Kopenhagen, 14. Juni 2022
Seit Beginn des Krieges in der Ukraine am 24. Februar 2022 sind wir Zeugen der verheerenden Gewalteskalation geworden, die in großem Umfang zur Vertreibung von annähernd 14 Mio. Menschen innerhalb der Ukraine, in die Nachbarländer sowie weit darüber hinaus geführt hat – dem größten Flüchtlingsstrom in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.
Alle Bürger der Ukraine spüren die Auswirkungen dieses Krieges, doch in einem Land, in dem ein Viertel der Bevölkerung über 60 Jahre alt ist, sind die Auswirkungen für ältere Menschen, einschließlich jenen mit Behinderungen, besonders dramatisch. Allein in den Oblasten Donezk und Luhansk – in denen einige der schwersten Kämpfe stattfinden – besteht die Bevölkerung zu schätzungsweise 30% aus älteren Menschen.
Zu sagen, dass die Gesundheit und Rechte und das Wohlbefinden älterer Menschen in Gefahr sind, wäre eine Untertreibung. Die langfristigen diesbezüglichen Auswirkungen begannen bereits 2014, in den ersten Jahren dieser langjährigen Krise. Inmitten des anhaltenden Krieges stehen ältere Menschen vor immer größeren Herausforderungen beim Zugang zu Renten, Gesundheitsversorgung und anderen grundlegenden Versorgungsleistungen.
In heftig umkämpften Gebieten ist das Leben aller Altersgruppen, einschließlich älterer Menschen, ernsthaft bedroht. Doch ältere Menschen, die beschlossen haben, in ihren Häusern zu verharren, stehen oft vor besonderen Herausforderungen, etwa bei der Suche nach einem geeigneten Zufluchtsort, einfachsten Grundbedürfnissen und anderen Versorgungsgütern, bedingt u. a. durch Altersschwäche, kleinen sozialen Netzwerken und einem Mangel an digitaler Kompetenz. Angesichts dieser harschen Realität besteht dringender Handlungsbedarf.
Darüber hinaus hat der Krieg zu erzwungenen Trennungen und Isolation geführt. Ältere Menschen, die in andere Gebiete innerhalb der Ukraine umgesiedelt sind, haben beschwerliche, risikobehaftete Wege auf sich genommen, ohne Zugang zu einer gesundheitlichen Grundversorgung und anderen Notwendigkeiten und weit weg von ihren Familien und Angehörigen. Auch viele von jenen, die in ihren Heimatorten geblieben sind, haben mit einem begrenzten Zugang zu Dienstleistungen und dem Zusammenbruch ihrer sozialen Netzwerke zu kämpfen.
Jene wiederum, denen es gelungen ist in Nachbarländer zu fliegen, stehen vor einer ungewissen Zukunft mit nur wenigen Möglichkeiten, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und ohne zu wissen, ob und wann sie jemals wieder nach Hause werden zurückkehren können. Viele von ihnen leiden zudem unter chronischen Erkrankungen.
Darüber hinaus hat der Krieg die besonderen Herausforderungen von Frauen und Mädchen, einschließlich älterer Frauen, in den Fokus gerückt. Sechzig Prozent der vom Krieg betroffenen Menschen über 60 sind Frauen. Ängste bezüglich ihrer Sicherheit, gesundheitlichen Anforderungen und finanziellen und wirtschaftlichen Bedürfnisse sollten alle an der humanitären Hilfe Beteiligten zum Handeln bewegen.
Seit Beginn des Krieges sind kommunale und nationale Behörden, humanitäre Akteure und Organisationen der Vereinten Nationen vor Ort im Einsatz und leisten wertvolle Unterstützung für die von der Gewalt betroffene Zivilbevölkerung, einschließlich älterer Menschen. Doch mit Beginn des vierten Kriegsmonats ist es angesichts der zahlreichen Bedürfnisse der direkt betroffenen Menschen entscheidend, dass diese Anstrengungen nicht an Dynamik verlieren.
Aus diesem Grund fordern wir, die Mitglieder des Gemeinsamen Programms zum Altern – das sich für die Stärkung der Rechte und die Wahrung der Würde von älteren Männern und Frauen einsetzt –, sämtliche humanitären und sonstigen Akteure eindringlich dazu auf, besonderes Augenmerk auf ältere Menschen und ihre besonderen Bedürfnisse zu richten, unabhängig davon, ob diese beschließen, an ihrem Heimatort auszuharren oder zu fliehen.
Es sollte wesentliche lebensrettende Unterstützung sowie notwendige Hilfe bei Evakuierungen für jene geleistet werden, die nicht in der Lage oder nicht bereit sind, ihr Zuhause zu verlassen, auch für Menschen, die in Pflegeeinrichtungen leben. Zudem muss auf die besonderen gesundheitlichen und humanitären Bedürfnisse von älteren Menschen, die die Hauptkriegsgebiete verlassen haben, eingegangen werden, und zwar durch den Zugang zum vollständigen Spektrum an grundlegenden Dienstleistungen, einschließlich Nahrungsmitteln und Wasser, angemessener Unterkunft, Gesundheitsversorgung, unentbehrlichen Arzneimitteln und Hilfstechnologien sowie psychischer und psychosozialer Unterstützung neben anderen Ansprüchen wie dem Zugang zu Renten, Verkehrsmitteln und Informationen.
Sowohl in Friedenszeiten als auch inmitten von Krisen ist das Gemeinsame Programm zum Altern darum bemüht, die Rechte von älteren Männern und Frauen zu wahren und ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden sicherzustellen durch die Verbesserung und Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung und Sozialfürsorge. Dies bedeutet, dass wir selbst im Laufe dieser überwältigenden Krise weiterhin eng mit Partnerorganisationen zusammenarbeiten werden, um eine patientenorientierte Gesundheits- und Sozialversorgung für ältere Menschen zu gewährleisten, und zwar unabhängig von ihrem Aufenthaltsort.
Das Risiko für ältere Menschen in der Ukraine ist real und darf nicht vernachlässigt werden. Gemeinsam richten wir daher einen dringenden Appell an die internationale Gemeinschaft, die besonderen Bedürfnisse älterer Menschen in diesem Krieg anzuerkennen und diese zu verdeutlichen und entsprechende konkrete, langfristige Maßnahmen zu ergreifen.
Unterzeichner der Erklärung:
- Giulia Vallese, UNFPA, kommissarische Direktorin, Regionalbüro für Osteuropa und Zentralasien
- Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa
- Khaled Hassine und Rio Hada, zuständig für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, OHCHR
- Chris Mclvor, HelpAge International, Leitender regionaler Vertreter für Eurasien und den Nahen Osten
Gemeinsames Programm zum Altern
Das Gemeinsame Programm zum Altern ist eine Initiative unter gemeinsamer Federführung des UNFPA-Regionalbüros für Osteuropa und Zentralasien, von WHO/Europa, der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE), des OHCHR und des Regionalbüros von HelpAge für Eurasien und den Nahen Osten. Das Programm unterstützt Länder bei der Stärkung der Rechte und der Wahrung der Würde von älteren Männern und Frauen durch die Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Sozialfürsorge und von befähigenden Umfeldern in ganz Europa und Zentralasien.
Pressebüro von WHO/Europa: eupress@who.int