„In gewisser Hinsicht ist die COVID-19-Pandemie für uns nur eine weitere Krise“, erklärt Dr. Daniel Roth, Direktor der auf interreligiösen Dialog und Konfliktresolution spezialisierten israelischen zivilgesellschaftlichen Organisation Mosaica – Religion, Gesellschaft und Staat.
Mit dem Ausbruch der Pandemie wurde jedoch deutlich, dass religiöse Gemeinschaften bei der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen auch mit individuellen Herausforderungen zu kämpfen hatten.
Um die Kapazitäten von religiösen und gemeinschaftsnahen Vermittlern bei der Bekämpfung der gegenwärtigen wie auch zukünftiger Notlagen zu stärken und auszubauen, unterstützte WHO/Europa Mosaica bei der Umsetzung des Kavod/Karama-Projekts. Der Name dieses Projekts setzt sich aus dem hebräischen und dem arabischen Wort für „Würde“ zusammen und betont den religiösen Wert der Förderung menschlicher Würde und menschlichen Wohlbefindens im Kampf gegen die Herausforderungen von COVID-19. Das Projekt umspannt unterschiedliche Religionszugehörigkeiten und verbindet wissenschaftliche Fundiertheit mit religiöser Angemessenheit.
Auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten
„Die Menschen klagten: ,Wie können wir die Moscheen schließen? Das ist unvorstellbar!‘. Also begann ich, über die Bedeutung des Schutzes von Menschenleben zu sprechen“, erklärte Scheich Ra’ed Bader, führender islamischer Gelehrter und Prediger. Seine Worte trugen dazu bei, dass die Menschen die neuen religiösen Regeln während der COVID-19-Pandemie akzeptierten.
Religiöse und nichtreligiöse Akteure erkennen das gemeinsame Ziel des Schutzes von Menschenleben und der Verhinderung von Leid an. Unter Beteiligung der WHO organisierte das Kavod/Karama-Projekt fünf Dialoge zwischen den prominentesten Religionsführern und Gesundheitsbehörden in Israel, um deren Zusammenarbeit auszubauen und gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit und Handlungsbereitschaft religiöser Gemeinschaften im Hinblick auf gesundheitliche Notlagen zu stärken.
Gemeinsam erarbeiteten die Dialogteilnehmer eine Kampagne zur Einbeziehung der Bevölkerung, in deren Rahmen lokale Rabbiner Impfmaßnahmen im Vorfeld der jüdischen Feiertage förderten und muslimische Führer die Verbreitung von Falschinformationen über Impfungen bekämpften und so über 12 000 Menschen dazu bewegten, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen. Darüber hinaus wurde eine gemeinsame Erklärung von Religionsführern ausgearbeitet, in der Gesundheitsbehörden, Religionsführer und ihre Gemeinschaften dazu aufgefordert wurden, im Kampf gegen die gegenwärtige wie auch zukünftige Notlagen zusammenzuarbeiten.
Anhaltende Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich
„Ich glaube an die Kooperation, denn was bei allen Glaubensrichtungen im Mittelpunkt steht, sind die Menschen“, bekräftigte Erzbischof Youssef Matta.
Die COVID-19-Pandemie war ein Katalysator für die Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsbehörden und Religionsführern. Religionsführer zeigten eine beispiellose Einigkeit, indem sie sich gemeinsam für Gesundheit einsetzten und bewiesen, dass sie eine Brücke zwischen Gesundheitsbehörden und Gemeinschaften bilden können. Darüber hinaus können sie als Vermittler auftreten, die Wissenschaft, Politik und religiöse Perspektiven in Einklang bringen, als Förderer von Gesundheit, die besonders gefährdete Gruppen identifizieren und erreichen können, sowie als glaubwürdige Einflussnehmer in ihren Gemeinschaften.
In Anerkennung dieser wichtigen Qualitäten und mit Unterstützung der Religionsführer selbst entwickelt WHO/Europa derzeit ein Umsetzungsinstrument, das praktische Ratschläge dazu liefert, wie nationale Gesundheitsbehörden Religionsführer und religiöse Organisationen stärker einbeziehen können. Ferner erkennt das Dokument an, dass Religionsführer dabei behilflich sein können, die Angst der Menschen zu mildern, indem sie ihnen bei der Ergreifung von Präventionsmaßnahmen helfen, sowie durch die Nutzung religiöser Lehren und ihres Standes in der Gemeinschaft, um wissenschaftliche Fakten zu untermauern und die Verbreitung von Falschinformationen zu bekämpfen.
„Unsere Kooperation mit der WHO hat bewirkt, dass wir nun in der Lage sind, unsere Kapazitäten auf zuverlässige Weise auszubauen und proaktiv gegen COVID-19 vorzugehen, anstatt lediglich auf Krisen zu reagieren“, erklärte Dr. Roth.
Die Initiative zur Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen in der Europäischen Region
Im Rahmen der Pilotinitiative von WHO/Europa zur Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen werden in Zusammenarbeit mit Regierungen neue Bottom-up-Ansätze erprobt, um die Bürger in Pläne einzubeziehen, die ihr Leben betreffen, und um zu gewährleisten, dass sie an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Dies trägt auch zur Reaktion auf die COVID 19-Pandemie bei, und zwar durch Stärkung der Handlungsbereitschaft und Widerstandsfähigkeit der Bürger in Bezug auf Notlagen, die Bereitstellung von Leistungen für besonders gefährdete Gruppen und die Verbesserung der inklusiven Politiksteuerung.
Israel ist eines von acht Ländern in der Europäischen Region und vierzig Ländern weltweit, in denen derartige Ansätze derzeit erprobt werden.