Kopenhagen, 12. Juni 2025
Aus einem neuen Bericht von WHO/Europa und der European Respiratory Society geht hervor, dass chronische Atemwegserkrankungen – Asthma, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und andere Lungenkrankheiten – in der gesamten Europäischen Region der WHO erheblich unterdiagnostiziert, unzureichend behandelt und in ihren Auswirkungen auf die Gesundheitssysteme deutlich unterschätzt werden. In dem ersten derartigen Bericht der WHO wird das wahre Ausmaß des Problems verdeutlicht und dringendes, koordiniertes Handeln gefordert.
Obwohl sie häufig vermeidbar und behandelbar sind, gehören chronische Atemwegserkrankungen zu den Hauptursachen für Behinderungen und Todesfälle in der Europäischen Region, insbesondere als Grundursachen für Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen. Sie sind aktuell die sechsthäufigste Todesursache.
Es ist besorgniserregend, dass die diagnostischen Möglichkeiten und Instrumente, wie z. B. Spirometrie, nach wie vor begrenzt sind, dass in der primären Gesundheitsversorgung häufig Fehldiagnosen gestellt oder Überweisungen verzögert werden und dass die Gesundheitsberufe nicht ausreichend geschult sind, um chronische Atemwegserkrankungen frühzeitig zu erkennen. Hohe Raten von Komorbiditäten und Komplikationen, unzureichende Gesundheitsinformationen und schwache Meldesysteme können dazu führen, dass die Todesursache falsch zugeordnet wird und so die wahren Auswirkungen unbehandelter chronischer Atemwegserkrankungen verschleiert werden.
„Dieser Bericht verdeutlicht, dass chronische Atemwegserkrankungen, von denen 81,7 Mio. Menschen in der Europäischen Region der WHO betroffen sind, aufgrund mangelnder Aufmerksamkeit seitens der Politik und unzureichender Finanzierung lange Zeit übersehen worden sind. Diese Vernachlässigung hat zu Unterdiagnosen, Fehldiagnosen und unvollständigen Daten geführt, und das kostet die Europäische Region nach Schätzungen jährlich 21 Mrd. Dollar“, erklärt Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa.
„Um dies zu ändern, müssen wir die Gesundheitssysteme stärken, indem wir die Behandlung chronischer Atemwegserkrankungen zu einem zentralen Bestandteil umfassenderer Strategien zur Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten machen. Prävention ist der Schlüssel – die Bekämpfung von Risiken wie Rauchen, Luftverschmutzung und unsicheren Arbeitsbedingungen. Außerdem müssen wir Forschung und Innovation fördern, messbare Ziele setzen und in Daten und Wissenschaft investieren.“
Chronische Atemwegserkrankungen verschwinden von der Tagesordnung
Während frühere Fortschritte zu einem Rückgang der Sterblichkeit aufgrund chronischer Atemwegserkrankungen führten, wird in dem Bericht hervorgehoben, dass dieser Erfolg ironischerweise zu einer Verringerung der Forschungsmittel und zu einer Schwächung der Krankheitsüberwachung geführt hat. Obwohl globale Daten vorhanden sind, gibt es doch Defizite bei der Weiterverfolgung in der Europäischen Region und bei der Abstimmung der Maßnahmen. Obwohl 81,7 Mio. Menschen in der Europäischen Region mit einer chronischen Atemwegserkrankung leben und jedes Jahr 6,8 Mio. neu diagnostiziert werden, gehören diese Krankheiten nicht mehr zu den politischen Prioritäten, sodass Millionen Menschen nicht die Versorgung und Aufmerksamkeit erhalten, die sie benötigen.
COPD und Asthma machen einen Großteil der Fälle chronischer Atemwegserkrankungen in der Europäischen Region aus, und COPD ist für 80 % der durch chronische Atemwegserkrankungen bedingten Todesfälle verantwortlich. Prognosen zufolge wird die Zahl der COPD-Fälle zwischen 2020 und 2050 weltweit um 23 % steigen, wobei die stärkste Zunahme bei Frauen und in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen zu erwarten ist. Auch die Zahl der Krankenhausaufenthalte und Todesfälle aufgrund von Asthma ist nach wie vor hoch, insbesondere bei jungen Menschen, obwohl wirksame Therapien zur Verfügung stehen.
Tabakkonsum und Luftverschmutzung als Ursachen für die krisenhafte Zunahme von Atemwegserkrankungen
Chronische Atemwegserkrankungen wie Asthma, COPD und andere Lungenkrankheiten sind in der gesamten Europäischen Region auf dem Vormarsch, obwohl die Risikofaktoren weitgehend vermeidbar sind. Zu diesen gehören vor allem der Tabakkonsum und die Belastung durch verschmutzte Raum- und Außenluft.
Tabakkonsum ist nach wie vor die am meisten vermeidbare Ursache für Atemwegserkrankungen in der Europäischen Region, in der 25,3 % der Erwachsenen immer noch rauchen – weit über dem weltweiten Durchschnitt von 20,9 %. Der Konsum von E-Zigaretten und erhitzten Tabakerzeugnissen durch Jugendliche ist auch mit potenziell lebenslangen Gesundheitsrisiken wie etwa Lungenschäden verbunden.
Gleichzeitig atmen über 90 % der Menschen in der Europäischen Region Luft ein, die mit gefährlichen Feinstaubwerten belastet ist, die weit über den Sicherheitsrichtlinien der WHO liegen.
Fehlende Ziele, Investitionen, Rehabilitation und Palliativversorgung
Prof. Silke Ryan, Präsidentin der European Respiratory Society, sagt: „Wir atmen täglich 22 000 Mal, doch die Gesundheit der Atemwege ist nach wie vor einer der am meisten vernachlässigten Bereiche in der globalen Gesundheitspolitik. Chronische Atemwegserkrankungen sind eine wesentliche, aber zu wenig beachtete Ursache für Tod und Behinderung und erfordern dringende, gemeinsame Maßnahmen. Dieser Bericht ist ein wichtiger erster Schritt zur Veränderung. Es ist an der Zeit, umzudenken und die Gesundheit der Atemwege in der gesamten Europäischen Region zu einer politischen Priorität zu machen.
Der Bericht weist auch auf die wirtschaftlichen Kosten der Untätigkeit hin: Die Produktivitätsverluste aufgrund von chronischen Atemwegserkrankungen bei Menschen im Alter von 30 bis 74 Jahren werden regionsweit auf über 20 Mrd. US-$ geschätzt. In benachteiligten Bevölkerungsgruppen, die häufiger Rauch in Innenräumen und unsicheren Arbeitsumgebungen ausgesetzt sind und nur begrenzten Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln haben oder sie nicht bezahlen können, werden diese Risikofaktoren oft noch verstärkt.
Aufruf zum Handeln im Vorfeld der diesjährigen Tagung der Vereinten Nationen auf hoher Ebene
Im Vorfeld der im September 2025 stattfindenden Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen auf hoher Ebene über die Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten und die Förderung der psychischen Gesundheit appelliert WHO/Europa an die Regierungen, die Zivilgesellschaft und das Gesundheitswesen, den chronischen Atemwegserkrankungen im Rahmen umfassenderer Strategien für nichtübertragbare Krankheiten Priorität einzuräumen.
„Chronische Atemwegserkrankungen stehen in engem Zusammenhang mit anderen nichtübertragbaren Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenkrebs, Diabetes und psychischen Erkrankungen“, erklärt Dr. Gauden Galea, Strategischer Berater des WHO-Regionaldirektors für Europa.
Er fügt hinzu: „Dieser erste derartige Bericht der Europäischen Region zeigt, wie durch integrierte Maßnahmen Todesfälle aufgrund vermeidbarer und behandelbarer Ursachen reduziert werden können. Mit Hilfe von vielversprechenden Optionen und schnellen Erfolgsrezepten – bewährten, kosteneffektiven Interventionen mit messbaren Auswirkungen auf die Gesundheit – könnten wir innerhalb von fünf Jahren echte Fortschritte erzielen. Dieser Bericht gibt den Ländern praktische Lösungen und gemeinsame Erfahrungen an die Hand, um im Rahmen eines lebenslangen Ansatzes dazu beizutragen, eine widerstandsfähige Europäische Region zu schaffen, die bis 2050 in den Bereichen nichtübertragbare Krankheiten und psychische Gesundheit gerüstet ist.“