Auf der in London abgehaltenen Konferenz zum Wiederaufbau in der Ukraine wurden Einzelheiten zu vier Fallstudien der WHO vorgestellt, welche die Anstrengungen von Akteuren aus dem Gesundheitswesen mit Blick auf den Wiederaufbau und die Wiederaufnahme ihrer Tätigkeiten vor Ort im Land aufzeigen. In einem neuen Bericht hebt die WHO hervor, inwiefern die Mobilisierung internationaler Unterstützung für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilisierung des Landes, u. a. durch Einbeziehung privatwirtschaftlicher Akteure, nach der Invasion durch die Russische Föderation im Jahr 2022 zu ertragreichen Resultaten bei Bemühungen um den Wiederaufbau der Gesundheitsversorgung führen kann.
Seit Beginn des verheerenden Krieges im Februar 2022 hat die WHO über 1000 Angriffe auf das Gesundheitswesen verifiziert, wobei die Kosten direkter Schäden im Gesundheitswesen auf 2,5 Mrd. US-$ geschätzt werden. Dennoch sind selbst in den zehn am stärksten von dem Konflikt betroffenen Regionen fast 90 % der Gesundheitseinrichtungen nun wieder funktionsfähig. Dank der gemeinsamen Anstrengungen nationaler, internationaler und lokaler Akteure hat das Gesundheitssystem erstaunliche Widerstandsfähigkeit bewiesen, und es gibt bereits Beispiele frühzeitiger Investitionen in den Wiederaufbau von Gesundheitseinrichtungen.
„Von den aktuellen Bemühungen, von denen viele sich potenziell expandieren oder ausweiten lassen, lässt sich viel lernen, während gleichzeitig anerkannt wird, dass Lösungen an die konkreten Bedürfnisse und Umstände der unterschiedlichen geografischen Gebiete, die Art der bereitgestellten Leistungen und die Modalitäten des Engagements zugeschnitten werden müssen“, erklärte Dr. Jarno Habicht, Repräsentant der WHO in der Ukraine.
Wiederaufbaubemühungen in ukrainischen Gesundheitseinrichtungen
Der neue Bericht der WHO mit dem Titel „Fallstudien zum Wiederaufbau des Gesundheitssystems in der Ukraine: Schwerpunktlegung auf die Rolle privatwirtschaftlicher Akteure“ dokumentiert vier Fallstudien, in denen die Rolle privatwirtschaftlicher und anderer nichtstaatlicher Akteure beim frühzeitigen Wiederaufbau und der Wiederaufnahme des Betriebs erläutert wird.
- Das medizinische Netzwerk Adonis umfasst eine Entbindungsklinik in der Region Kiew und eine multidisziplinäre Klinik in Bucha. Die Klinik brauchte relativ moderate Investitionen, um trotz heftiger Kämpfe in Bucha ihren Betrieb wiederaufnehmen zu können. Die Betreiber von Adonis investierten ihre eigenen Finanzmittel, sodass die Einrichtung im Juni 2022 wiedereröffnet werden konnte. Eine deutliche Verlagerung bei den Bedürfnissen der Zielgruppe und den erforderlichen Ressourcen machte eine Neuausrichtung der Einrichtung auf Rehabilitationsangebote erforderlich. Dieses Beispiel demonstriert eine Teilwiederherstellung des Betriebs durch einen nationalen privaten Dienstleister, die relativ moderate Investitionen erfordert. Es besteht jedoch Ungewissheit bezüglich anderer Geschäftstätigkeiten, die erheblich größere Kapitalinvestitionen erfordern. So ist etwa die Entbindungsklinik, die in den ersten Tagen der Invasion weiterhin Gebärende aufnahm, nun nicht mehr betriebsfähig, und den Eigentümern fehlt der Zugang zu entsprechendem Kapital. Die Klinik wurde direkt von Panzergranaten getroffen, bevor sie von russischen Truppen eingenommen, geplündert und schwer beschädigt wurde, u. a. durch Feuer. Wann und ob sie (je) wieder funktionsfähig sein wird, hängt von Maßnahmen zur Finanzierung dieser Art von Wiederaufbauprojekten ab, an denen es gegenwärtig fehlt.
- Apteka 911, eine nationale Apothekenkette, nutzte ihre eigenen Finanzmittel, um die Wiedereröffnung ihrer Apotheken zu finanzieren, von denen in der Region Charkiw rund 30 % beschädigt oder zerstört worden waren. Das Apothekennetzwerk ermöglichte die Wiedereröffnung in Gebieten, die sehr nah an der Front liegen, in manchen Fällen sogar nur wenige Wochen nach der Rückeroberung durch die ukrainischen Kräfte, und ist nun in vielen Fällen der einzige Apothekenbetreiber in diesen Gebieten. Apteka 911 hat sich rasch an die Realität des Krieges angepasst und begonnen, in entlegenen Gebieten die mobile Bereitstellung von Arzneimitteln, Online-Konsultationen für Patienten in Siedlungen, in denen die Gesundheitseinrichtungen zerstört worden waren, und die postalische Zusendung von Arzneimitteln anzubieten.
- Das Zentrum für primäre Gesundheitsversorgung in Makariw, das vor der Invasion 28 000 Menschen versorgte, wurde mit Granaten beschossen und völlig zerstört. „Ich habe nicht geglaubt, dass unsere Ambulanz überhaupt wieder aufgebaut werden würde“, erklärte Serhiy Solomenko, Leiter des Zentrums in Makariw. Doch mithilfe einer privaten Stiftung der Wirtschaftshochschule Kiew (KSE-Stiftung), die eine Reihe von Spendenaktionen organisierte, um die für den Wiederaufbau und die Beaufsichtigung des Wiederaufbaus benötigten 800 000 US-$ zu sammeln, ist das Zentrum für primäre Gesundheitsversorgung nun vollständig wiederhergestellt.
- Die ländliche Ambulanz in Mala Rohan in der Region Charkiw wurde ebenfalls von Artillerie und Panzergranaten getroffen, wodurch die Wände und das Dach beschädigt wurden. Nachdem das Gebiet von den ukrainischen Streitkräften zurückerobert worden war, begannen Gesundheitsfachkräfte, Patienten in der beschädigten Einrichtung zu versorgen, trotz fehlender Fenster und einer teilweise fehlenden Wand. Die nationale nichtstaatliche Organisation Patients of Ukraine nutzte für den Wiederaufbau Investitionen in Höhe von rund 43 000 US-$, die von Crown Agents International Development (CAID) bereitgestellt wurden und die ausreichten, um den Betrieb der Einrichtung vollständig wiederaufzunehmen. Im Rahmen ihrer Vereinbarung mit CAID baute Patients of Ukraine 25 beschädigte Gesundheitseinrichtungen wieder auf, damit diese ihren Betrieb wiederaufnehmen konnten. In vielen Fällen waren dazu noch geringere Investitionen erforderlich als im Fall von Mala Rohan. Alle Projekte werden in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium durchgeführt. Dabei werden Schätzungen bezüglich der Rückkehr der örtlichen Bevölkerung und des entsprechenden Bedarfs, die Verfügbarkeit von Gesundheitsfachkräften sowie militärische Hinweise zur Sicherheit in dem Gebiet berücksichtigt. Das Beispiel zeigt, dass oft schon kleine Investitionen zur Reparatur beschädigter Fenster oder Dächer eine entscheidende Rolle spielen können, um einer Einrichtung die Wiederaufnahme ihres Betriebs und die Bereitstellung von Gesundheitsleistungen zu ermöglichen, während künftige wiederkehrende Aufwendungen durch einen Vertrag mit dem Nationalen Gesundheitsdienst der Ukraine abgedeckt werden können.
Insgesamt sind alle von der WHO in der Ukraine vorgestellten Fallstudien Beispiele der Widerstandsfähigkeit des Gesundheitssystems und des durch die Kooperation zwischen nationalen und internationalen Akteuren unter Beteiligung privatwirtschaftlicher Akteure ermöglichten Wiederaufbaus. Trotz des Krieges werden Gesundheitseinrichtungen wiederaufgebaut, und die ukrainische Regierung ist nach wie vor um die Umsetzung von Gesundheitsreformen bemüht, um das Gesundheitssystem effizienter zu gestalten und verstärkt auf die Patienten auszurichten, während gleichzeitig auf eine allmähliche Verwirklichung einer allgemeinen Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung hingearbeitet wird.