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Hitzewelle in Europa: lokale Resilienz rettet Menschenleben – globale Kooperation wird die Menschheit retten

Erklärung von Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa

22 July 2022
Aussage
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Beispiellos. Erschreckend. Apokalyptisch. Dies sind nur drei der in Nachrichten verwendeten Adjektive angesichts der verheerenden Waldbrände und Hitzerekorde in der Europäischen Region der WHO infolge der anhaltenden Hitzeperiode. Der Klimawandel ist an sich nichts Neues. Doch seine Folgen werden von Sommer zu Sommer, von Jahr zu Jahr spürbarer, und die Resultate sind katastrophal. 

Hitze ist tödlich. In den vergangenen Jahrzehnten sind Hunderttausende Menschen infolge extremer Hitze während längerer Hitzeperioden gestorben, die oft von Waldbränden begleitet wurden. In diesem Jahr verzeichnen allein Spanien und Portugal während der aktuellen Hitzewelle bereits über 1700 unnötige Todesfälle. 

Waldbrände, die in Südeuropa schon seit Langem verheerende Folgen haben, brechen nun sogar in so nördlichen Regionen wie Skandinavien aus, und in dieser Woche wurden in London 41 Wohnungen durch Brände zerstört. Diese brütend heiße Sommersaison ist noch nicht einmal zur Hälfte vorüber. 

Extreme Hitzebelastung bewirkt oft eine Verschärfung bestehender Vorerkrankungen. Hitzschlag und andere ernste Formen von Überhitzung – einer abnormal hohen Körpertemperatur – führen zu Leiden und vorzeitigem Tod. Personen an beiden Enden des Lebens – Kinder und Kleinkinder bzw. ältere Menschen – sind besonders gefährdet. 

WHO/Europa unterstützt mit seinen Leitlinien nationale und kommunale Behörden bei den wichtigsten Vorbereitungen auf extreme Hitzeereignisse. Die Inkraftsetzung von umfassenden Aktionsplänen für Hitzeperioden rettet nachweislich Menschenleben und stärkt die Resilienz der Bevölkerung insgesamt und der einzelnen Bürger während extremer Hitze. 

Die Empfehlungen der WHO und die Aktionspläne für Hitzeperioden beinhalten praktische Ratschläge für die Öffentlichkeit und die Gesundheitsberufe in Bezug auf Maßnahmen während Hitzewellen, aber auch speziell Empfehlungen für die Betreuer von Patienten und das Personal in Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen wie Pflegeheimen für Senioren.

Hier sind einige grundlegende Maßnahmen, die alle zum eigenen Schutz und zum Schutz ihrer Angehörigen ergreifen sollten.

  • • Halten Sie sich möglichst von der Hitze fern, auch nachts, vermeiden Sie körperliche Anstrengung und sorgen Sie dafür, dass Kinder und Tiere nicht in geparkten Autos bleiben.
  • • Sorgen Sie für Erfrischung und eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr. Tragen Sie leichte, lose Kleidung und verwenden Sie leichte Bettwäsche, duschen oder baden Sie mit kühlem Wasser und trinken Sie regelmäßig, aber verzichten Sie auf Alkohol, Koffein und zuckerhaltige Getränke. Verbringen Sie, sofern notwendig und möglich, zwei bis drei Stunden pro Tag an einem kühlen Ort.
  • • Halten Sie Ihre Wohnung so kühl wie möglich. Nutzen Sie die Nachtluft, um Ihre Wohnung abzukühlen, und verringern Sie tagsüber die Hitzebelastung im Inneren der Wohnung, indem Sie Jalousien oder Rollläden herunterlassen.
  • • Wenn Sie an einer chronischen Erkrankung leiden oder mehrere Medikamente nehmen müssen, suchen Sie ärztlichen Rat. Wenn Sie Schwindel oder Angst spüren, sich schwach fühlen oder extrem durstig sind und Kopfschmerzen haben, begeben Sie sich an einen kühleren Ort. 
  • • Helfen Sie anderen, indem Sie sich um Angehörige und Freunde kümmern, insbesondere um allein lebende ältere Menschen.

Letztendlich zeugen die Ereignisse der vergangenen Woche wieder einmal von der dringenden Notwendigkeit wirksamer gesamteuropäischer Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels – der alles beherrschenden Krise unserer Zeit, die sowohl die individuelle Gesundheit als auch die Existenz der Menschheit insgesamt gefährdet. 

Dazu müssen die Regierungen den politischen Willen und wahre Führungskompetenz bei der Umsetzung des weltweit geltenden Pariser Klimaschutzabkommens unter Beweis stellen, und Kooperation muss an die Stelle von Spaltung und leerer Rhetorik treten. 

Zur Stärkung des Pariser Abkommens als völkerrechtlichem Gesundheitsvertrag wurde im Vorfeld der Klimakonferenz der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr das Gesundheitsprogramm der COP26 präsentiert. Darin werden die Gesundheitssysteme aufgefordert, ihren Teil der Verantwortung zu übernehmen, indem sie ihre Resilienz erhöhen und ihren Kampf gegen den Klimawandel verstärken.
Dieser Ansatz ist auch im Europäischen Arbeitsprogramm 2020–2025 verankert, dem Orientierungsrahmen für die Arbeit von WHO/Europa, der von allen 53 Mitgliedstaaten in der Europäischen Region vereinbart wurde. Es bildet das Tor zu gemeinsamen Maßnahmen in einer Vielzahl von Bereichen, u. a. der Stärkung des umweltbezogenen Gesundheitsschutzes und der Umkehr der verheerenden Folgen des Klimawandels. 

Die Mitgliedstaaten in der Europäischen Region haben unter Beweis gestellt, dass sie bei der Abwehr von akuten Gefahren für die globale Gesundheit zusammenarbeiten können. Es ist an der Zeit, dass wir das einmal mehr tun, indem wir über Ressortgrenzen und nationale Grenzen hinweg an den zugrunde liegenden Ursachen des Klimawandels ansetzen – und indem wir umsichtige, weitreichende Entscheidungen für das Gemeinwohl treffen. 

Anfang der Woche sprach der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, auf dem Petersberger Klimadialog in Berlin in Anwesenheit von führenden Politikern aus mehr als 40 Ländern eine drastische Warnung aus: „Wir haben die Wahl:  kollektive Aktion oder kollektiver Selbstmord. Es liegt in unserer Hand.“ 

Die Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger in der Europäischen Region, die unter der aktuellen Situation leiden, stimmen ihm sicher zu.