in Bezug auf nichtübertragbare Krankheiten zusammengefasst.

  • In der Europäischen Region ist die Prävalenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Häftlingen über 50 Jahren über dreimal so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung.
  • Die Wahrscheinlichkeit einer Atemwegserkrankung wie Asthma und chronisch obstruktive Lungenerkrankung gilt für Häftlinge als drei- bis sechsmal so hoch wie für die übrige Gesellschaft.
  • Verglichen mit der Allgemeinbevölkerung weisen Häftlinge zwei- bis viermal häufiger psychotische Erkrankungen und schwere Depressionen und zehnmal häufiger antisoziale Persönlichkeitsstörungen auf.
  • Daten aus Kanada und den Vereinigten Staaten zeigen, dass die Insassen von Haftanstalten vier- bis fünfmal häufiger mit Gebärmutterhalskrebs diagnostiziert werden und ein 1,4- bis 1,6-fach höheres krebsbedingtes Sterberisiko tragen als die übrige Bevölkerung.
  • Menschen mit chronischen Vorerkrankungen sind bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 einem höheren Risiko für einen schweren oder tödlichen Verlauf von COVID-19 ausgesetzt.   

Neuer Ansatz zur Reduzierung der Risiken für nichtübertragbare Krankheiten im Strafvollzug

Seit einigen Jahrzehnten konzentriert sich die WHO auf die vier im Strafvollzug wichtigsten Risikofaktoren: Tabak- und Alkoholkonsum, Bewegungsmangel und unausgewogene Ernährung. Doch in diesem Bericht der WHO wird eine erneuerte Vision präsentiert, die auch Faktoren wie Umweltbelastungen und systembedingte Faktoren in der Gesundheitsversorgung als besorgniserregend herausstellt. 

„In Haftanstalten überschneiden sich oft viele Risikofaktoren und haben einen kumulativen negativen gesundheitlichen Effekt “, erklärte Dr. Carina Ferreira-Borges, Leiterin des Programms für Alkohol, illegale Drogen und Gesundheit im Strafvollzug bei WHO/Europa.

„So sind umweltbedingte Risiken nach Schätzungen für fast ein Viertel aller Todesfälle verantwortlich, und ein mangelnder Zugang zur Gesundheitsversorgung kann zu Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes führen, die unversorgt leicht chronisch werden können.“ 

In dem Bericht der WHO wird die Notwendigkeit hervorgehoben, dass Haftanstalten umfassendere Daten erheben und miteinander austauschen, um zu wirksameren Handlungskonzepten zu gelangen. Um beim Gesundheitspersonal von Haftanstalten eine entsprechende Kompetenz aufzubauen, hat das Europäische Büro der WHO für die Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten eine spezielle Schulung mit dem Titel „Neuerungen in Handlungskonzepten und Maßnahmen zur Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten: ein Kurs für das Gesundheitspersonal im Strafvollzug“ angekündigt. Die WHO lädt alle Mitgliedstaaten zur Teilnahme ein.