Kopenhagen/Stockholm, 21. März 2024
In den drei Jahren der COVID-19-Pandemie (von 2020 bis 2022) starben in der Europäischen Region der WHO fast 7000 Menschen mehr an Tuberkulose als Experten auf der Grundlage von Schätzungen vor 2020 erwartet hatten. Diese erhöhte Sterblichkeit war eine direkte Folge der Pandemie – sie wäre nicht eingetreten, wenn die Bemühungen zur Diagnose und Behandlung von Tuberkulose nicht unterbrochen worden wären.
Zu dieser ernüchternden Erkenntnis kommt der aktuelle Bericht zur Surveillance und Kontrolle der Tuberkulose, der gemeinsam von WHO/Europa und dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) veröffentlicht wird. Der Bericht hebt die jüngsten Daten hervor, die zeigen, dass sich die Region zwar von der Pandemie erholt, aber im Hinblick auf Tuberkulose-Tests, -Diagnose und -Versorgung immer noch mit den Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen hat.
Der Bericht von WHO/Europa und dem ECDC wird jährlich im Vorfeld des Welttuberkulosetags am 24. März veröffentlicht.
„Unser jüngster Bericht offenbart eine erschütternde, völlig vermeidbare Situation: Menschen, die von Tuberkulose betroffen sind, wurden während der Pandemie nicht geschützt, und 7000 Menschen verloren unnötigerweise ihr Leben, weil die Tuberkuloseversorgung unterbrochen wurde“, erklärte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa.
„Der Bericht offenbart auch eine weitere sich entwickelnde, vermeidbare Tragödie: Die Prävalenz arzneimittelresistenter Tuberkulose nimmt weiter zu. Wir fordern die nationalen Behörden nachdrücklich auf, die Tuberkulose-Testprogramme zu stärken, rasch zu diagnostizieren und die neuesten Leitlinien der WHO anzuwenden“, fügte er hinzu.
ECDC-Direktorin Dr. Andrea Ammon erklärte: „Nach der COVID-19-Pandemie haben wir noch einen langen Weg vor uns, um die für die Eliminierung der Tuberkulose gesetzten Ziele zu erreichen. Die rechtzeitige Stärkung von Prävention, Tests und Behandlung sind zentrale Elemente im Kampf gegen die Tuberkulose, und jede Verzögerung führt zu weiterem Leid und Tod. Die Länder müssen jetzt handeln, und das ECDC ist weiterhin entschlossen, eng mit den Ländern der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums (EU/EWR) zusammenzuarbeiten und sie in ihren Bemühungen um die Beendigung der Tuberkulose-Epidemie zu unterstützen.“
Gemeldete Fälle
Die gemeldeten Daten zeigen, dass die Zahl der Diagnosen im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist. Im Jahr 2022 meldeten 38 der 53 Mitgliedstaaten in der Europäischen Region der WHO einen Anstieg der Tuberkulose-Meldungen. Die Gesamtzahl stieg auf über 170 000 Fälle (gegenüber mehr als 166 000 Fällen im Jahr 2021), von denen über 36 000 Fälle in der EU/im EWR gemeldet wurden (gegenüber mehr als 33 500 im Jahr 2021).
Diese gestiegenen Zahlen sind wahrscheinlich ein positives Anzeichen dafür, dass sich die Tuberkulose-Angebote in vielen Ländern von den Unterbrechungen während der COVID-19-Pandemie erholen und mehr Menschen diagnostiziert und behandelt werden. Zudem deuten sie aller Voraussicht nach darauf hin, dass die Region den Rückstand bei Diagnosen aufholt.
Arzneimittelresistente Tuberkulose und Erfolgsraten der Behandlung
Besorgniserregend ist, dass in den EU-/EWR-Ländern im Durchschnitt nur 6 von 10 Tuberkulosebehandlungen mit Medikamenten der ersten Wahl die Infektion erfolgreich heilen konnten. In der Region insgesamt konnte die Infektion bei 7 von 10 Tuberkulosebehandlungen geheilt werden. Dies sind die niedrigsten Raten seit einem Jahrzehnt, was auf mögliche Probleme mit der Therapiebefolgung und voraussichtliche Lücken in der Überwachung der Behandlungsergebnisse hinweist. Bei ordnungsgemäßer Planung und Durchführung dürfte die Tuberkulose-Behandlung bei etwa 9 von 10 Patienten, die mit Stämmen infiziert sind, die auf die Antibiotika Rifampicin und Isoniazid ansprechen, erfolgreich sein.
Weiteren Anlass zur Besorgnis geben auch Anzeichen dafür, dass die Behandlung von Tuberkulose- und HIV-Koinfektionen suboptimal ist. Nur 48 % der Patienten, die in der Europäischen Region sowohl an Tuberkulose als auch an HIV erkrankt sind, sowie 54 % in der EU/im EWR, die im Jahr 2021 eine Tuberkulosebehandlung begonnen hatten, wurden geheilt.
Um die Bemühungen zur Erreichung der Ziele der Endspielstrategie für Tuberkulose zu beschleunigen, empfehlen WHO und ECDC:
- die Verstärkung der Bemühungen, um fehlende Tuberkulosefälle aktiv zu finden und zu behandeln, und zwar durch eine Verstärkung der Tuberkulosetests;
- die Bereitstellung präventiver Behandlungsmöglichkeiten für alle, die sie benötigen; und
- die vollständige Umsetzung aktueller, kurzer und vollständig oraler Behandlungsregime.
Anmerkungen zu den Daten:
Prävalenz von HIV bei Tuberkulosefällen
2022 wurde die HIV-Prävalenz bei inzidenten Fällen von Tuberkulose auf 12 % geschätzt, mit schätzungsweise 28 000 Fällen von Koinfektion in der Region. In den Ländern der EU und des EWR gab es 13 436 Tuberkulosefälle mit bekanntem HIV-Status, von denen fast 4 % als HIV-positiv gemeldet wurden. Die verfügbaren Daten zeigen, dass einer von fünf Menschen mit HIV-/Tuberkulose-Koinfektion in der Region keine antiretrovirale Therapie (ART) erhielt.
Allerdings ist das Bild bei weitem nicht vollständig; nur 20 Länder haben Informationen über die Inanspruchnahme von ART für HIV unter Tuberkulosepatienten bereitgestellt, und nur 3 dieser Länder liegen in der EU/im EWR. Es bedarf weiterer Anstrengungen, um die Meldung von HIV-Koinfektionen zu verbessern.
Wir können die Tuberkulose beenden
Die Überwachung der Fortschritte bei der Verwirklichung der Ziele des neuen Aktionsplans Tuberkulose für die Europäische Region der WHO (2023–2030) ist eine Herausforderung, da über einige Indikatoren nur begrenzt oder gar keine Berichterstattung erfolgt. Nur 20 der 30 im Aktionsplan beschriebenen Indikatoren wurden anhand von routinemäßigen Surveillancedaten überwacht und bewertet.
Alle Länder in der Region, einschließlich der EU-/EWR-Länder, müssen sich eindeutig darauf konzentrieren, die Datenlage zu verbessern, die Repräsentativität und Vollständigkeit ihrer Daten zu erhöhen und unterschiedliche Quellen zur Ergänzung der vorhandenen Surveillancedaten zu nutzen.