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Warum muss eine Gesellschaft in die Langzeitpflege investieren? Neue Erkenntnisse verdeutlichen den Handlungsbedarf

23 April 2025
Pressemitteilung
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Eine Forschergruppe mit Experten von WHO/Europa und dem Europäischen Observatorium für Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik hat neue Erkenntnisse und Analysen veröffentlicht, die zeigen, wie Gesellschaften, die in die Langzeitpflege investieren, wirtschaftliches Potenzial freisetzen und gleichzeitig wichtige Erträge für Familien und Gesundheitssysteme erzielen können. Das neue Buch mit dem Titel „The Care Dividend: Why and How Countries Should Invest in Long-Term Care“ [dt. Die Pflegedividende: Warum und wie Länder in die Langzeitpflege investieren müssen] plädiert für ehrgeizige Investitionen in Pflegesysteme und -angebote und fasst den vielfältigen Nutzen für Einzelpersonen, Familien, Gesundheitssysteme, Volkswirtschaften und die Gesellschaft insgesamt zusammen.  

„Da die Bevölkerung in der gesamten Europäischen Region der WHO immer älter wird, oft mit Krankheiten und Behinderungen, ist es heute notwendiger denn je, die Pflegeökosysteme zu überdenken und zu stärken“, erklärt Dr. Stefania Ilinca, Fachreferentin für Langzeitpflege bei WHO/Europa und eine der Autorinnen des Buches. „Mit diesen neuen Forschungsergebnissen wollen wir mit einigen der negativen und irreführenden Vorstellungen aufräumen, die ein entschlossenes politisches Handeln verhindern, und das umwälzende Potenzial von Investitionen in die Langzeitpflege hervorheben.“  

Neudefinition des Wertes der Langzeitpflege

Die Publikation stellt den überwiegend negativen öffentlichen Diskurs über die Alterung der Bevölkerung und den unhaltbaren Druck auf die öffentlichen Ressourcen in Frage und zeigt, wie Länder durch einfache Investitionen in qualitativ hochwertige Pflegeangebote für mehr wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit sorgen, Ungleichheiten abbauen und den Zusammenhalt von Gemeinschaften stärken können.  

„In den meisten Ländern hat die Politik der Langzeitpflege viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Es gibt überwältigende Belege dafür, dass der Zugang zu einer umfassenden, staatlich finanzierten Langzeitpflege nicht nur den Pflegebedürftigen zugute kommt, sondern auch Volkswirtschaften, Gesundheitssystemen, privaten Haushalten und der Gesellschaft insgesamt. Die Stärkung der Langzeitpflege geht uns alle an. Dieses Buch soll sowohl das Warum als auch das Wie aufzeigen“, sagt Jonathan Cylus, Leiter des Londoner Zentrums des Europäischen Observatoriums für Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik und leitender Gesundheitsökonom im WHO-Büro Barcelona zur Finanzierung der Gesundheitssysteme. 

Wichtigste Ergebnisse 

Das Buch enthält eine Reihe von Erkenntnissen, die für die Politik von wesentlicher Bedeutung sind: 
  • Effizientere Zuweisung von Ressourcen im Gesundheitswesen: Ein angemessener Zugang zu Pflegeleistungen trägt dazu bei, unnötige Krankenhauseinweisungen zu vermeiden, eine angemessene Versorgung sicherzustellen und die Effizienz, Bezahlbarkeit und Nachhaltigkeit der Gesundheitssysteme zu erhalten. 
  • Wirtschaftliche Auswirkungen: Ein gut funktionierendes System der Langzeitpflege kann ein starker Motor für Wirtschaftswachstum sein. Durch die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Verringerung der pflegebedingten Kosten für Familien und die Erhöhung der Erwerbsquote können Investitionen in die Langzeitpflege erheblichen wirtschaftlichen Nutzen mit sich bringen. 
  • Sozialleistungen: Die Langzeitpflege beinhaltet wesentliche Leistungen, die die soziale Ausgrenzung verringern und die Lebensqualität von Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen sowie von älteren Erwachsenen verbessern. Sie trägt zum sozialen Zusammenhalt bei, indem sie die Solidarität zwischen den Generationen fördert und die Lebensbedingungen der schwächsten Bevölkerungsgruppen verbessert. 
Damit Länder auf allen Stufen der wirtschaftlichen Entwicklung diese Vorteile erreichen können, gibt „The Care Dividend“ politischen Entscheidungsträgern praktische Empfehlungen zur Gewährleistung der Nachhaltigkeit von Langzeitpflegesystemen an die Hand. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Deckung des Bedarfs an Pflegeleistungen, der Unterstützung und dem Schutz informeller Betreuer, innovativen Finanzierungsstrategien, ressortübergreifender Zusammenarbeit, Investitionen in die Qualität der Pflege sowie der Nutzung von Technologien bei der Leistungserbringung. 

„Der Aufruf zum Handeln ist klar. Bei der Zuteilung der Ressourcen gemäß den Bedürfnissen einer alternden Bevölkerung muss der Staat die Führung übernehmen. Durch die Zusammenführung von Politik, Finanzierung und Innovation können die Entscheidungsträger eine nachhaltige Zukunft schaffen, in der ältere Erwachsene eine qualitativ hochwertige und nachhaltige Pflege erhalten und in der Familien und Umfeld gedeihen, anstatt unter dem Druck des demografischen Wandels zusammenzubrechen“, sagt Dr. Sarah Louise Barber, Leiterin des WHO-Zentrums für Gesundheitsentwicklung in Japan.  

Blick in die Zukunft: ein kooperativer Ansatz 

WHO/Europa steht seit Langem an der Spitze der Bemühungen um Stärkung und Umgestaltung der Systeme der Langzeitpflege in den 53 Ländern der Europäischen Region. Im November 2024 veröffentlichte es ein neues praktisches Instrumentarium mit dem Titel „Bestandsaufnahme der Langzeitpflege: konzeptioneller Rahmen für Bewertung und kontinuierliches Lernen in den Pflegesystemen“. Es beinhaltet einen strukturierten Ansatz, der Entscheidungsträgern bei der grundlegenden Umgestaltung von Pflegesystemen und -konzepten behilflich sein und dafür sorgen soll, dass diese den Bedürfnissen gegenwärtiger wie künftiger Generationen gerecht werden. 

„The Care Dividend“ bekräftigt die im Instrumentarium von WHO/Europa skizzierten Grundsätze und ermutigt die Regierungen, der Langzeitpflege als zentralem Bestandteil ihrer Sozial- und Wirtschaftspolitik einen hohen Stellenwert einzuräumen. Die Zukunft der Langzeitpflege liegt im kollektiven Handeln. Wie in dem Buch hervorgehoben wird, machen die Herausforderungen, mit denen die Länder der Europäischen Region konfrontiert sind, eine Zusammenarbeit zwischen Staat, Gesundheitsanbietern, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft erforderlich.  

„Wir bei WHO/Europa setzen uns weiterhin dafür ein, die Länder beim Aufbau nachhaltiger Pflegesysteme zu unterstützen, die älteren Menschen mit Pflegebedarf sowie ihren Familien, ihren Betreuern und ihrem gesamten Umfeld erheblichen Nutzen bringen“, fügt Dr. Ilinca hinzu.