Viktoriya Betsal
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Trotz des anhaltenden Krieges und des fehlenden Zugangs zur Gesundheitsversorgung kehren viele Flüchtlinge in die Ukraine zurück

16 August 2022
Pressemitteilung
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Aufgrund der Nähe zur ukrainischen Grenze – sie ist nur ein paar Stunden entfernt – entwickelte sich die polnische Stadt Krakau nach der Invasion Russlands schnell zu einer wichtigen Durchgangsstation für ukrainische Flüchtlinge. Momentan kehrt jedoch eine zunehmende Zahl von Flüchtlingen trotz des anhaltenden Krieges in die Ukraine zurück.

Nach Informationen von UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, ereigneten sich zwischen Ende Februar und Mitte August über 10 Millionen Grenzübertritte von der Ukraine in die Europäische Union (EU). Im gleichen Zeitraum gab es in der anderen Richtung – von der EU zurück in die Ukraine – jedoch ebenfalls über 4 Millionen Grenzübertritte. Bei der Mehrzahl von ihnen handelte es sich um Flüchtlinge, die in ihre Heimat zurückkehrten.

„Viele der Flüchtlinge sind Frauen im Alter von rund 60 bis 65 Jahren, und sie können hier keine Arbeit finden“, erklärt Viktoriya, eine 25-jährige ukrainische Ärztin, die als Freiwillige in einer provisorischen Klinik arbeitet, die in einer alten Eisenbahnhalle im Hauptbahnhof von Krakau eingerichtet wurde. „Sie beschließen, in die Ukraine zurückzukehren, obwohl ihre Städte mit Bomben angegriffen werden. Viele von ihnen haben ihre Häuser oder Bauernhöfe verlassen. Dort haben sie etwas, hier haben sie nichts. Viele von ihnen stehen unter großem Stress.“

Die Klinik bietet für hilfsbedürftige ukrainische Flüchtlinge (v. a. Frauen, Kinder und eine Reihe von Menschen mit Behinderungen) kostenlose medizinische Unterstützung an. Viele von ihnen suchen Hilfe für leichte Beschwerden wie Kopfschmerzen und allgemeine Schmerzen, doch die Klinik empfängt auch Patienten mit komplizierteren Pathologien wie psychischen Problemen, körperlichen Behinderungen und chronischen Erkrankungen. Diese Patienten werden dann an Fachärzte überwiesen. Aufgrund des in den letzten Monaten verzeichneten Rückgangs der Zahl von Menschen, die in der Klinik eine Versorgung in Anspruch genommen haben, wird sie jedoch bald ihre Türen schließen.

Vorhersage der Bedürfnisse im Herbst und Winter


Viktoriya ist der Ansicht, dass es sehr schwierig sei vorherzusagen, wie sich die Situation im bevorstehenden Herbst und Winter entwickeln werde. Doch wenn es zu neuen Flüchtlingsströmen kommen sollte, befürchtet Viktoriya, dass sie deutlich weniger enthusiastisch aufgenommen werden könnten als zu Beginn des Krieges. Sie beklagt, dass die Menschen in den Aufnahmeländern langsam das Interesse am Krieg verlieren. „Die Menschen sind müde und versuchen, zu ihrem vorherigen Leben zurückzukehren, und das verstehe ich. Aber manchmal werde ich gefragt, ob denn noch Krieg herrsche in der Ukraine. Ich schaue Nachrichten und weiß, wie viele Menschen jeden Tag sterben. Daher bin ich schockiert, wenn ich diese Frage höre“, sagt sie.

Neben der Klinik gibt es eine Flüchtlingsunterkunft mit 100 Betten, die ukrainischen Flüchtlingen vorübergehende Zuflucht bietet. Auf einem der Betten kauert Anna, eine 82-jährige Frau aus der Zentralukraine, nicht weit von Kiew entfernt. Sie wurde hierhergebracht, nachdem sie auf dem harten Marmorboden im Hauptbahnhof zusammengebrochen war. Desorientiert und verwirrt, mit einem großen Verband im Gesicht wartet sie nun auf einen medizinischen Transport, der sie zurück in die Ukraine bringt, wo sich Familienangehörige um sie kümmern werden.

„Ich weiß nicht, wie sie hierher nach Krakau gekommen ist, denn das Gehen fällt ihr sehr schwer. Sie weiß nicht einmal, in welcher Stadt sie hier ist. Sie kennt niemanden hier, der sich um sie kümmern könnte. Ich mache mir wirklich Sorgen um sie, falls sie hierbleiben würde. Dies ist lediglich eine vorübergehende Unterkunft. Es gibt keinerlei Privatsphäre o. ä.“, erläutert Viktoriya, sichtlich emotional.

„Die Rückkehr in ein Land, in dem Krieg herrscht, ist natürlich für die meisten Menschen eine sehr schwierige Entscheidung“, erklärt Heather Papowitz, Vorfallmanagerin der WHO für die Notlage in der Ukraine. „Doch viele haben ihr Zuhause in Eile verlassen, haben persönliche Habseligkeiten und Angehörige zurückgelassen. Es gibt viele Gründe, warum Menschen zurückkehren, zumindest vorübergehend. Doch angesichts der bevorstehenden kalten Wintermonate und eines Krieges, der so bald nicht zu Ende sein dürfte, müssen wir auf neue Flüchtlingsströme in Europa vorbereitet sein. Die Gesundheitssysteme müssen ihre Fähigkeit aufrechterhalten, neu ankommende Flüchtlinge zu versorgen, und gleichzeitig sicherstellen, dass die sich bereits in den Aufnahmeländern aufhaltenden Flüchtlinge auch weiterhin die Versorgung erhalten, die sie brauchen. Wir können es uns nicht leisten, jetzt nachlässig zu werden und uns zurückzulehnen.“