Eine Reihe von Ländern der Europäischen Region (u. a. Frankreich, Irland, Niederlande, Spanien, Schweden und das Vereinigte Königreich) berichten 2022, und insbesondere seit September, von einem Anstieg der Zahl invasiver Streptokokken-Infektionen der Gruppe A (iGAS) bei Kindern unter zehn Jahren.
In demselben Zeitraum wurden auch einige Todesfälle bei Kindern unter zehn Jahren infolge von iGAS gemeldet, u. a. in Frankreich, Irland, Spanien und dem Vereinigten Königreich. In Frankreich und dem Vereinigten Königreich war die Zahl der beobachteten iGAS-Fälle bei Kindern um ein Mehrfaches höher als im Vergleichszeitraum vor der Pandemie.
Die beobachteten Zunahmen, die an WHO/Europa und das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) gemeldet wurden, folgten auf eine Zeit mit verringerter Inzidenz von Infektionen mit Streptokokken der Gruppe A (GAS) während der COVID-19-Pandemie.
Es ist wahrscheinlich, dass auch ein Zusammenhang zwischen der Zunahme der Fälle von iGAS bei Kindern und der jüngst erhöhten Zirkulation von respiratorischen Viren wie saisonalen Influenzaviren und respiratorischen Synzytial-Viren besteht, da die Koinfektion von Viren mit GAS auch die Gefahr einer iGAS-Erkrankung erhöht.
Krankheitssymptome
GAS-Bakterien sind die häufigste Ursache bakterieller Pharyngitis bei Kindern im schulpflichtigen Alter. GAS-Infektionen verursachen gewöhnlich milde Krankheitsverläufe mit Halsschmerzen, Kopfschmerz und Fieber sowie einem leichten roten Ausschlag (Scharlach). Die Inzidenz von GAS-Pharyngitis erreicht in Europa meist während der Wintermonate und zu Beginn des Frühjahrs ihren Höhepunkt. Ausbrüche in Kindergärten und Schulen sind häufig. GAS-Pharyngitis wird durch einen Antigen-Schnelltest oder eine bakterielle Kultur diagnostiziert und mit Antibiotika in Verbindung mit unterstützender Pflege behandelt.
In seltenen Fällen können GAS-Bakterien auch eine als „iGAS-Krankheit“ bezeichnete schwere, lebensbedrohliche Infektion hervorrufen, die sich als Bakterämie, Lungenentzündung oder Haut- und Knocheninfektion (Zellulitis, Osteomyelitis, nekrotisierende Fasziitis) manifestiert. Kinder mit viralen Infektionen wie Varicella (Windpocken) oder Influenza tragen ein erhöhtes Erkrankungsrisiko in Bezug auf die iGAS-Krankheit.
Risikobewertung
GAS- und iGAS-Infektionen sind nur in einer begrenzten Anzahl von Ländern der Europäischen Region meldepflichtig. Daher ist es schwierig, das Gesamtausmaß der gegenwärtigen Zirkulation in der Europäischen Region der WHO zu ermitteln.
Obwohl die Untersuchungen noch im Gange sind, deuten erste Typisierungsdaten darauf hin, dass der rapide Anstieg der Fallzahlen weder durch einen speziellen oder neuen Stamm noch durch eine Zunahme der Antibiotikaresistenz von GAS-Infektionen bedingt ist.
Da die gegenwärtige Zunahme der Fallzahlen der iGAS-Krankheit relativ gering ist, die gemeldeten Fälle nicht durch einen neuen Stamm verursacht werden und die Krankheit sich mit Antibiotika leicht behandeln lässt, stufen WHO/Europa und ECDC die Bedrohung für die Allgemeinbevölkerung durch iGAS-Infektionen als gering ein. Dies wird im Zuge der weiteren Untersuchungen laufend überprüft.
Reaktion
Alle Länder der Europäischen Region sollten im Hinblick auf einen möglichen ähnlichen Anstieg der Fallzahlen unter Kindern wachsam bleiben, insbesondere angesichts der aktuell zunehmenden Zirkulation von Atemwegsviren in allen Teilen der Region.
Eine Reduzierung der Übertragung von GAS wird zur Senkung der Gefahr schwerer iGAS-Infektionen beitragen. Eine frühzeitige Erkennung der iGAS-Krankheit in Verbindung mit einer umgehenden Einleitung einer spezifischen und unterstützenden Therapie für die Patienten kann Menschenleben retten. Deshalb sollten Gesundheitsbehörden Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung unter Klinikern wie auch in der Allgemeinheit in Erwägung ziehen und je nach den geltenden nationalen Leitlinien für unverzügliche Tests und ggf. Therapien bei GAS-Infektionen werben.
GAS-Infektionen sollten in die Differentialdiagnose für Kinder mit schweren Atemwegsinfektionen und Kinder mit einer vorausgehenden viralen Infektion (einschließlich Windpocken) sowie Kinder, die in engem Kontakt mit Scharlachpatienten waren, einbezogen werden. Enge Kontakte mit iGAS-Fällen müssen gemäß den geltenden nationalen Leitlinien ermittelt, bewertet und entsprechend behandelt werden.
Der WHO-Regionaldirektor für Europa, Dr. Hans Henri P. Kluge, ruft die Länder zu „erhöhter Wachsamkeit in Bezug auf iGAS-Fälle auf, vor allem wenn respiratorische Viren stark unter Kindern zirkulieren“. Die Direktorin des ECDC, Dr. Andrea Ammon, stellt fest, dass „iGAS-Fälle bei frühzeitiger Entdeckung leicht zu behandeln sind“.
WHO/Europa und das ECDC ermutigen die Länder, mit Gesundheitsbotschaften an Eltern und Betreuungspersonen von Kleinkindern heranzutreten. iGAS-Infektionen können sich anfangs durch nicht-spezifische Symptome (Fieber, allgemeine Müdigkeit, Appetitlosigkeit) äußern, aber vor allem bei Kindern entwickeln sie sich oft schnell zu einer schweren Erkrankung. Deshalb sollten Eltern und Betreuungspersonen auf besorgniserregende Symptome achten und ärztliche Hilfe und ärztlichen Rat einholen, wenn sich der Zustand ihres Kindes nicht verbessert.
Die Gesundheitsbehörden werden ermutigt, in Abstimmung mit den Laboren Exemplare für bzw. Daten über molekulare Tests und Antibiotikasensibilitätstests zu gewinnen.
Da die Prävention viraler Erkrankungen wohl eine wichtige Rolle bei der Verringerung des Risikos einer iGAS-Erkrankung spielen dürfte, sollte auch für eine Impfung gegen saisonale Grippe und COVID-19 geworben werden.
Auch eine ausreichende Hand- und Atemhygiene sowie eine gute Belüftung von Innenräumen sollten während der kommenden Wintersaison weiter als wichtige Schutzmaßnahmen hervorgehoben werden. Schulen und andere Bildungseinrichtungen, in denen GAS-Infektionen gemeldet werden, sollten die geltenden Empfehlungen für das Reinigen und Desinfizieren von Spielzeug und oft berührten Oberflächen befolgen.
Das ECDC und WHO/Europa werden weiterhin zusammen mit den Ländern ein besseres Verständnis der epidemiologischen Situation in der Europäischen Region anstreben und der Öffentlichkeit praktische Empfehlungen und den Ländern Orientierungshilfe in Bezug auf ihre Gegenmaßnahmen geben.
* Dieser Artikel wurde am 13. Dezember 2022 geändert. In einer früheren Fassung des Artikels wurde Spanien als eines der Länder genannt, die einen Anstieg der Fallzahlen gemeldet hatten. Obwohl mehrere Fälle aus Spanien gemeldet wurden, war dort kein Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren festzustellen.