„Entschuldigung, ich hatte einen arbeitsreichen Tag. Freitags wollen immer alle was von einem.“ D. macht es sich bequem für ein Interview nach Feierabend von ihrem Teilzeitjob, den sie macht, während sie gleichzeitig zusammen mit ihrem Bruder ihre eigene Marketingfirma führt.
Sie ist eine ausgelastete junge Berufstätige und es scheint, als müsse sie sich anstrengen, als sie zurückdenkt, um eine Antwort auf meine nächste Frage zu finden: „War es schwer für dich, weiterzuarbeiten, während du für Tuberkulose in Behandlung warst?“
D. seufzt und sagt: „Ich bin traurig, dass ich so viel Zeit verloren habe als ich krank war. Ich habe mein Bachelor-Studium 2010 angefangen, aber ich konnte es erst 2020 abschließen. Jetzt will ich einfach nur vorwärtskommen und all die Chancen aufholen, die ich in dieser Zeit verpasst habe. Ich möchte reisen, Geld verdienen, meinen Master-Abschluss machen und Zeit für Beziehungen haben.“
Es ist fünf Jahre her seit D. vollständig von einer multiresistenten Form der Tuberkulose (MDR-Tb) genesen ist, von der sie sich schon einmal als junger Teenager erholt hatte. Eine neue Behandlung gab ihr schließlich die Chance, zu einem normalen Leben zurückzukehren. Doch davor durchlief sie über vier Jahre lang unterschiedliche Behandlungsregime, die nicht funktionierten.
Selbst die Wände können dich heilen
In diesen vier Jahren umfassten D.s Behandlungsprogramme tägliche Injektionen, die manchmal monatelang andauerten und entweder lange Krankenhausaufenthalte oder zermürbende Fahrten in ambulante Kliniken erforderlich machten.
„Im Krankenhaus sahen die Patienten auf der nächsten Station aus wie Zombies“, erinnert sie sich. „Viele waren depressiv, und die Nebenwirkungen der Behandlung waren schrecklich. Das war als 19-Jährige schwer zu ertragen. Dann, nach meinem Krankenhausaufenthalt, musste ich die Behandlung tagtäglich mit einem Regime fortsetzen, das auch Injektionen umfasste. Ich erinnere mich noch an die eineinhalb-stündige Fahrt ins und vom Krankenhaus, mir war übel, ich hatte kein Auto, und ich wollte mich einfach nur hinlegen.“
Deshalb war D. froh, als ihr die Chance geboten wurde, neue Medikamente bequem von zu Hause aus zu nehmen. „Einige wirklich gute Patienten verpassten ihre Chance, zu Hause zu sein, in einer angenehmen, gemütlichen Umgebung, mit ihrem Lieblingsessen und ihren Lieblingsshows im Fernsehen“, sinniert sie. „Ich habe es gehasst, im Krankenhaus sein zu müssen. Die neue Behandlung ist so viel besser. Wenn man zu Hause ist, ist man zu Hause. Es ist dein Reich und man sagt, selbst die Wände können dich heilen.“
Neue vollständig orale Behandlung
In D.s Fall war die Behandlung für ihre MDR-Tb, die zur Zeit ihrer ursprünglichen Diagnose verfügbar war, trotz sorgfältiger Befolgung des ärztlichen Rates nicht so wirksam wie die jetzige Behandlung. Deshalb schlug ihr ihr Arzt vor, eine neue vollständig orale Behandlung auszuprobieren, die gerade erst langsam in Kasachstan eingeführt wurde. D. erhielt neue Tuberkulosemedikamente, die mittlerweile von der WHO als Behandlung für MDR-Tb empfohlen werden.
Dr. Malik Adenov, Leiter des nationalen Tuberkuloseprogramms in Kasachstan, erklärt: „Wir hatten vierzig Jahre lang keine neuen Tuberkulosemedikamente, bis 2012 neue Medikamente für Härtefälle verfügbar wurden, die später von der WHO für alle MDR-Tb-Patienten empfohlen wurden. D. war eine der ersten, die diese Behandlung erhielten, da sie ein schwerer Fall war. Ihre Mutter war an Tuberkulose gestorben und ihre gesamte Familie war betroffen. Jahrelange Behandlungen hatten nicht funktioniert, und sie war verzweifelt.“
Mehr Zeit für Kommunikation
D. begann, orale Tabletten im Beisein ihres Arztes, der online zuschaute, einzunehmen. Sie brauchte keine täglichen Injektionen mehr und musste auch nicht mehr persönlich erscheinen, um diese zu erhalten, dadurch hatte sie auch mehr Zeit, um Probleme mit ihrem Arzt zu besprechen.
„Wir beobachten unsere Patienten nicht nur online, wir unterstützen sie auch, und das schafft Vertrauen“, erläutert Dr. Adenov. „Man nimmt die Pille, sagt den Namen des Medikaments, hält es vor die Kamera und nimmt es vor den Augen des Arztes ein. Es ist weniger stressig, und davon profitieren sowohl die Patienten als auch das nationale Gesundheitssystem.“
Ein weiterer Vorteil dieser neuen videounterstützten Behandlung ist die diskrete Art und Weise, in der sie durchgeführt werden kann. Dr. Adenov erklärt, dass Tuberkulose mit einem großen Stigma verbunden ist und die Krankheit oft mit einkommensschwachen Menschen in ärmlichen Verhältnissen assoziiert wird.
„Mit dieser Behandlung braucht es keine obligatorischen täglichen Klinikbesuche für die Medikamente, es entstehen also weniger Kosten für den Patienten und weniger Diskriminierung“, sagt er und fügt hinzu: „Es gibt auch mehr Zeit für Kommunikation, um Bedenken der Patienten und Probleme zu ermitteln und zu besprechen, die sich auf die Befolgung der Behandlung auswirken könnten.“
D. hat sich an den neuen Behandlungsplan gehalten und innerhalb weniger Monate war er erfolgreich. „Im Moment fühle ich mich in meinem Kopf wie eine 22-Jährige, denn ich will noch immer reisen, ich will noch immer feiern, obwohl ich fast 30 bin“, lacht sie. „Vielleicht werde ich irgendwann heiraten, aber ich möchte auch erst einmal so viele Chancen wie möglich aufholen und nutzen. Ich fühle mich wie ein normaler Mensch, aber ich habe dennoch Angst, wieder krank zu werden. Aber ich bin optimistisch. Ich sehe jünger aus als ich bin, und nach diesem ganzen Tuberkulose-Kram, bin ich mir sicher, dass ich 100 Jahre alt werde.“
*Anmerkung: Der Name der Befragten wurde geändert, um die Vertraulichkeit zu bewahren.