Paulina Lewandowska
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Junge Wissenschaftlerin zeigt zentrale Maßnahmen für die inklusive Integration von Menschen mit Gehörverlust in Polen auf

22 February 2023
Pressemitteilung
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Ohrenbeschwerden und Gehörverlust zählen zu den gängigsten gesundheitlichen Problemen, von denen über 190 Mio. Menschen in der Europäischen Region der WHO betroffen sind. Eine von ihnen ist Paulina Lewandowska aus Polen, die drei Jahre alt war, als ihre Eltern bemerkten, dass sie nicht auf Stimmen und Geräusche reagierte.

Sie ließen einen Hörtest bei Paulina machen, bei dem sie mit Gehörverlust auf beiden Ohren diagnostiziert wurde, vermutlich infolge einer Hirnhautentzündung, an der sie als Säugling erkrankt war. Paulina erinnert sich gerne an ihre ersten Besuche bei einem Gehörspezialisten, die sie als eine lustige und angenehme Erfahrung beschreibt. „Der Arzt spielte Spiele mit mir, während er die Tests durchführte. Irgendwo in meinem Zimmer habe ich noch immer mein erstes Hörgerät.“

Paulinas Eltern verbrachten mehrere Stunden am Tag damit, ihr bei ihrer Rehabilitation und Sprachentwicklung zu helfen. „Meine Mutter versuchte sogar, mir Englisch beizubringen, obwohl sie selbst die Sprache nicht spricht“, erzählt Paulina voller Ehrfurcht. „Wir kauften ein Polnisch-Englisch-Wörterbuch und sie lernte die Wörter zuerst und brachte mir dann bei, sie korrekt auszusprechen.“ Das war vor 20 Jahren, als Schulen weniger imstande waren, Schülern mit Gehörverlust zu helfen, also sprang Paulinas Familie ein und unterstützte sie auf ihrem gesamten Bildungsweg.

Mittlerweile ist Paulina Doktorandin an der Katholischen Universität Johannes Paul II. in Lublin und erforscht die inklusive Bildung für schwerhörige Schüler und definiert dabei den Schulerfolg möglichst weit, um die akademische Leistung wie auch das soziale und psychologische Wohlbefinden einzuschließen. Darüber hinaus ist sie Sekretärin der Internationalen Vereinigung für junge schwerhörige Menschen und Vizepräsidentin des polnischen Verbandes für Schwerhörige und Cochlea-Implantat-Nutzer. Paulina, die gern reist und liest, widmet einen Großteil ihrer Zeit dem Eintreten für eine bessere Zugänglichkeit und Inklusion für Gehörlose und Schwerhörige und arbeitet als freiberufliche Ausbilderin, Beraterin und Expertin.

Bewusstseinsförderung und Bildung

Während sie die in Polen verfügbaren Leistungsangebote beschreibt, verweist sie auf zahlreiche bemerkenswerte Initiativen. So können Bürger sich etwa kostenlos durch eine lebensverändernde Operation ein Cochlea-Implantat einsetzen lassen. Natürlich gibt es immer Verbesserungspotenzial, beispielsweise im Hinblick auf Wartezeiten oder die Verfügbarkeit von finanzieller Unterstützung. Welche politischen Veränderungen wünscht Paulina sich für ihr Land? „Ich bin der Ansicht, dass wir vorne anfangen sollten“, antwortet sie nach reiflicher Überlegung. „Forschung betreiben und Daten über Menschen mit Hörverlust sammeln. Es ist wichtig, mit Betroffenen zu sprechen, wenn man politische Veränderungen in Betracht zieht, denn niemand kennt die Bedürfnisse von Gehörlosen und Schwerhörigen besser als sie selbst. Natürlich ist nicht genug Geld vorhanden, um auf alle Bedürfnisse einzugehen, aber ich denke, dass die vorhandenen Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden können. Und ich würde mehr Gewicht auf Bewusstseinsförderung und Bildung legen, denn es gibt noch immer große Lücken beim Wissen über die Folgen von Gehörproblemen und viele Missverständnisse.“

Ein häufiges Missverständnis ist die Vorstellung, dass Hörgeräte das Hörvermögen wiederherstellen können, was nicht der Fall ist, wie Paulina anmerkt. „Ich trage eine Brille. Wenn ich sie aufsetze, kann ich umgehend deutlicher sehen. Ich kann normale körperliche Tätigkeiten durchführen, meine Sehprobleme schränken mich nicht länger ein. Wenn jemand ein Cochlea-Implantat oder Hörgeräte erhält, beginnt seine Rehabilitation. Es ist jedoch kein Heilmittel. Die Funktionsfähigkeit kann nach wie vor eingeschränkt sein, auch mit diesen Geräten – etwa in lärmintensiven Umgebungen.“

Paulina ist eine enthusiastische Befürworterin der Inklusion. „Kriterien für Hörvermögen oder Gehörlosigkeit sollten uns als Menschen nicht definieren. Ja, wir mögen schwerhörig oder taub sein, aber viel wichtiger ist doch, dass wir Bürger, Verwandte, Arbeitskräfte, Studenten und vieles mehr sind“, erläutert sie. „Eine wahre Inklusion wird erst dann möglich, wenn die Umwelt auf eine Art und Weise angepasst wird, die es Menschen mit Behinderungen ermöglicht, sich nicht länger eingeschränkt zu fühlen. Aus diesem Grund ist es so wichtig, die Auffassungen und Einstellungen der Menschen herauszufordern.“

Es findet ein Wandel statt

Mit der Zeit waren Menschen mit Gehörverlust immer besser in der Unternehmenswelt, der Wissenschaft und der Popkultur vertreten, was einen Schritt hin zu einer inklusiveren Gesellschaft darstellt. Doch alles beginnt damit, offen zu sein und die richtigen Fragen zu stellen. „Stellen Sie sich vor“, sagt Paulina, „Sie befinden sich in einer Situation, in der Sie etwas nicht wissen – dann fragen Sie jemanden, der über das entsprechende Wissen verfügt. Und Menschen mit Gehörverlust sind Experten für ihre Bedürfnisse. Einige verlassen sich vielleicht auf einen Gebärdensprachdolmetscher, einen Schriftdolmetscher oder eine Induktionsschleife, andere auf das Lippenlesen, und wieder andere bitten vielleicht darum, das Gesagte noch einmal zu wiederholen. Lehrer, Arbeitgeber und andere Menschen mit normalem Hörvermögen sollten nicht sagen „Schon gut!“, wenn die Kommunikation mit einer hörgeschädigten Person ins Stocken gerät, sondern stattdessen versuchen, diese besser in das Gespräch einzubinden.“

Paulina erinnert sich, wie einer ihrer schwerhörigen Freunde am Flughafen das Personal beim Check-in über seine Behinderung informierte. Ihrem Freund wurde sofort ein Rollstuhl angeboten, obwohl es lediglich nötig gewesen wäre, die maßgeblichen öffentlichen Bekanntmachungen noch einmal für ihn zu wiederholen. Diese im Nachhinein fast anekdotenhafte unangenehme Situation hätte sich mit einer einfachen Frage vonseiten des Personals verhindern lassen können, und zwar: „Wie kann ich Ihnen helfen?“

Jedes Jahr begeht die WHO am 3. März den Welthörtag. „Ich bin froh, dass die WHO auf alle Aspekte der Gesundheit von Ohren und Gehör eingeht – nicht nur auf Gehörverlust, sondern auch auf den Schutz des Gehörs“, erklärt Paulina. „Für mich ist dies ein wichtiger Aspekt der Bewusstseinsförderung in der Öffentlichkeit für Gehörprobleme, die sehr gängig sind. Ich bin der Ansicht, dass, wenn wir uns weiterhin Gehör verschaffen, das Leben von Menschen mit Gehörverlust, einschließlich meinem eigenen, besser werden kann. Ich weiß, dass gerade ein Wandel stattfindet und Barrieren langsam abgebaut werden.“