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Polen: Die psychische Gesundheit und psychosozialen Bedürfnisse ukrainischer Flüchtlinge verstehen – die Geschichte von Olga

22 March 2022
Pressemitteilung
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Video: Die psychischen Bedürfnisse ukrainischer Flüchtlinge verstehen – die Geschichte von Olga

Olga ist eine 20-jährige Medizinstudentin, die wir in einer provisorischen Flüchtlingsunterkunft im Osten Polens treffen. Vor ein paar Tagen studierte sie noch in Kiew, doch jetzt ist sie eine von Millionen von Flüchtlingen aus der Ukraine, die vor der russischen Militäroffensive geflohen sind und in Polen Schutz suchen. 

Nach einer 20-stündigen Reise nach Polen, von denen sie 2 Stunden in Kälte und Schnee an der Grenze warten musste, beginnt Olga, die neue Realität zu verarbeiten. 

„Ich habe von diesem Zustand namens Flüchtlingssyndrom gehört, und ich glaube, dass ich die Auswirkungen auch spüre“, erklärt sie. „Bisher bin ich nicht in der Lage, mich wirklich zu beruhigen. Ich leide unter ständiger Angst. Menschen wie ich brauchen psychologische Unterstützung, denn wir fühlen uns völlig desorientiert und verloren. Meiner Mutter geht es genauso – sie weint, sie checkt die Nachrichten auf ihrem Telefon und sie hat keine Vorstellung davon, wie es weitergehen wird. Auch meiner kleinen Schwester geht es so – sie will weder spielen noch mit Menschen interagieren; sie will nur nach Hause zurück.“ 

Doch zurzeit wissen Millionen von ukrainischen Flüchtlingen nicht, wann oder ob sie jemals wieder nach Hause zurückkehren können – oder wann sie Ehemänner, Söhne und Väter wiedersehen werden, die im Land zurückbleiben mussten, um zu kämpfen.  

Auch Olga hat Familie, die in Kiew geblieben ist. „Meine Tante hält sich im Keller versteckt“, erklärt sie. „Sie haben weder Essen noch Mobiltelefone, also beten wir jeden Tag, dass sie noch leben. Doch immer wieder hören wir von Schießereien und Bombardierungen in Kiew. Ich habe wirklich Angst um sie.“ 

Selma Sevkli ist eine Expertin für psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung, die von der WHO nach Polen entsandt wurde, um entsprechende Hilfsmaßnahmen zu koordinieren.  

„Die Menschen kommen verängstigt und verzweifelt hier an“, erklärt Selma. „Auch wenn sie sich in Polen sicherer fühlen, ist ihre Zukunft völlig ungewiss, und natürlich sind sie voller Sorge um Menschen, die sie zurücklassen mussten. Viele Menschen, mit denen ich in unterschiedlichen Aufnahmezentren und an Grenzübergängen entlang der polnischen Grenze gesprochen habe, sind auf der Durchreise – ihre Reise ist noch nicht zu Ende, und sie stehen noch vor vielen Herausforderungen.“ 

Auch wenn sie dankbar ist für die ganze Unterstützung, die sie an der Grenze und im Aufnahmezentrum erhalten hat, will Olga doch so schnell wie möglich weiterreisen. 

„Wir sind gerade erst in Polen angekommen, es ist unser erster Tag hier. Ich weiß, dass bereits über 2 Mio. Ukrainer nach Polen gekommen sind. Alle meine Freunde sind überaus dankbar für die gesundheitliche Versorgung, das Essen, die Spielsachen, die Kleidung, die sie bekommen haben. Wir haben alles, was wir brauchen, in diesem Aufnahmezentrum. Doch ich bin eine von den Glücklichen: Ich habe einen Freund, der hier in Polen auf mich wartet und der mich hier abholen wird.“ 

Selma verfügt über umfassendes Wissen darüber und umfassende Erfahrungen damit, wie Menschen mit so viel Ungewissheit und Angst in ihrem Leben umgehen können und wie man sie dabei unterstützen kann. 

„In einer Notlage hängt die Art und Weise, wie Menschen mit widrigen Umständen umgehen, von vergangenen Erfahrungen, von ihrer Widerstandsfähigkeit, von früheren oder gegenwärtigen psychischen Erkrankungen und auch von der Unterstützung ab, die sie erhalten“, erklärt sie. „Gefühle von Verzweiflung, Angst und Sorge sind völlig normale Reaktionen auf Not und widrige Umstände und werden mit der Zeit und mit entsprechender Hilfe normalerweise besser. Den Frauen, die ich treffe, gebe ich Tipps, wie sie mit diesen Gefühlen umgehen können. Es ist wichtig, dass wir mit ihnen gemeinsam daran arbeiten, die alles überragende Unsicherheit ihrer Lage anzugehen: dass wir ihnen genau zuhören, um die von ihnen genutzten Bewältigungsmechanismen besser zu verstehen, und nach Möglichkeiten suchen, um diese zu aktivieren, dass wir sie in die Lage versetzen, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, und dass wir sie auf die nötigen Angebote hinweisen, während wir gleichzeitig aufpassen, keine falschen Eindrücke zu vermitteln oder falsche Hoffnung zu wecken. Nur so können wir dabei helfen, die psychischen Auswirkungen der Krise auf die Menschen zu verringern, und verhindern, dass diese später zu komplexeren psychischen Problemen oder Störungen führen.“ 

Während ihres Besuchs in der Flüchtlingsunterkunft traf Selma auf Olga und konnte ihr einige nützliche Ratschläge geben. „Du magst das Gefühl haben, dass jetzt alles völlig überwältigend ist, aber du solltest wissen, dass das ganz normal ist“, sagt Selma. „Gehe einen Tag nach dem anderen an, und tue Dinge, die dir helfen, ruhig zu bleiben, und dir ein Gefühl von Sicherheit geben. Zum Beispiel solltest du die Nachrichtenverfolgung einschränken, auf eine gesunde Ernährung achten und Aktivitäten unternehmen, die dir helfen zu entspannen. Unser Team ist hier, um auf deine Bedürfnisse einzugehen und dich zu unterstützen, wo wir nur können.“ 

Die WHO hat in Polen eine Fachliche Arbeitsgruppe für psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung eingerichtet, um die entsprechenden Angebote vor Ort zu koordinieren und die Bedürfnisse der Menschen besser zu verstehen, Ratschläge zu erteilen, Ressourcen zu übersetzen und Partnerorganisationen fachlich zu unterstützen.