Kopenhagen, 23. Mai 2025
Das digitale Umfeld – von den sozialen Medien bis hin zu KI-gesteuerten Plattformen – stellt nachweislich ein Risiko für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in der Europäischen Region der WHO dar, doch die Länder können bereits etwas tun, um sie zu schützen. Dies ist die grundlegende Schlussfolgerung eines neuen Kurzdossiers, das von WHO/Europa gemeinsam mit dem polnischen Gesundheitsministerium und dem Digital Transformations for Health Lab (DTH-Lab) erarbeitet wurde.
Das Kurzdossier mit dem Titel „Umgang mit den digitalen Determinanten der psychischen Gesundheit von Jugendlichen“ verbindet eine Überprüfung der aktuellen Erkenntnisse und Handlungskonzepte mit einem Aufruf an Regierungen, Industrie und Zivilgesellschaft, sofortige Maßnahmen zu ergreifen, um digitale Räume für junge Menschen sicherer, gesünder und chancengleicher zu machen.
„Die psychische Gesundheit junger Menschen wird durch digitale Räume genauso geprägt wie durch die Schule oder die Familie – allerdings ohne den gleichen Schutz“, erklärte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa. „Da digitale Plattformen das Leben unserer Jugend zunehmend prägen, müssen wir sicherstellen, dass sie auch ihre psychische Gesundheit schützen – und nicht schädigen. Wir fordern Regierungen, die Industrie und Gemeinschaften auf, sich zu engagieren und digitale Umfelder zu schaffen, die das Wohlbefinden unserer jüngsten Generationen fördern, anstatt es zu vernachlässigen. Dies erfordert koordinierte Maßnahmen – von der Verbesserung der digitalen Kompetenz junger Menschen über eine stärkere Regulierung digitaler Plattformen bis hin zur Unterstützung der von Jugendlichen geleiteten digitalen Gestaltung und Steuerung. Unsere Kinder und Jugendlichen verdienen es, vor möglichen digitalen Schäden geschützt zu werden.“
Wichtigste Erkenntnisse
- Die Nutzung von Technologien wirkt sich auf komplexe und widersprüchliche Weise auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen aus – mit positiven wie auch schädlichen Folgen.
- Wenn junge Menschen aufgrund einer bestehenden psychischen Erkrankung, ihrer Zugehörigkeit zu einer marginalisierten Gruppe oder aufgrund ihres Geschlechts offline mit Risiken und Schwächen konfrontiert sind, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie auch online von entsprechenden Risiken betroffen sind.
- Die Exposition gegenüber Cybermobbing, unrealistischen Körpernormen, Inhalten zu Selbstverletzung und schädlichem Marketing ist weit verbreitet und wird nicht ausreichend reguliert.
- Eine unangemessene Datenverwaltung und algorithmengesteuerte Plattformen verstärken die Risiken, insbesondere wenn es keine Transparenz gibt und es keiner Zustimmung durch die Jugendlichen bedarf.
- Viele nationale Handlungskonzepte wälzen die Last der Sicherheit auf Eltern und Kinder ab, während die Verantwortlichkeit der Industrie und die Einbeziehung der Jugend begrenzt bleiben.
Kein Konsens darüber, wer Verantwortung trägt
Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus der Analyse nationaler Handlungskonzepte aus 42 Ländern sowie der ordnungspolitischen Rahmen auf Ebene der Europäischen Union (EU) ist, dass zwar Maßnahmen ergriffen werden, aber kaum ein Konsens darüber besteht, wer die Verantwortung übernehmen sollte.
Einige Länder, wie Aserbaidschan, Italien und Spanien, legen den Schwerpunkt auf die elterliche Kontrolle, während andere, wie Deutschland und Kroatien, die Alterskennzeichnung in die ordnungspolitischen Rahmen aufgenommen haben. Wieder andere Länder, darunter Frankreich, Irland und das Vereinigte Königreich, konzentrieren sich darauf, soziale Medien und digitale Plattformen zur Verantwortung zu ziehen.
Obwohl es immer mehr Konzepte zum Schutz junger Menschen im Internet gibt, ergab die Analyse, dass junge Menschen und das Gesundheitswesen bei der Entwicklung dieser Konzepte nur selten konsultiert werden.
„Wir müssen zielgerichtete, durchsetzbare und evidenzgeleitete Handlungskonzepte und Regelungen annehmen“, sagt Dr. Natasha Azzopardi-Muscat, Direktorin der Abteilung Gesundheitspolitik und Gesundheitssysteme der Länder bei WHO/Europa. „Und es ist wichtig, sicherzustellen, dass die Einbeziehung junger Menschen in die Gestaltung dieser Entwicklungen den Ländern die Möglichkeit gibt, politische Maßnahmen zu entwickeln, die tatsächlich Wirkung zeigen, weil sie den Bedürfnissen und Präferenzen junger Menschen entsprechen.“
Der Bericht beruft sich auch auf das Vorsorgeprinzip und fordert die Regierungen eindringlich dazu auf, die Beweislast vom Nachweis des Schadens auf den Nachweis der Sicherheit zu verlagern.
„Unsere Überprüfung der neuesten Erkenntnisse über die Nutzung von Technologien durch Kinder und die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit zeigt, dass es mehrere Online-Risiken gibt“, sagt Ilona Kickbusch, Direktorin des DTH-Lab. „Zwar sind nicht alle jungen Menschen in gleicher Weise betroffen, aber es gibt eindeutig Funktionen in den sozialen Medien und auf anderen Plattformen, die darauf ausgerichtet sind, den Profit über das Wohlbefinden junger Menschen zu stellen. Die Schaffung eines sicheren und gesunden Online-Umfelds und der Schutz junger Menschen vor digitalen Schäden müssen für alle Länder zu den dringenden Prioritäten der öffentlichen Gesundheit gehören. Die Online-Erfahrungen junger Menschen sind heute eine wichtige Determinante ihrer Gesundheit, und wir haben eine gemeinsame Verantwortung, dafür zu sorgen, dass diese Erfahrungen positiv sind.“
Dringende politische Maßnahmen
WHO/Europa ruft die Länder dazu auf, acht dringenden politischen Maßnahmen Priorität einzuräumen:
- das digitale Wohlbefinden zu einer nationalen Priorität für die öffentliche Gesundheit zu machen;
- die Gestaltung von Plattformen zu regulieren, um süchtig machende und schädliche Funktionen zu beschränken;
- das Gesundheitspersonal zur Anleitung für eine sichere Nutzung von Technologien zu befähigen;
- eine von Jugendlichen geleitete digitale Steuerung zu unterstützen;
- verstärkt in Offline-Alternativen zur Bildschirmunterhaltung zu investieren;
- bewährte, ressortübergreifende Strategien im Bereich der öffentlichen Gesundheit zur Verbesserung des digitalen Wohlbefindens anzuwenden;
- klare Leitlinien für digitales Wohlbefinden und gesunde Technologienutzung zu entwickeln;
- die Industrie und kommerzielle Interessen zur Rechenschaft zu ziehen.
„In der digitalen Welt von heute müssen wir ein Gleichgewicht zwischen den Vorteilen der Technologie und ihren Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der jungen Generation finden. Dies ist für alle EU-Mitgliedstaaten eine neue Herausforderung“, sagte die stellvertretende polnische Gesundheitsministerin Katarzyna Kacperczyk auf einer internationalen Tagung zum Thema „Psychische Gesundheit von Jugendlichen und Digitalisierung“, die Polen im Rahmen der polnischen EU-Ratspräsidentschaft am 7. Mai dieses Jahres ausrichtete.
Junge Menschen in der Europäischen Region stimmen dem zu. Catalina Popoviciu aus Rumänien hat eine passende Metapher für dieses Gleichgewicht: „Die sozialen Medien sind wie ein Auto: Sie können uns von Punkt A nach Punkt B bringen, sie können uns von der Isolation in die Verbundenheit bringen, aber wir brauchen die Bedienungsanleitung, den Sicherheitsgurt und ein klares Verständnis der Fahrvorschriften und Geschwindigkeitsbegrenzungen, um sicherzustellen, dass wir verantwortungsvoll und sicher fahren.“