Nationale Tuberkuloseprogramme in 13 Ländern haben von 2020 bis 2023 mit WHO/Europa zusammengearbeitet, um die Behandlungsergebnisse von Menschen zu untersuchen, die ein 9-monatiges Behandlungsschema gegen multiresistente Tuberkulose (MDR-Tb) durchlaufen. Die kürzlich in der Fachzeitschrift Lancet Infectious Diseases veröffentlichten Ergebnisse liefern wichtige Belege für ein hohes Maß an Sicherheit und Wirksamkeit mit einer Behandlungserfolgsrate von 83 % und einer Rückfallwahrscheinlichkeit von nur 1 % nach 12 Monaten.
Die Untersuchung basierte auf 2636 Personen, einer der größten Kohorten von MDR-Tb-Patienten, die jemals untersucht wurden. Sie wurde vom Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, der Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung und der Regierung Deutschlands finanziert.
Um den hohen Anforderungen der Studie gerecht zu werden, mussten alle Kliniker und Gesundheitsfachkräfte aus den nationalen Tuberkuloseprogrammen in einer Reihe von Bereichen geschult werden, z. B. im Screening von Patienten auf Nebenwirkungen, in der Erfassung und Behandlung von unerwünschten Ereignissen und im Einsatz von Videobeobachtung zur Kontrolle und Unterstützung der Medikamenteneinnahme.
Laut Dr. Liga Kuksa vom Zentrum für Tuberkulose und Lungenkrankheiten am Universitätskrankenhaus Ost in Riga (Lettland) war die Erfahrung mit der Durchführung der Forschungsarbeiten fast ebenso wichtig wie die Ergebnisse. „Die ermutigenden Ergebnisse und auch die Erfahrung der Durchführung der Untersuchung waren für Ärzte, die MDR-Tb behandeln, sehr beruhigend“, erklärte sie.
„Der Wechsel von einem langen Behandlungsschema – das bis zu drei Jahre mit langen Krankenhausaufenthalten dauern kann – zu den kurzen Behandlungsschemata kann sich für einen Kliniker riskant anfühlen. Das ist verständlich. Wir sind darin geschult, eine evidenzbasierte Medizin zu praktizieren, und dank dieser Forschungsarbeit fühlen sich Kliniker nun wohl bei der Anwendung dieser kürzeren Behandlungsschemata, da wir sowohl die Evidenz als auch die Erfahrung haben, dass mehr Menschen von MDR-Tb genesen.“
Die neuesten von der WHO empfohlenen Behandlungsschemata für Tuberkulose erhöhen nachweislich die Chancen auf eine vollständige Genesung von der Tuberkulose. Jetzt ist es für die Menschen einfacher, die Behandlung einzuhalten und abzuschließen, und die neuen Schemata sind wirksamer. Krankenhausaufenthalte werden entweder auf ein Minimum reduziert oder sind in vielen Fällen überhaupt nicht mehr notwendig. Da es keine Injektionen und viel weniger Tabletten gibt, können die Menschen ambulant behandelt werden. Das bedeutet, dass sie weiterhin mit ihrer Familie und ihrem Umfeld zusammen sein und möglicherweise weiter arbeiten können.
Was ist Verfahrensforschung?
Verfahrensforschung wird als Teil der täglichen Arbeit durchgeführt und kombiniert Ausbildung und das Sammeln von Daten und Beweisen.
Im Laufe der WHO-Studie arbeiteten Kliniker der nationalen Tuberkuloseprogramme mit einer Sonderarbeitsgruppe der WHO zusammen, die sich aus international anerkannten Spezialisten für die multiresistente Tuberkulose zusammensetzte. Gesundheitsfachkräfte lernten, die ambulanten Versorgungsmodelle zu erweitern und die Patienten mit Hilfe von Technologie zu unterstützen und dabei sicherzustellen, dass sie ihre Medikamente rechtzeitig einnehmen. Sie wurden darin geschult, unerwünschte Wirkungen zu diagnostizieren, zu erfassen und zu behandeln sowie auf Nebenwirkungen wie etwa Sehstörungen zu achten.
Forschung zeigt ein umfassenderes Bild
Die Studie ergab einen Zusammenhang zwischen schlechteren Behandlungsergebnissen und Risiken für nichtübertragbare Krankheiten infolge von Rauchen, Alkoholkonsum und schlechter Ernährung. Die Überwachung dieser zugrunde liegenden Faktoren im Rahmen der Forschung machte Ärzte und Pflegekräfte auf Einflüsse aufmerksam, die die Chancen ihrer Patienten auf eine vollständige Genesung verringern könnten.
Der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und dem Scheitern der Tuberkulose-Behandlung machte zudem deutlich, wie wichtig es ist, bei der Planung der Unterstützung für Menschen, die sich einer Tuberkulose-Behandlung unterziehen, die sozialen Determinanten von Gesundheit zu berücksichtigen.
Warum bedurfte es in der Europäischen Region der WHO eines anderen Behandlungsschemas?
Die Sicherheit und Wirksamkeit des von der WHO für den programmatischen Einsatz im Jahr 2020 empfohlenen 9-monatigen Standardbehandlungsschemas war bereits erwiesen. In der Region gab es jedoch – und gibt es noch immer – eine weit verbreitete Resistenz gegen vier der sieben wichtigsten in diesem Schema verwendeten Medikamente, so dass dieses Schema für die Anwendung ungeeignet ist.
Da keine anderen kürzeren Behandlungsoptionen zur Verfügung standen, begann WHO/Europa mit der Verfahrensforschung, um die Wirksamkeit und Sicherheit von 9-monatigen Schemata zu ermitteln, die andere Tuberkulosemedikamente verwenden.
Das von der WHO im Jahr 2023 empfohlene 6-monatige Schema hatte einige der für die Region ungeeigneten Medikamente ersetzt, doch die Eignung eines neuen Medikaments namens Pretomanid für bestimmte Patientengruppen war noch nicht untersucht worden; für schwangere Frauen, stillende Mütter und Kinder unter 14 Jahren musste eine Lösung gefunden werden. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Nachrichtenmeldung hatten die Länder der Europäischen Union zudem Probleme mit der Beschaffung des Medikaments.
Daher eröffnen die Ergebnisse der WHO-Studie Menschen, die keinen Zugang zu Pretomanid haben oder es nicht einnehmen können, die lebensrettende Möglichkeit, stattdessen ein modifiziertes
9-monatiges Behandlungsschema anzuwenden.
Die 6- und 9-monatigen Behandlungsschemata weisen bei der Durchführung, der Behandlungsüberwachung und dem Umgang mit unerwünschten Ereignissen viele Gemeinsamkeiten auf, so dass die Studie über das 9-monatige Schema auch den Weg für eine möglichst rasche Übernahme des 6-monatigen Schemas geebnet hat.
Die 13 Länder, die sich an der Forschung beteiligten, waren Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Lettland, Litauen, die Republik Moldau, Tadschikistan, Turkmenistan, die Ukraine und Usbekistan.