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Bessere Patientenaufklärung: ein neuer Leitfaden für politische Entscheidungsträger und Gesundheitsberufe zur Unterstützung der Selbstbewältigung bei chronischen Erkrankungen

14 November 2023
Pressemitteilung
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Das WHO-Regionalbüro für Europa hat einen neuen Leitfaden zur therapeutischen Patientenschulung (TPE) veröffentlicht, der sich an politische Entscheidungsträger, Gesundheitsfachkräfte und Aus- und Weiterbildungseinrichtungen richtet. Er befasst sich mit der Beauftragung, Gestaltung und Bereitstellung von TPE-Angeboten und Schulungsprogrammen für Angehörige der Gesundheitsberufe. Außerdem beschäftigt er sich mit den Erkenntnissen und Theorien, die der Patientenaufklärung zugrunde liegen, umreißt die Schlüsselkomponenten für die Erbringung einer qualitativ hochwertigen Dienstleistung und zeigt Möglichkeiten und Hindernisse bei der Umsetzung auf. 

Unterstützung der Selbstbewältigung

Nichtübertragbare oder chronische Krankheiten sind in Europa auf dem Vormarsch. Sie sind inzwischen für 90 % aller Todesfälle in der Europäischen Region der WHO verantwortlich, doch die meisten Gesundheitssysteme sind darauf ausgerichtet, Menschen mit akuten Erkrankungen zu behandeln und zu versorgen. Bei der Reaktion auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Bluthochdruck und Herzinsuffizienz) und Atemwegserkrankungen (Asthma und chronisch obstruktive Lungenerkrankung) hinkt das Gesundheitswesen noch immer hinterher. 

Politische Entscheidungsträger und Verantwortliche im Gesundheitswesen bemühen sich um eine bessere Organisation der Gesundheitsversorgung, die den Bedürfnissen dieser Patienten gerecht wird, z. B. durch Ausbau einer integrierten primären Gesundheitsversorgung. Auch muss viel getan werden, um das Wissen, die Fähigkeiten und das Selbstvertrauen der Menschen zu verbessern, die sie benötigen, um ihre Krankheiten im Alltag außerhalb des Gesundheitswesens selbst in den Griff zu bekommen. Die Patienten verbringen im Durchschnitt zwei Stunden pro Jahr bei ihrem Arzt; den Rest der Zeit müssen sie sich selbst um ihre Gesundheit kümmern. Die Unterstützung von Patienten für die Selbstbewältigung ihrer Erkrankung trägt entscheidend zur Verbesserung der Resultate und zur Reduzierung von Angstzuständen und Komplikationen bei. 

Schließung der Kluft zwischen Patienten und Gesundheitspersonal

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Patientenaufklärung eine wichtige Rolle bei der Behandlung chronischer nichtübertragbarer Krankheiten spielt, und zwar sowohl auf Bevölkerungsebene als auch auf individueller Ebene. Dr. Jill Farrington, Medizinische Referentin für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes bei WHO/Europa, erklärt: 

„Oft werden die Patienten einfach mit einem Merkblatt nach Hause geschickt. Dann sind sie oft auf informelle Online-Chatrooms als einzige Unterstützung angewiesen. TPE ist ein evidenzbasierter, strukturierter Lernprozess, bei dem eine geschulte medizinische Fachkraft Patienten dabei unterstützt, durch einen personenzentrierten Ansatz und Techniken wie Kompetenztraining und Selbstbeobachtung Bewältigungskompetenz für die eigene Erkrankung zu erwerben. Mit der Unterstützung durch Betreuer und Familien kann dieser Ansatz den Menschen dabei helfen, ihre chronischen Erkrankungen während des gesamten Lebens zu bewältigen und sich an Veränderungen ihrer Lebensumstände und ihrer Erkrankungen anzupassen.“

Herausforderungen bei der Ausweitung

Die Länder in der Europäischen Region der WHO befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Einbeziehung von TPE in die Basislehrpläne für die Ausbildung des Gesundheitspersonals. Um die Einführung und Ausweitung solcher Schulungen für Angehörige der Gesundheitsberufe zu erleichtern, kann die Politik u. a. folgende Maßnahmen ergreifen:
  • Überarbeitung der Personalvorschriften, um es den Angehörigen der Gesundheitsberufe zu ermöglichen, bei der Patientenaufklärung im Team zu arbeiten und Aufgaben und Zuständigkeiten zu erweitern; 
  • Aufnahme von TPE in die Vorschriften für die Beauftragung von Gesundheitsanbietern;
  • Überarbeitung der Bildungsstrategien und Einführung akkreditierter Schulungsprogramme zur Patientenaufklärung für verschiedene Berufsgruppen im Gesundheitswesen und in verwandten Bereichen; und 
  • die Einführung obligatorischer TPE-Schulungen für Angehörige der Gesundheitsberufe, u. a. in Lehrplänen für die Arzt- und Pflegeberufe.
Doch diese Maßnahmen allein reichen nicht aus, um die erfolgreiche Umsetzung von TPE auf der Bevölkerungsebene zu gewährleisten. Denn es ist bekannt, dass Menschen aus niedrigeren sozioökonomischen Schichten eine geringere Gesundheitskompetenz besitzen; daher muss unbedingt sichergestellt werden, dass diese Gruppe und generell alle unterversorgten Gruppen Zugang zu Gesundheitsinformationen erhalten und über die Mittel und Fähigkeiten zu ihrer Nutzung verfügen. Es bedarf eines politischen Engagements, um die bekannten Hindernisse für die Patientenaufklärung bei denjenigen zu beseitigen, die den größten Bedarf an Gesundheitsleistungen haben. 

Von der Theorie zur Praxis

Bei der Präsentation des neuen Leitfadens hob Dr. Gauden Galea, der bei WHO/Europa Strategischer Berater des Regionaldirektors im Rahmen der Sonderinitiative für nichtübertragbare Krankheiten und Innovation ist, die bedeutende Rolle der TPE vor dem Hintergrund einer allgemeinen Umgestaltung der Gesundheitssysteme für die Bewältigung nichtübertragbarer Krankheiten hervor.

„[TPE] muss zum integralen Bestandteil der Ausbildung der Gesundheitsberufe werden. Die Bereitstellung von Programmen kann bestimmte Änderungen und Investitionen seitens der Politik erfordern. Doch diese Investitionen können sich für Patienten und Fachwelt in vielerlei Hinsicht positiv auswirken, da so Beziehungen gestärkt werden und die Menschen besser mit dem Wissen, den Fähigkeiten und dem Selbstvertrauen ausgestattet werden, um ihre Erkrankung zu bewältigen und Fragen zu stellen, wenn sie Hilfe benötigen. 

Der neue Schritt-für-Schritt-Leitfaden richtet sich in erster Linie an politische Entscheidungsträger, die Dienstleistungen in Auftrag geben, an Angehörige der Gesundheitsberufe mit Leitungsfunktionen und an Berufsverbände im Gesundheitswesen, die für die Aus- und Weiterbildung von Personal zuständig sind.

„Therapeutische Patientenschulung: eine Einführung“ wird im Rahmen eines Webinars präsentiert, das am 15. November 2023 von 9.00 bis 11.00 Uhr MEZ stattfindet. Zur Anmeldung zu dieser Veranstaltung nutzen Sie bitte den nachstehenden Link. 

Die neue Publikation ist ab 15. November auf der Website von WHO/Europa abrufbar.

 

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