„Nachts wurden wir von Explosionen geweckt. Sie hielten bis in die Morgenstunden an. Überall war Rauch und militärische Ausrüstung auf den Straßen. Wir wussten, dass der Krieg begonnen hatte. Es war beängstigend.“
Hanna, eine 18-jährige Studentin aus der Ukraine, ist eine von drei Tuberkulosepatienten, die nach der russischen Invasion der Ukraine im Februar 2022 in die Republik Moldau flohen. Einen Monat zuvor hatte Hanna die Diagnose Tuberkulose erhalten.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal mit dieser Krankheit anstecken würde, denn zuvor hatte ich nur davon gehört“, erklärt sie. „Meine Familie beschloss, dass es wichtig für mich sei, meine Behandlung unter normalen Bedingungen fortzusetzen, also sprach ich zwei Tage, nachdem der Krieg ausgebrochen war, mit meinem Arzt und erklärte ihm, dass ich in die Republik Moldau gehen werde.“
Ihr Arzt in Odessa entließ sie und gab ihr Tuberkulosemedikamente für einen Monat, damit Hanna die Grenze überqueren konnte, ohne ihre Behandlung unterbrechen zu müssen. Sie versprach, Kontakt mit der nichtstaatlichen Organisation SMIT aufzunehmen, sobald sie im Land angekommen sei. SMIT würde als Vermittlungsplattform zwischen Hannas Arzt in der Ukraine und dem moldauischen Nationalen Tuberkuloseprogramm agieren.
Kontinuität der Behandlung
Zu diesem Zeitpunkt war die nationale Gemeinsame Fachliche Arbeitsgruppe für Tuberkulose und HIV bereits zusammengekommen, um Maßnahmen zu identifizieren, mithilfe derer die Kontinuität von Behandlung, Tests und Diagnosen von HIV und Tuberkulose unter ukrainischen Flüchtlingen gewährleistet werden kann. Das Gesundheitsministerium der Republik Moldau hatte sich bereit erklärt, die Überwachung und medizinische Hilfe für Flüchtlinge mit Tuberkulose und anderen Krankheiten zu übernehmen.
Vor diesem Hintergrund wurde ein länderübergreifender Überweisungsmechanismus für Tuberkulose- und HIV-Patienten geschaffen. Dr. Valentina Vilc, Leiterin des Nationalen Tuberkuloseprogramms der Republik Moldau, sagt, die Tatsache, dass Flüchtlinge Antituberkulotika mit sich bringen können, die für eine Behandlung ausreichen bis sie entsprechende Angebote im Land erreichen, sei ein großer Vorteil.
„Alle Patienten trafen mit Behandlungsakten hier ein, die auch detaillierte Beschreibungen der Krankheit, Untersuchungsdaten und Angaben zu den verschriebenen Medikamenten enthielten“, erläutert sie. „Die Patienten werden hier untersucht und setzen ihre Behandlung dann ambulant fort. Sofern ein Patient einer stationären Behandlung bedarf, wird er in das Institut für Lungentuberkulose ,Chiril Draganiuc‘ eingewiesen.“
Ein patientenorientierter Ansatz
Am Tag nach ihrer Ankunft in der Republik Moldau wurde Hanna an das Institut für Lungentuberkulose überwiesen, welches das führende tertiäre Gesundheitszentrum für Tuberkulose und Lungenerkrankungen in der Republik Moldau ist. „Ich wurde eingehend untersucht, es wurden Röntgenaufnahmen gemacht und alle möglichen Tests durchgeführt – Blut-, Urin- und Sputumtests“, erinnert sie sich.
„Fürs Erste setze ich meine Behandlung ambulant fort, dann wird man mich nach einiger Zeit wieder untersuchen. Ich stehe in ständigem Kontakt zu den Ärzten.“
Währenddessen weist Dr. Vilc darauf hin, dass eine humanitäre Krise immer einen Risikofaktor für die Ausbreitung der Tuberkulose darstellt, und zwar nicht nur in einem einzigen Land. Sie erläutert, dass die Unterbrechung der Behandlung einer medikamentös behandelbaren Tuberkulose zur Entwicklung einer medikamentenresistenten Form der Tuberkulose (DR-Tb) führen kann. Wenn dies geschieht, warnt sie, werde die Krankheit in einer noch schlimmeren Form zurückkehren und sei dann sehr schwer und manchmal unmöglich zu heilen, wenn die Behandlung der DR-Tb dann unterbrochen wird.
„Wenn Patienten gestresst oder überlastet sind, verändern sich die Prioritäten und es besteht ein sehr hohes Risiko, dass sie ihre Behandlung abbrechen. In diesem Fall kann eine latente Tuberkuloseinfektion sich zu einer aktiven Tuberkulose entwickeln, die schnell zu einer medikamentenresistenten Form werden kann. Daher ist es notwendig, entsprechend der jeweiligen Bedürfnisse eines Patienten die nötige Unterstützung zur Verfügung zu stellen und Probleme, die für sie entscheidend und wichtig sind, gemeinsam anzugehen.“
Aus diesem Grund erhalten Asylbewerber, die an einer aktiven Tuberkulose leiden, bei Ihrer Ankunft Hilfe von Flüchtlingsorganisationen bei der Suche nach einer Unterkunft im Land. Ihr Behandlung kann aus der Ferne per Videobeobachtung organisiert werden, und sie können ihre Behandlung für Tuberkulose und medikamentenresistente Formen der Krankheit, einschließlich modifizierter kürzerer Behandlungsregime, fortsetzen. Sie werden anhand vorhandener Behandlungsprotokolle überwacht, die in der Republik Moldau und der Ukraine gleich sind.
„Schwierig bedeutet nicht unmöglich“
Ersten vorläufigen Schätzungen der WHO zufolge werden in der Republik Moldau allein im ersten Monat über 50 Tuberkulosepatienten aus der Ukraine erwartet. Dr. Vilc erklärt, dass das Nationale Tuberkuloseprogramm über ausreichende Pufferbestände an Medikamenten zur Behandlung von Tuberkulose und DR-Tb verfüge. Zudem werden Informationen zu Symptomen von Tuberkulose und HIV sowie Kontaktdaten örtlicher Einrichtungen und Organisationen an sichtbaren Stellen in den Flüchtlingszentren ausgelegt.
„Tuberkulose ist eine behandelbare Krankheit“, betont Dr. Vilc. „Man kann eine vollständige Heilung erzielen, aber dafür muss man auch entsprechende Chancen nutzen. Wenn man aufgibt, wird es einem nicht besser gehen, alle, die dir nahe sind, werden zusammen mit dir leiden. Die Krankheit erfordert eine lange und schwierige und oft nicht sehr angenehme Behandlung, aber schwierig bedeutet nicht unmöglich.“
Für Hanna ist es jetzt wichtig, ihre Behandlung abzuschließen und nach Hause zurückzukehren. Sie vermisst ihre Familie in der Ukraine, aber sie versteht, wie entscheidend es jetzt für sie ist, ihre Tuberkulosebehandlung unter keinen Umständen zu unterbrechen.
„Ich bin allen sehr dankbar für ihre Hilfe und Unterstützung. Das Wichtigste für mich ist, dass alle am Leben sind und es ihnen gut geht. Vor allem aber will ich, dass dieser Alptraum so schnell wie möglich vorbei ist und ich nach Hause zu meiner Familie und meinen Freunden zurückkehren kann.“