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Drei Jahre Krieg: steigender Bedarf an psychosozialer Unterstützung, Traumabehandlung und Rehabilitation

24 February 2025
Pressemitteilung
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Seit Beginn des Angriffskriegs der Russischen Föderation auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat die WHO mindestens 2254 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen dokumentiert. Das Gesundheitssystem steht weiterhin vor nie dagewesenen Herausforderungen. Auch 2025 halten die Angriffe auf die Gesundheitsversorgung an, und wir dokumentieren sie weiterhin fast täglich. So wurden 2025 bereits 42 Angriffe registriert, bei denen zwölf Menschen verletzt und drei getötet wurden. Ein nächtlicher Luftschlag auf Odessa, bei dem die größte und innovativste Kinderklinik der Region beschädigt und lebenswichtige Dienste unterbrochen wurden, passt in dieses anhaltende und alarmierende Muster. Dieser Angriff verdeutlicht die ständigen Risiken und Hindernisse, mit denen die Beschäftigten des Gesundheitswesens konfrontiert sind, aber auch die anhaltende Beeinträchtigung der Gesundheitsversorgung in der gesamten Ukraine.

„Ärztin in Kriegszeiten zu sein, bedeutet, nach jeder Schicht nach Hause zu kommen, und sich zu wünschen, der Krieg hätte nie stattgefunden, und für sein schnelles Ende zu beten. Die Menschen sind erschöpft – sowohl die Patienten als auch das Gesundheitspersonal. Doch als Mediziner können wir es uns nicht erlauben, erschöpft zu sein. Unsere Patienten sind darauf angewiesen, dass wir durchhalten, und wir müssen unsere Erschöpfung überwinden, um sie weiterhin so versorgen zu können, wie sie es verdienen“, sagt Olha Zavyalova, Notärztin und Chirurgin aus der Region Dnipro.

Veränderte gesundheitliche Bedürfnisse

Drei Jahre Krieg und elf Jahre Invasion haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung in der Ukraine gehabt. Laut der jüngsten Bewertung des gesundheitlichen Bedarfs in der Ukraine durch die WHO (Oktober 2024) berichten 68 % der Ukrainer über eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands im Vergleich zur Vorkriegszeit. Am häufigsten sind psychische Gesundheitsprobleme, von denen 46 % der Menschen betroffen sind, gefolgt von psychischen Erkrankungen (41 %) und neurologischen Störungen (39 %).

Nichtübertragbare Krankheiten sind für 84 % aller Todesfälle in der Ukraine verantwortlich. Die Haupthindernisse für die Versorgung von Patienten mit nichtübertragbaren Krankheiten sind nicht verfügbare Leistungen und die hohen Arzneimittelkosten, sodass chronisch Kranke anfällig für Ausfälle in der Versorgung werden und ihnen eine irreversible Verschlechterung ihres Gesundheitszustands droht.

Der Krieg hat den Bedarf an medizinischer Versorgung erhöht, insbesondere in Bereichen wie Traumabehandlung und Rehabilitation. Nach Schätzungen des Gesundheitsministeriums wurden bis Mitte 2024 aufgrund des Krieges 100 000 Amputationen vorgenommen. Der gravierende Mangel an Traumaspezialisten, Prothesen und Rehabilitationsangeboten hat die Krise weiter verschärft. Heilung ist oft eine Frage der Zeit, kann aber auch eine Frage der Gelegenheit sein. Langfristige Rehabilitationsmaßnahmen für Kriegsverletzte sind sowohl für die physische als auch für die psychische Genesung entscheidend wichtig. 

Aufbau eines widerstandsfähigen Gesundheitssystems

Die WHO kümmert sich um den wachsenden Gesundheitsbedarf der Ukraine und bemüht sich darum, allen Ukrainern Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung zu verschaffen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Stärkung der primären Gesundheitsversorgung, um die Ausbreitung nichtübertragbarer Krankheiten zu bekämpfen und den Zugang zu lebenswichtigen Leistungen in den Bereichen psychische Gesundheit und Rehabilitation zu erweitern. Außerdem unterstützen wir den Aufbau eines widerstandsfähigen Gesundheitssystems, indem wir zusammen mit dem Gesundheitsministerium und dem Nationalen Gesundheitsdienst der Ukraine den Leistungsumfang auch um Rehabilitationsangebote erweitern und die Bewertungsinstrumente vereinheitlichen. Dadurch wird sichergestellt, dass die Ressourcen dort eingesetzt werden, wo sie am dringendsten benötigt werden, und eine solidere Grundlage für eine qualitativ hochwertige Versorgung geschaffen. 

Zu den wichtigsten Errungenschaften im Bereich der psychischen Gesundheit gehören die Entwicklung des Zielmodells der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung in der Ukraine und der nationale Aktionsplan für psychische Gesundheit 2024–2026, aber auch 24 Aktionspläne auf Oblast-Ebene. Die Rehabilitation ist ein wesentlicher Schwerpunkt unserer Bemühungen beim Kapazitätsaufbau von Fachkräften. Bis Ende 2024 führte die WHO Schulungen für multidisziplinäre Rehabilitationsteams aus 28 nicht spezialisierten stationären Rehabilitationsabteilungen aus elf Oblasten durch.

Ein wichtiger Meilenstein war die Reform des ukrainischen Systems der Schlaganfallversorgung. Hierbei leitete die WHO fachliche Beratungen, führte klinische Audits durch und unterstützte die Überwachung von über 50 Gesundheitseinrichtungen zum Zwecke der Verbesserung der Akutversorgung. Die WHO hat auch das Paket unverzichtbarer Interventionen zur Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten präsentiert, das auf integrierte Versorgung in ressourcenarmen Umgebungen setzt. Im Bereich der antimikrobiellen Resistenz wurde der nationale Aktionsplan genehmigt, der eine kontinuierliche Schulung des Gesundheitspersonals und die Modernisierung von Einrichtungen vorsieht. Darüber hinaus unterstützte die WHO die Finanzierung der primären Gesundheitsversorgung durch Kostenberechnungen, Beiträge zur Gestaltung der Kostenerstattung und den Aufbau von Netzwerken, was im Juli 2024 zur Genehmigung einer Kopfpauschalen-Methodik durch das Gesundheitsministerium führte.

Vertreibung und Gefährdung

Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist in der gesamten Ukraine weiterhin problematisch. Bei einer Umfrage gab ein Viertel der Befragten (25 %) an, dass sich ihr Zugang zur Gesundheitsversorgung seit dem Beginn der Invasion im Februar 2022 verschlechtert habe. Die Kosten für Medikamente und Behandlungen stellen nach wie vor ein großes Hindernis für die Versorgung dar: im Oktober 2024 gaben 35 % der Befragten an, medizinische Leistungen aus finanziellen Gründen aufgeschoben zu haben.

Zu den am stärksten gefährdeten Gruppen gehören Binnenvertriebene. 13 % der Binnenvertriebenen haben keinen Zugang zu Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung, während es in den Aufnahmeländern nur 6 % sind. Ebenso haben 9 % der Binnenvertriebenen keinen Zugang zu einem Hausarzt (verglichen mit 4 % der Einheimischen), und 12 % haben keine Erklärung bei einem Hausarzt unterschrieben (verglichen mit 5 % in den Aufnahmeländern). Zwar berichten Binnenvertriebene über positivere Veränderungen in der Qualität der Gesundheitsversorgung als Einheimische, doch ist ihr Zugang zur primären Gesundheitsversorgung und zu Präventionsangeboten nach wie vor schwieriger.

Der Zugang zur Gesundheitsversorgung wird immer ungleicher, vor allem in den Gebieten nahe der Front. Die am stärksten beschädigten und nicht mehr funktionstüchtigen Gesundheitseinrichtungen befinden sich entlang der Frontlinie, wo die verbleibende Bevölkerung oft mehrfach gefährdet ist, insbesondere aufgrund von Alter oder Behinderung. Die betreffenden Einrichtungen leiden unter häufigen Unterbrechungen der Versorgung mit medizinischen Hilfsgütern, einem Mangel an medizinischem Personal und erheblichen Hindernissen für die Versorgung. In zehn Oblasts entlang der Frontlinie gaben 68 % der Erwachsenen an, dass sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert habe. Am höchsten fiel der Verzicht auf Gesundheitsleistungen in Cherson (43 %) aus, gefolgt von Charkiw (24 %) und Saporischschja (18 %). Die anhaltenden Störungen in diesen Bereichen unterstreichen die dringende Notwendigkeit einer anhaltenden Unterstützung und gezielter Interventionen.

Die Bemühungen der WHO: Gegenmaßnahmen, Wiederaufbau und Reformen 

Im vergangenen Jahr verlagerte die WHO ihren Schwerpunkt von der Nothilfe auf den Kapazitätsaufbau; dabei erhielten die primäre Gesundheitsversorgung und kritische Bereiche wie nichtübertragbare Krankheiten, Impfwesen, psychische Gesundheit, HIV, Tuberkulose, Infektionsschutz und Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen Vorrang. Die WHO bemüht sich zusammen mit den ukrainischen Behörden darum, die gesundheitlichen Maßnahmen und den Wiederaufbau auszuweiten, u. a. durch Einrichtung von 29 modularen Kliniken für die primäre Gesundheitsversorgung in den betroffenen Regionen. Die WHO unterstützt auch die Reformierung der Gesundheitsfinanzierung, einschließlich des Kapazitätsaufbaus, der Transparenz im Beschaffungswesen und der strategischen Planung, um das ukrainische Gesundheitssystem zu stärken und sicherzustellen, dass es trotz der anhaltenden Herausforderungen handlungsfähig bleibt. Darüber hinaus werden die Weiterbildungsmöglichkeiten für Pflegekräfte und andere Gesundheitsberufe ausgebaut, um dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken und das Gesundheitssystem insgesamt zu stärken.

Blick in die Zukunft: Wiederherstellung der Gesundheit und der Hoffnung

Gesundheit ist die Grundlage für Frieden und Wiederaufbau. Der Wiederaufbau der Gesundheitssysteme bedeutet, Hoffnung und Würde wiederherzustellen und die Zukunft zu sichern. Wir bei der WHO handeln jetzt – wir warten nicht das Ende des Krieges ab. Wir sind gleichzeitig mit Wiederaufbau, Gegenmaßnahmen und Reformen beschäftigt. Jedes verspätete Eingreifen verschlimmert die Situation und erhöht die künftigen Kosten. Deshalb appellieren wir an unsere internationalen Partner: Wir brauchen jetzt mehr denn je Ihre Unterstützung. Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass in der Ukraine niemand zurückgelassen wird.