Sexual- und reproduktionsmedizinische Versorgung von jungen Menschen in der gesamten Republik Moldau

15 October 2020
Pressemitteilung
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In der Republik Moldau wird in einer beispiellosen Anstrengung angestrebt, Jugendlichen gemäß einem von der WHO empfohlenen systematischen Verfahren Zugang zu Angeboten für sexuelle und reproduktive Gesundheit zu verschaffen.

Das WHO-Regionalbüro für Europa hat in sechs Ländern der Europäischen Region eine Bewertung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit sowie der Gesundheit von Müttern, Neugeborenen, Kindern und Jugendlichen im Kontext einer allgemeinen Gesundheitsversorgung durchgeführt. Darin wurden allgemeine Herausforderungen für das Gesundheitssystem genannt, die in Angriff genommen werden müssen, um eine allgemeine Gesundheitsversorgung im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit zu verwirklichen. Ferner wurden die wichtigsten vorrangigen Interventionen für die Länder bestimmt, darunter Angebote zur Förderung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit von Jugendlichen.

Аm 20. und 22. Oktober 2020 werden die WHO und der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) eine subregionale Konsultation zum Thema sexuelle und reproduktive Gesundheit in den Ländern Zentralasiens veranstalten. Im Mittelpunkt dieser Online-Veranstaltung wird neben den Ergebnissen der in den Ländern durchgeführten Bewertungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit sowie der Gesundheit von Müttern, Neugeborenen, Kindern und Jugendlichen auch die Sicherstellung des Zugangs zu Angeboten im Bereich der Sexual- und Reproduktionsgesundheit im Kontext der COVID-19-Pandemie stehen.

Republik Moldau als Vorbild

Die Republik Moldau war in der Bewertung durch das Regionalbüro das einzige Land, das eine umfassende sexual- und reproduktionsmedizinische Versorgung für junge Menschen bereitstellt. Zwischen 2002 und 2017 wurde in jedem Bezirk und jeder Kommune des Landes eine jugendfreundliche Klinik eingerichtet.

Diese insgesamt 41 Kliniken bieten eine kostenlose Beratung für junge Menschen zwischen 10 und 24 Jahren durch fachübergreifende Teams aus Gynäkologen, Urologen, Andrologen, Internisten, Dermato-Venerologen, Hebammen, Pflegekräften, Psychologen und Sozialarbeitern an. Außerdem erhalten die Jugendlichen kostenlos Verhütungsmittel und HIV-Tests.

Neben dem Netzwerk von Kliniken sind auch Bemühungen im Gange, mobile Teams zu schaffen, die den Jugendlichen in den Dörfern aufsuchende klinische Leistungen anbieten.

Dr. Galina Leșco, Leiterin des Nationalen Zentrums Neovita für jugendfreundliche Gesundheitsangebote in Chisinau, ist die Koordinatorin des nationalen Netzwerks jugendfreundlicher Kliniken. Sie erzählt, dass das Engagement des Gesundheitsministeriums und die Unterstützung durch den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) und die WHO entscheidend zum Ausbau des Leistungsangebots speziell für Jugendliche beigetragen haben.

„Die ersten drei Pilotzentren wurden mit finanzieller Unterstützung von UNICEF Moldau eröffnet. Das DEZA spielte eine wesentliche Rolle bei der Ausweitung des Netzwerks im vergangenen Jahrzehnt. Dank der fachlichen Unterstützung durch die WHO konnte ein Konzept für den Ausbau jugendgerechter Angebote geschaffen werden“, erklärt Dr. Leșco.

„Wir erhalten außerordentlich viel Unterstützung von der WHO und sind auch für die kontinuierliche Anleitung bei der Entwicklung von Qualitätsnormen für die Angebote und bei der Einführung von innovativen Lösungsansätzen wie dem kooperativen Lernen dankbar.“

Positive Trends, gesetzliche Herausforderungen

Laut der Studie zum Gesundheitsverhalten von Kindern im schulpflichtigen Alter in der Republik Moldau ist die Fertilitätsrate in der Altersgruppe von 15 bis 19 Jahren in den letzten fünf Jahren um 25% gesunken, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in dieser Altersgruppe sogar um 20%. Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche bei Minderjährigen hat sich in den vergangenen drei Jahren fast halbiert: von 243 (2016) auf 141 (2018).

Eine weitere positive Entwicklung wird aus einer Reihe von Untersuchungen ersichtlich, nämlich dass der Anteil der sexuell aktiven 15-Jährigen zwischen 2014 und 2018 von 18% auf 13,3% gesunken ist. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich der Anteil der Nutzerinnen der Anti-Baby-Pille unter den sexuell aktiven 15-Jährigen von 6% auf 10%.

Doch es gibt weiterhin einige Herausforderungen zu bewältigen. So ist die Inzidenz von HIV-Infektionen unter jungen Menschen in den letzten Jahren gleich geblieben, und die sexuell aktiven Jugendlichen in der Altersgruppe von 15 bis 17 Jahren verwenden nicht konsequent Kondome. Ein weiterer Grund zur Besorgnis ist die unzureichende finanzielle Unterstützung für Jugendkliniken.

„Jedes Jahr verzeichnen wir aufgrund der ungünstigen finanziellen Situation in unserem Land erhebliche Personalabgänge“, erklärt Dr. Leșco. Viele Gesundheitsfachkräfte wandern auf der Suche nach besserer Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen aus der Republik Moldau in andere Länder ab.

Dr. Leșco drängt darauf, die Gesetze in Bezug auf das Mündigkeitsalter für den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu überprüfen. Die aktuellen Gesetze machen eine elterliche Zustimmung bis zur Vollendung des siebzehnten Lebensjahrs erforderlich. „Die Kriterien für die Bewertung der Entscheidungsfähigkeit von Jugendlichen sollten so geändert werden, dass diese unter bestimmten Bedingungen leichter Zugang zu hochwertigen Gesundheitsleistungen erhalten“, fügt sie hinzu.

Die Bewertung durch die WHO ergab auch, dass nicht alle Anbieter von Gesundheitsleistungen die einschlägigen Vorschriften kennen oder sie im besten Interesse der Jugendlichen anwenden können. Eine der Grundsatzempfehlungen aus der Bewertung lautet, alle Gesundheitsfachkräfte über die gesetzlichen Vorschriften für das Recht von Jugendlichen auf sexual- und reproduktionsmedizinische Versorgung ohne elterliche Zustimmung aufzuklären, um ein einheitliches Verständnis und eine entsprechende Anwendung auf den verschiedenen Ebenen der Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Ebenso wichtig ist es, dass die jungen Menschen ihre Rechte und Ansprüche kennen.

Jede(n) Jugendliche(n) in jedem Dorf erreichen

„Ein großes Problem ist bisher, dass Jugendliche aus kleinen, entlegenen Dörfern sich genieren, bei den regulären örtlichen Gesundheitsdiensten um die benötigte Hilfe zu bitten“, erzählt Dr. Leșco. Der Plan zur Schaffung mobiler Teams setzt genau hier an, indem er in kleinen Gemeinden für Privatsphäre und Vertraulichkeit sorgt.

„Die Teams werden aus Pflegekräften und Freiwilligen bestehen, die die Gemeinden nach einem festgelegten Plan regelmäßig besuchen. So können die jungen Menschen mehr vertrauliche Angebote in Anspruch nehmen, und das kostenlos“, fügt sie hinzu.

Alina Racu, eine junge Frau aus Criuleni im zentralen Teil des Landes, bestätigt, dass noch viel getan werden muss, um junge Menschen in kleinen Dörfern über sexuelle und reproduktive Gesundheit und die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Leistungen in jugendfreundlichen Kliniken aufzuklären.

„Viele Jugendliche auf dem Land kennen die grundlegenden Verhütungsmethoden nicht und wissen nicht, wo sie sich Hilfe holen können“, sagt sie. „Die meisten suchen in sozialen Medien wie Facebook oder Odnoklassniki nach Lösungen. Aber es ist etwas ganz anderes, wenn man von einer fachlich qualifizierten Kraft erklärt bekommt, welches die Risiken und Herausforderungen sind und wie man sich schützen kann. Es ist sehr wichtig, dass die Jugendlichen von diesen Zentren erfahren und sich trauen, rechtzeitig qualifizierten Rat zu suchen.“

Ein Unterschied für das Leben junger Menschen

Viele Fachkräfte an den jugendfreundlichen Kliniken arbeiten unter bescheidenen Bedingungen und für wenig Geld. Trotz solcher Herausforderungen verschafft ihnen ihre Arbeit Befriedigung und das Gefühl, etwas Wertvolles zu tun.

„Ich werde nie vergessen, als unser Zentrum Neovita sein zehnjähriges Bestehen feierte. Damals kam ein Mädchen zu dem Empfang, und ich konnte schon an ihrer Kleidung und Erscheinung sehen, dass sie wahrscheinlich auf der Straße lebte. Sie wollte einen Termin bei einer Gynäkologin machen, weil eine Freundin, die zuvor bei uns im Zentrum gewesen war, ihr das empfohlen hatte. Diese Freundin hatte psychische Probleme und hatte im Alter von 14 Jahren eine Abtreibung gebraucht,“ erinnert sich Dr. Leșco.

„Mir wurde klar: Wenn dieses junge Mädchen eine Freundin zu einem Besuch bei uns überredet hat, dann bedeutet das, dass sie sich damals bei uns sicher fühlte, uns als Freunde sah und die benötigte Hilfe erhielt. Das macht uns stolz auf unsere Erfolge, so klein sie auch sein mögen.“

Die Ergebnisse der Bewertung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit sowie der Gesundheit von Müttern, Neugeborenen, Kindern und Jugendlichen im Kontext einer allgemeinen Gesundheitsversorgung in sechs Ländern, darunter die Republik Moldau, können unter dem nachstehenden Link abgerufen werden.