Tuberkulose (Tb) ist nach wie vor eine der weltweit häufigsten Todesursachen unter den Infektionskrankheiten, die jedes Jahr 1.4 Mio. Todesfälle verursacht und Millionen weitere Menschen infiziert. Tuberkulosepatienten müssen sich monate- oder sogar jahrelang einer schwierigen Behandlung unterziehen, die erhebliche Auswirkungen auf ihre Familien und Gemeinschaften hat.
In Partnerschaft mit polnischen und ukrainischen Gesundheitsbehörden, polnischen Gesundheitsinstituten und Ärzte ohne Grenzen hat die WHO ein umfassendes Projekt gestartet, dessen Ziel es ist, innovative, patientenorientierte Ansätze für die Versorgung von Menschen mit Tuberkulose und ihrer arzneimittelresistenten Form (DR-Tb) bereitzustellen.
Über dieses Projekt werden Patienten mit DR-Tb – vorrangig ausländische Staatsangehörige, darunter Flüchtlinge aus der Ukraine – in die Lage versetzt, eine von der WHO empfohlene vollständig orale Behandlung in ihrem eigenen Zuhause zu erhalten, ohne die Notwendigkeit eines Krankenhausaufenthalts.
Pilotprojekt
Im Rahmen der anhaltenden Bemühungen um die Verbesserung der Qualität und Zugänglichkeit der Tuberkulose-Diagnose und -Behandlung in Polen besuchten Vertreter der WHO die Stadt Jaroszowiec im Süden des Landes. Die 39 km nordwestlich der regionalen Hauptstadt Krakau gelegene Kleinstadt hat seit Beginn des Krieges viele Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen.
Ein Krankenhaus in Jaroszowiec, das auf Lungenkrankheiten spezialisiert ist, erprobt derzeit ein patientenorientiertes Versorgungsmodell für neu diagnostizierte Patienten sowie jene, die nach wie vor auf Behandlung und Nachsorge angewiesen sind, darunter lokale Patienten, Ukrainer sowie Staatsbürger aus anderen Ländern.
Die ukrainische Lungenspezialistin Dr. Ivanna Mazur, die selbst aus Ternopil geflohen ist und für das polnische Gesundheitssystem in dem Krankenhaus arbeitet, erläutert, wie die Therapie funktioniert und warum dieses neue Versorgungsmodell so wichtig ist. „Patienten, die sich ohne strikte Überwachung an einen Behandlungsplan halten können, kommen für eine Therapie im heimischen Umfeld in Frage und werden mit DR-Tb-Medikamenten wie Bedaquilin, Delamanid und Clofazimin versorgt. Diese Medikamente, die zuvor im polnischen Gesundheitssystem nicht allgemein verfügbar waren, wurden dank der WHO an das Projekt gespendet.“
Dr. Mazur fährt fort: „Um die Befolgung der Behandlung zu gewährleisten, werden die Patienten aus der Ferne über tägliche Videoanrufe überwacht, bei denen eine Gesundheitsfachkraft ihnen dabei zuschaut, wie sie ihre Medikamente einnehmen, und eine korrekte Einnahme sicherstellt. Die Behandlung zu Hause ermöglicht ihnen, ihrer gewohnten Arbeit nachzugehen, Sozialkontakte aufrechtzuerhalten und ein normales Leben mit nur minimalen Beeinträchtigungen zu führen. Dies ist für die Patienten entscheidend, insbesondere für Flüchtlinge, die alleinerziehende Mütter sind und niemanden sonst haben, der monatelang auf ihre Kinder aufpassen könnte, wenn sie stationär im Krankenhaus behandelt werden müssten.“
Versorgungsbarrieren
Im Jahr 2020 wurden in Polen insgesamt 3388 Tuberkulosefälle diagnostiziert, von denen nur 38 eine multiresistente Tuberkuloseform (MRD-Tb) aufwiesen. Schätzungen der WHO gehen davon aus, dass die Zahl der ukrainischen Flüchtlinge mit DR-Tb in Polen bei rund 230 liegt, doch nur 46 von ihnen werden gegenwärtig behandelt.
Eine der Barrieren für die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe für ukrainische Flüchtlinge ist die Aussicht auf einen längeren Krankenhausaufenthalt, insbesondere für alleinerziehende Eltern und alleinverantwortliche Familienvorstände. Eine weitere ist die Stigmatisierung der Krankheit. Dr. Mazur betont: „Patienten mit Tuberkulose sollten niemals stigmatisiert werden. Tuberkulose ist behandelbar und heilbar, so wie viele andere Krankheiten auch. In Polen ist die Behandlung kostenlos, sowohl für polnische Staatsangehörige als auch für Flüchtlinge.“
Sie erzählt, dass ihre Mutter als Pflegekraft in einem Krankenhaus für Lungenkrankheiten in der Ukraine tätig war, und dass sie ihr während ihres Medizinstudiums oft auf der Station ausgeholfen hat. „Durch diese Erfahrung habe ich gelernt, wie man Patienten angemessen versorgt und verschiedene Medikamente miteinander kombiniert, um die Behandlung effektiver zu machen. Ich habe miterlebt, wie Menschen geheilt wurden und in der Lage waren, ihr alltägliches Leben fortzusetzen. Eine korrekte und frühzeitige Tuberkulosediagnose ist entscheidend für eine wirksame Patientenbetreuung. Es ist von größter Bedeutung, dass die Betroffenen kontinuierlich Zugang zu Medikamenten haben. Heute bin ich froh, dass ich Menschen helfen und mein Wissen und meine Erfahrungen mit meinen polnischen Kollegen in Jaroszowiec teilen kann.“
Innovative Lösungen
Das Projekt wurde am 16. August 2022 mit fachlicher Unterstützung vonseiten der WHO, des polnischen Instituts für Tuberkulose und Lungenkrankheiten und Ärzte ohne Grenzen gestartet. Die dezentralisierte Tuberkulosebehandlung und das entsprechende Versorgungsmodell wurden bereits in 18 Behandlungseinrichtungen probeweise umgesetzt, in denen angemessene Kapazitäten und fachliche Hilfe bereitgestellt werden.
Dr. Paloma Cuchí, Repräsentantin der WHO in Polen, erklärt: „Dieses Pilotprojekt war dringend notwendig, um die ukrainischen Flüchtlinge zu unterstützen, und wird auch der polnischen Bevölkerung zugutekommen, indem es innovative Lösungen für Patienten liefert, die auf eine komplexe medizinische Tuberkulosebehandlung angewiesen sind.“
Sie fügt hinzu: „Das Projekt ist zudem Zeugnis des mutigen Handelns und des Engagements der polnischen Gesundheitsbehörden, neue Ansätze zur Behandlung dieser alten Krankheit zu verfolgen. Wir gehen davon aus, dass das neue Modell zu besseren Behandlungsergebnissen führen, mehr Menschenleben retten und helfen wird, Leid zu lindern.“
Das Projekt basiert auf einer organisationsübergreifenden Partnerschaft, die vom polnischen Institut für Tuberkulose und Lungenkrankheiten koordiniert und von der polnischen Gesellschaft für Atemwegserkrankungen, Ärzte ohne Grenzen, der Staatlichen Behörde für strategische Reserven sowie dem polnischen und dem ukrainischen Gesundheitsministerium unterstützt wird. Die WHO spendet Medikamente und Geräte und leistet fachliche und methodische Unterstützung.
Dieser Artikel wurde am 12. Mai 2023 berichtigt. Eine frühere Version verwies fälschlicherweise darauf, dass Tuberkulose jährlich 4 Mio. Todesfälle verursacht. Tatsächlich hätte es „1,4 Mio. Todesfälle“ heißen müssen.
Dieser Artikel wurde am 12. Mai 2023 berichtigt. Eine frühere Version verwies fälschlicherweise darauf, dass Tuberkulose jährlich 4 Mio. Todesfälle verursacht. Tatsächlich hätte es „1,4 Mio. Todesfälle“ heißen müssen.