Kopenhagen, 24. März 2022
Ein Monat Krieg in der Ukraine hat das dortige Gesundheitssystem verheerend getroffen, den Zugang zur Gesundheitsversorgung schwer beeinträchtigt und eine dringende Notwendigkeit geschaffen, Verletzungen und chronische Erkrankungen zu behandeln. Die Zerstörung von Gesundheitseinrichtungen und die Unterbrechung von Versorgungsketten für medizinische Hilfsgüter stellen inzwischen eine schwerwiegende Bedrohung für Millionen Menschen dar.
Auswirkungen auf die Gesundheit
Bisher gibt es fast 7 Millionen Binnenvertriebene, und die Zahl der Menschen, die in Nachbarländer geflohen sind, nähert sich rapide der Marke von 4 Millionen.
Somit wurde schon ein Viertel der ukrainischen Bevölkerung vertrieben, was die Lage von Personen, die an nichtübertragbaren Krankheiten leiden, noch verschärft. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) leidet etwa ein Drittel der Binnenvertriebenen an einer chronischen Erkrankung.
Eine Reihe von Krankenhäusern wurde zur Versorgung der Verletzten umgerüstet – eine aufgrund der Umstände notwendige Umstellung, die auf Kosten der gesundheitlichen Grundversorgung und der primären Gesundheitsversorgung geht. Nach Schätzungen sind etwa die Hälfte aller Apotheken in der Ukraine geschlossen. Ein Teil des Gesundheitspersonals ist geflohen oder nicht in der Lage zu arbeiten.
Fast 1000 Gesundheitseinrichtungen liegen in der Nähe von Konfliktgebieten oder in Gebieten, die mittlerweile unter fremder Kontrolle stehen. Dies hat zur Folge, dass der Zugang zu Arzneimitteln, Gesundheitseinrichtungen und Gesundheitspersonal eingeschränkt oder nicht mehr vorhanden ist und daher die Behandlung chronisch Kranker fast zum Erliegen gekommen ist.
Auch Impfungen gegen COVID-19 sowie Routineimpfungen finden nicht mehr statt. Vor der Invasion wurden täglich mindestens 50 000 Menschen gegen COVID-19 geimpft. Dagegen waren es zwischen 24. Februar und 15. März nur insgesamt 175 000 Personen.
Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen
Mit Stand vom 22. März hatte die WHO insgesamt 64 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen innerhalb von 25 Tagen (zwischen 24. Februar und 21. März) bestätigt, die 15 Todesfälle und 37 Verletzte zur Folge hatten. Das entspricht zwei bis drei Angriffen pro Tag. Die WHO verurteilt derartige Angriffe auf das Schärfste.
„Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht, sind aber zu einer besorgniserregend verbreiteten Kriegstaktik geworden – sie zerstören die grundlegende Infrastruktur, aber schlimmer noch: sie zerstören Hoffnung“, erklärte Dr. Jarno Habicht, Repräsentant der WHO in der Ukraine. „Sie berauben ohnehin schon anfällige Personen der Hilfe, die oftmals den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmacht. Die Gesundheitsversorgung ist keine Zielscheibe und darf auch nie dazu gemacht werden.“
Die Reaktion der WHO
Am ersten Tag des Krieges aktivierte die WHO ihre Notfallpläne, wies Mitarbeitern neue Aufgaben und Projekten neue Ziele zu und verlagerte den Schwerpunkt auf die Notfallversorgung, um das Gesundheitssystem der Ukraine und sein Personal zu unterstützen.
Die WHO bemüht sich in enger Abstimmung mit dem ukrainischen Gesundheitsministerium und den zuständigen Behörden, Defizite und Lücken im nationalen Gesundheitssystem zu ermitteln und zu schließen. Sie hat im polnischen Rzeszów ein Betriebszentrum eröffnet, eine Versorgungsleitung in die meisten ukrainischen Städte mit Hilfsgütern für Verletzte aufgebaut und mehr als 100 Tonnen an medizinischen Hilfsgütern über die Grenze in Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land geschickt.
Etwa 36 Tonnen Hilfsgüter sind derzeit unterwegs nach Lemberg, weitere 108 Tonnen stehen bereit, und zwar Versorgungsgüter für die Behandlung Verletzter, Arzneimittel für chronisch Kranke, Medikamente für Kinder und Blutkonserven.
„Unsere Lieferungen gehen dorthin, wo sie benötigt werden, und entsprechen dem jeweiligen Bedarf vor Ort, wo das ukrainische Gesundheitspersonal unter kaum vorstellbaren Umständen rund um die Uhr arbeitet. Ein Team von entsprechend ausgebildeten Gesundheitsfachkräften kann mit einem Trauma-Kit der WHO, das chirurgische Ausrüstung, Gebrauchsgüter und Antiseptika enthält, das Leben von 150 Verletzten retten. Mit anderen Worten: mit zehn solchen Kits können 1500 Menschenleben gerettet werden“, sagte Dr. Habicht.
Als Teil eines Konvois der Vereinten Nationen erreichte ein LKW der WHO am 18. März die Stadt Sumy im Nordosten der Ukraine und lieferte dringend benötigte medizinische Hilfsgüter zur Behandlung von 150 Traumapatienten und zur primären Gesundheitsversorgung für 15 000 Patienten für die Dauer von drei Monaten. Zu den sonstigen Lieferungen an Gesundheitseinrichtungen in den vergangenen Tagen gehörten Beatmungsgeräte, chemische Schutzanzüge, ein Hämatologie-Analysator, Tanks für Flüssigsauerstoff und kryogene Zylinder.
Ferner wurden über 20 medizinische Notfallteams in die Ukraine, nach Polen und in die Republik Moldau entsandt, um das dortige Personal zu schulen und ihr Leistungsangebot durch fachärztliche Leistungen zu verstärken.
In ihrer Einschätzung der gesundheitlichen Situation in den Aufnahmeländern der Flüchtlinge (s. nachstehender Link) ermittelt die WHO die wichtigsten Gesundheitsrisiken und gibt entsprechende Empfehlungen zu Bereichen wie impfpräventable Krankheiten, Gesundheit von Mutter und Kind oder chronischen Infektionskrankheiten und nichtübertragbaren Krankheiten.
„Ich habe mit eigenen Augen die außerordentliche humanitäre Hilfe in den Nachbarländern gesehen, aber diese Notlage ist noch lange nicht vorüber. In den kommenden Wochen erwarten wir noch mehr Vertriebene – überwiegend Frauen, Kinder und ältere Menschen – mit noch größeren gesundheitlichen Bedürfnissen. Sie haben vielleicht Probleme beim Zugang zu den benötigten Gesundheitsleistungen und Arzneimitteln – und dies kann lebensbedrohliche Folgen haben“, sagte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa.