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Neue Einschätzung der WHO verdeutlicht Resilienz der primären Gesundheitsversorgung in der Ukraine inmitten des Krieges

12 October 2023
Pressemitteilung
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Obwohl fast die Hälfte der Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung in der Ukraine kriegsbedingte Personalausfälle verzeichnet, konnte die Mehrheit von ihnen mit dem vorhandenen Personal doch weiterhin die gesundheitliche Grundversorgung aufrechterhalten. So lautet das Fazit einer vor Kurzem veröffentlichten Einschätzung der WHO zur Kontinuität der gesundheitlichen Grundversorgung während des Krieges in der Ukraine. 

Das Volumen der erbrachten Leistungen änderte sich in zwei Dritteln der Einrichtungen infolge des geringeren Patientenaufkommens in manchen Regionen bei gleichzeitigem Anstieg in anderen Regionen. Das erhöhte Leistungsvolumen war vor allem auf die Versorgung nicht registrierter Patienten oder auf veränderte Bedürfnisse der Patienten infolge der Kampfhandlungen zurückzuführen. 

Die primäre Gesundheitsversorgung in der Ukraine stand bereits seit der COVID-19-Pandemie unter Druck und war seit dem 24. Februar 2022 aufgrund des ausgewachsenen Kriegs zusätzlichen Härten ausgesetzt. Der Krieg bringt neue Herausforderungen für den Zugang zur Gesundheitsversorgung mit sich und hat erhebliche Auswirkungen auf die gesundheitlichen Bedürfnisse der Bevölkerung und die Kontinuität der Versorgung.

Die neue Publikation „Kontinuität der gesundheitlichen Grundversorgung während des Kriegs in der Ukraine“, die im Zuge von zwei Umfragen 2021 sowie einer dritten Runde Anfang 2023 erstellt wurde, verdeutlicht die Auswirkungen sowohl der COVID-19-Pandemie als auch des Kriegs auf die primäre Gesundheitsversorgung und die Aufrechterhaltung der gesundheitlichen Grundversorgung in der Ukraine.

„Das System der primären Gesundheitsversorgung in der Ukraine hat sich während der COVID-19-Pandemie und des Krieges als außergewöhnlich widerstandsfähig erwiesen. Unsere jüngste Bewertung liefert wertvolle Erkenntnisse darüber, wie sich diese Notlagen auf die primäre Gesundheitsversorgung und ihr Personal, die Finanzverwaltung und die Leistungserbringung ausgewirkt haben“, sagte Dr. Jarno Habicht, Repräsentant der WHO in der Ukraine. „Eine maßgeschneiderte Unterstützung für verschiedene Arten von Einrichtungen und die Beibehaltung des Schwerpunkts auf Ausbildung und Bereitschaft sind Schlüsselstrategien zur Stärkung des Gesundheitssystems inmitten der anhaltenden Herausforderungen.“

Veränderungen in der Leistungserbringung

Der Krieg in der Ukraine hat zu großen Bevölkerungsbewegungen und veränderten Bedürfnissen geführt, an die sich die primäre Gesundheitsversorgung durch Erhöhung oder Reduzierung des Leistungsvolumens schnell anpassen musste. Aus der Bewertung geht hervor, dass die staatlichen Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung weiter geöffnet bleiben und die gesundheitliche Grundversorgung sicherstellen, wobei die Hälfte von ihnen ihre Arbeitszeiten angepasst und digitale Lösungen eingesetzt hat, insbesondere in den zurückeroberten Gebieten. Mehr als ein Drittel der Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung bietet eine kostenlose Versorgung für nicht registrierte Patienten an.

Doch in den zurückeroberten Gebieten hat ein Fünftel der Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung seit Beginn der Kampfhandlungen ihr Leistungsvolumen reduziert. Während der Umfang des Leistungsangebots leicht zurückgefahren wurde, blieb das Gesamtvolumen der Leistungen relativ stabil. Einrichtungen in städtischen Gebieten meldeten einen stärkeren Rückgang des Leistungsvolumens als ländliche Einrichtungen, während Letztere verstärkt Pläne zur Bereitstellung von Leistungen für Patienten mit Tuberkulose und HIV sowie für schwangere Frauen entwickelten und umsetzten.

Auswirkungen des Kriegs auf die Personalstärke in der primären Gesundheitsversorgung

Aus der neuen Bewertung der WHO geht hervor, dass die Hälfte der Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung in der Ukraine kriegsbedingte Personalausfälle verzeichnet. Doch die Gesamtzahl der Mitarbeiter, die geblieben sind und weiterhin Gesundheitsleistungen erbringen, war hoch.

In den zurückeroberten Gebieten besteht ein Bedarf an psychosozialen Angeboten für das Personal: mehr als ein Drittel der Einrichtungen melden einen solchen Bedarf. Während der Kampfhandlungen bestanden die wichtigsten Veränderungen hinsichtlich des Einsatzes des Gesundheitspersonals in der Umwidmung hin zu Angeboten in den Bereichen Psychiatrie oder Rehabilitation und in der Neuzuweisung von Personal an andere Einheiten oder Zuständigkeiten. Doch die Auswirkungen der Kampfhandlungen auf die Führung des Gesundheitspersonals waren offenbar weniger schwerwiegend als die während der COVID-19-Pandemie.

Drei Viertel der Einrichtungen führten zusätzliche Schulungen für das Personal durch, um den sich verändernden Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden, wobei die Schwerpunkte auf Bereichen wie chemische, biologische, radiologische und nukleare Exposition und psychische Gesundheit lagen. Doch die Zweckdienlichkeit der Ausbildung könnte verbessert werden, insbesondere bei privaten und kleineren Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung sowie in den Bereichen Rehabilitation und Bewältigung hoher Opferzahlen.

Finanzmanagement

Die Ergebnisse der Bewertung zeigen, dass sich die Abhängigkeit von der Finanzierung durch die Patienten seit Beginn des Krieges nicht wesentlich verändert hat. Während ein Viertel der Gesundheitseinrichtungen Nutzergebühren erhoben, von denen die Hälfte die Preise erhöhte, waren bestimmte Leistungen und Bevölkerungsgruppen (z. B. Veteranen) von den Gebühren befreit. Ein Drittel der staatlichen Einrichtungen hat seit Kriegsbeginn zusätzliche Mittel von den Trägern und Spendern erhalten, während fast keine zusätzlichen staatlichen Mittel an private Einrichtungen geflossen sind.

Darüber hinaus haben die meisten Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung die regulären Gehälter für ihr Gesundheitspersonal beibehalten und ggf. auch Überstunden vergütet, was dem Gesundheitspersonal während des Krieges Stabilität brachte.

Anpassung an die kriegsbedingten Herausforderungen

Die Ergebnisse der Bewertung verdeutlichen, dass die Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung sich mehrheitlich als widerstandsfähig gegenüber dem Krieg erwiesen haben, indem sie sich durch eine veränderte Stromversorgung, Schutzräume sowie Medikamente und Impfstoffe schnell anpassten. Starke Teamarbeit und Beziehungen zu den örtlichen Behörden wurden als Schlüsselfaktoren für die Widerstandsfähigkeit von Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung in diesen schwierigen Zeiten genannt.

Die Ergebnisse der Bewertung sollen der ukrainischen Regierung und anderen maßgeblichen Akteuren bei der Anpassung und Stärkung der primären Gesundheitsversorgung angesichts der aktuellen Herausforderungen helfen und gleichzeitig im Zuge der laufenden Gesundheitsreformen und der Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung den Weg zu einer allgemeinen Gesundheitsversorgung ebnen.

Diese Bewertung wurde mit finanzieller Unterstützung durch die kanadische Regierung im Rahmen der Partnerschaft für eine allgemeine Gesundheitsversorgung durchgeführt.