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Gesunde und florierende Städte erfordern soziales, wirtschaftliches, menschliches und planetarisches Wohlbefinden

23 November 2023
Medienmitteilung
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Utrecht, 23. November 2023 

In einer Zeit der rapiden Verstädterung und des Klimawandels in allen Teilen der Europäischen Region der WHO wie auch weltweit wird auf der Jahreskonferenz des Gesunde-Städte-Netzwerks der Europäischen Region der WHO die Rolle der Kommunen bei der Schaffung von Lösungen gewürdigt. Die diesjährige Konferenz ging heute in den Niederlanden zu Ende. Die teilnehmenden Städte verpflichteten sich dabei zu 12 konkreten Handlungsschwerpunkten für mehr Nachhaltigkeit, Gesundheit und Wohlbefinden für alle Einwohner.  

Die Empfehlungen wurden von 55 Städten und 19 nationalen Netzwerken in der Region ausgearbeitet. Mit ihrer Annahme verpflichten sich Bürgermeister und hochrangige politische Vertreter, sich für eine Ökonomie des Wohlergehens für ihre Städte und Einwohner in vier zentralen Bereichen einzusetzen: Planet, Menschen, Wirtschaft und Gesellschaft. 

In Reaktion auf die Permakrise in der Welt, die durch globale Ereignisse wie die COVID-19-Pandemie, Konflikte und den Klimawandel noch verschärft wird, stehen die Städte an vorderster Front eines Paradigmenwechsels hin zu einem dringend erforderlichen Ansatz einer Ökonomie des Wohlergehens. 

In einer Ökonomie des Wohlergehens wird das soziale Wohlbefinden und ökologische Nachhaltigkeit über das traditionelle Wirtschaftswachstum gestellt; sie steht damit im Einklang mit bestehenden Bewegungen wie der Kreislaufwirtschaft, dem Aufbau von Wohlstand in der Gemeinschaft und der sozialen Nachhaltigkeit. Sie geht weit über die Messung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) hinaus und stellt Menschen und Gemeinschaften in den Mittelpunkt von Politik und Entscheidungsfindung.  

„Den Städten kommt bei der Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden ihrer Einwohner eine entscheidende Rolle zu. Sie sind Vorreiter für innovative, lokale Lösungen und Initiativen, und diese politischen Empfehlungen spiegeln das Engagement und die Entschlossenheit der Städte wider, sich einer Ökonomie des Wohlergehens anzunähern“, erklärte Robb Butler, Direktor der Abteilung Übertragbare Krankheiten, Umwelt und Gesundheit bei WHO/Europa.

„Die Zusammenarbeit der Städte wird entscheidend sein für die Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen und die Nutzung von Chancen für die Gesundheit in den Städten. Mobilität, Luftqualität und der Zugang zu Grün- und Erholungsflächen gehören zu den entscheidenden Bausteinen für das Wohlbefinden, die mit, durch und für die Bewohner gestaltet werden müssen, unabhängig von deren Alter oder sozioökonomischem Status“, fügte Herr Butler hinzu. 

Kira Fortune, Regionalbeauftragte der WHO für Gesunde Städte, Gesundheitsförderung und Wohlbefinden, stellte fest: „Anlässlich des 35-jährigen Bestehens des Gesunde-Städte-Netzwerks der Europäischen Region der WHO rufen wir Flaggschiff-Städte und nationale Netzwerke zusammen und räumen der Gesundheit einen hohen Stellenwert auf der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Agenda der lokalen Regierungen ein.“

Sie betonte: „Die heute angenommenen politischen Empfehlungen werden auf früheren Erfolgen und bewährten Praktiken aufbauen und die Städte einen Schritt näher an das Ziel heranbringen, Emissionsfreiheit zu erreichen, für eine nachhaltige Jugendbeschäftigung zu sorgen und integrative und solidarische Gesellschaften aufzubauen.“  

Die Integration des Wohlbefindens in der gesamten Region ist ein wesentlicher Schritt zur Abstimmung der politischen Mandate, um die Zusammenarbeit und Koordination zwischen Städten, Ressorts und maßgeblichen Akteuren für Maßnahmen auf der kommunalen Ebene zu stärken.  

Städte in der gesamten Region haben bewiesen, dass sie innovativ sind und Führung übernehmen können, wenn es darum geht, die nachhaltigen und integrativen Gemeinschaften der Zukunft aufzubauen. Die tschechische Stadt Brünn zum Beispiel übernimmt mit ihrem Bürgerhaushalt eine Vorreiterrolle, der es den Einwohnern ermöglicht, über Projekte abzustimmen, die ihren Werten entsprechen, und diese mitzugestalten. In Reykjavik (Island) dient der Grüne Deal als Leitfaden für die Vision der Stadt bis 2030 und stellt die Menschen und ihr Wohlbefinden dabei in den Mittelpunkt der Entscheidungsprozesse und der politischen Umsetzung. 

Die heute angenommenen zwölf Empfehlungen sind ein klarer Fahrplan für Städte, die mit gutem Beispiel vorangehen wollen, unterstützt vom Gesunde-Städte-Netzwerk der Europäischen Region der WHO und dem Europäischen Büro der WHO für Investitionen in Gesundheit und Entwicklung (Venedig), unabhängig davon, welche Regierung oder politische Partei an der Macht ist.  

Zwölf Handlungsschwerpunkte für florierende Städte 

Planetarisches Wohlbefinden 

    1. Schutz und Verbesserung der Umwelt durch bessere Luftqualität, mehr Grünflächen und Initiativen zur Verringerung der Umweltverschmutzung und zum Schutz der Artenvielfalt. 

    2. Integration des Wohlbefindens in die Städteplanung mit klaren Indikatoren, anhand derer sichergestellt wird, dass Entscheidungen über Infrastruktur, Wohnungsbau, Bewirtschaftung von Naturräumen, Regeneration und Verkehr dem menschlichen und planetarischen Wohlbefinden Vorrang einräumen.  

    3. Förderung nachhaltiger Gemeinschaften durch Ansätze wie eine Kreislaufwirtschaft und neue Wege zur Förderung erneuerbarer Energiequellen und Verbesserung der Energieeffizienz bei gleichzeitiger Förderung neuartiger Finanzierungsmechanismen, die der Umwelt und der Gesundheit der Bewohner zugutekommen. 

Menschliches Wohlbefinden 

    4. Vorrangige Berücksichtigung von Gesundheitsleistungen als Triebkraft für bessere gesundheitliche und wirtschaftliche Resultate und Verpflichtung zu Investitionen in Initiativen zur Förderung der Gesundheitsvorsorge, der psychischen Gesundheit und des gleichberechtigten Zugangs zu hochwertigen und diskriminierungsfreien Gesundheitsangeboten für alle. 

    5. Befähigung der Bürger zu selbstbestimmtem Handeln durch Lernen und Entwicklung, Investitionen in die frühkindliche Entwicklung und Unterstützung von Möglichkeiten des lebenslangen Lernens, die für das menschliche Wohlbefinden unerlässlich sind. 

    6. Förderung von Gesundheit, Sicherheit und Inklusion im Kontext wesentlicher Faktoren wie Wohnen, Ernährung, Migration und Sicherheit bei gleichzeitiger Anerkennung des Beitrags, den ältere Menschen zu Gemeinschaften und Städten leisten.  

 Wirtschaftliches Wohlbefinden 

    7. Förderung eines inklusiven und nachhaltigen Wirtschaftswachstums, geleitet von einer proaktiven städtischen Führung und einem Engagement für das Wohlergehen der Beschäftigten – eine Schlüsselkomponente einer Ökonomie des Wohlergehens – durch gesundheitsorientierte Handlungskonzepte wie existenzsichernde Löhne, faire und menschenwürdige Arbeit, sichere Arbeitsplätze und sozialer Schutz, um den Menschen ihre persönliche Entfaltung zu ermöglichen.  

    8. Förderung partizipatorischer Entscheidungsprozesse und inklusiver Praktiken sowie sinnvolle Beteiligung der Jugend. 

    9. Anerkennung der Verantwortung öffentlicher und privater Akteure für gesundheitsfördernde und gesundheitsunterstützende Praktiken, Einbindung der Zivilgesellschaft, Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz vor Interessenkonflikten und Förderung eines transparenten Dialogs mit Wirtschaftsakteuren.  

    10. Ankurbelung von Investitionen in den Städten durch eine gerechte Besteuerung und verstärkte Investitionen in städtische Zentren verbunden mit einer transparenten und rechenschaftspflichtigen Politiksteuerung, um eine optimale und gerechte Ressourcenverteilung zu gewährleisten. 

Soziales Wohlbefinden 

    11. Befähigung des Einzelnen zu selbstbestimmtem Handeln durch öffentliche Teilhabe, Vertrauen und Freiwilligenarbeit, Suche nach und Förderung von unterschiedlichen Stimmen und Perspektiven in Entscheidungsprozessen und Sicherstellung, dass Maßnahmen von der Bevölkerung mit vorangetrieben werden. 

    12. Förderung von Vielfalt und Inklusion und Bekämpfung gesundheitlicher und sozialer Ungleichheiten, indem sichergestellt wird, dass alle Einwohner unabhängig von Alter, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit oder Herkunftsort Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung, Bildung, sozialen Leistungen und Lebenschancen haben, und indem Initiativen und Programmen zur Verbesserung der Sicherheit der Gemeinschaft, die auf die Verringerung von Gewalt und die Schaffung eines sicheren Lebensumfelds abzielen, Vorrang eingeräumt wird. 

Ziel des Netzwerks ist es, sich die bedeutende Rolle von Städten bei der Gestaltung wohlhabender, integrativer und umweltfreundlicher Orte zunutze zu machen und die Einführung und Umsetzung von Konzepten einer Ökonomie des Wohlergehens zu beschleunigen, die auf wirksame Weise zu einer Verbesserung von Gesundheit und gesundheitlicher Chancengleichheit auf kommunaler Ebene beitragen. 

Zu diesem Zweck hat es Pilotprojekte zum Wohlbefinden in den Städten Brünn (Tschechien), Belfast (Vereinigtes Königreich), Cork (Irland), Derry (Vereinigtes Königreich), Palaio Faliro (Griechenland), Reykjavik (Island), Tiflis (Georgien), Udine (Italien) und Utrecht (Niederlande) initiiert.

Über das Gesunde-Städte-Netzwerk der Europäischen Region der WHO 

Das 1988 gegründete Netzwerk ist eine politische, fach- und ressortübergreifende Initiative und Bewegung, die eine direkte Zusammenarbeit mit Städten in allen Teilen der Europäischen Region der WHO verfolgt. Sie ist ein entscheidendes Forum für die Herbeiführung von Veränderungen und die Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden sowie die chancengleiche und nachhaltige Entwicklung in Städten in allen Teilen der Region wie auch weltweit.