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Unerledigte Aufgaben: Die Herausforderung der Beendigung der Tuberkulose in der Europäischen Region

24 March 2023
Medienmitteilung
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Stockholm/Kopenhagen, 24. März 2023

Anlässlich des Welt-Tuberkulose-Tags 2023 sprechen das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und das Regionalbüro für Europa der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine ernüchternde Warnung aus, dass die Europäische Region trotz der vorhandenen Instrumente zur Beendigung der Tuberkulose nach wie vor weit entfernt ist von der Verwirklichung ihrer Zielvorgaben der Endspielstrategie für Tuberkulose, namentlich der Senkung der Tuberkuloseinzidenz um 80 % und der Reduzierung der tuberkulosebedingten Todesfälle um 90 % bis 2030. Auch wenn dies zum Teil durch die regionsweiten Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Gesundheitssysteme bedingt ist, etwa im Hinblick auf die vorhandenen Kapazitäten zur Prävention, Diagnose und Behandlung von Tuberkulosefällen, müssen die Länder dennoch dringend ihre Anstrengungen verstärken, wenn diese Zielvorgaben erreicht werden sollen. 

Der jüngste Bericht von ECDC und WHO über die Surveillance und Überwachung der Tuberkulose zeigt, dass trotz eines allgemeinen Abwärtstrends bei der Tuberkuloseinzidenz in der Europäischen Region der WHO der gegenwärtige Rückgang nicht ausreichen wird, um die Zielvorgaben zur Beendigung der Tuberkuloseepidemie bis 2030 gemäß den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen zu verwirklichen.

Diagnose und Behandlung sind entscheidend

Um die Tuberkulose zu beenden, muss die Übertragung unterbrochen werden, und zwar durch die zeitnahe Identifizierung von Menschen mit aktiver Tuberkulose und die Verhinderung einer Weiterentwicklung der Tuberkulose bei bereits infizierten Menschen. Obwohl viele Länder in der Europäischen Region der WHO einen Anstieg der Zahl der gemeldeten Tuberkulosefälle gegenüber dem Vorjahr meldeten, verzeichnete die Region im Jahr 2021 dennoch 23 % weniger Tuberkulosefälle als im Jahr 2019. Die Europäische Region umfasst 53 Länder und hat eine Gesamtbevölkerung von fast 900 Mio. Menschen, von denen ca. 508 Mio. in den Ländern der EU und des EWR (27 EU-Mitgliedstaaten sowie Island, Liechtenstein und Norwegen) leben. Zu den weiteren großen Herausforderungen in der Region zählen eine zunehmende Belastung durch medikamentenresistente Fälle und Behandlungserfolgsquoten, die unter den angestrebten Zielvorgaben bleiben, verbunden mit der Unterbrechung von Tuberkuloseangeboten infolge der COVID-19-Pandemie. 

Die Direktorin des ECDC, Andrea Ammon, erklärte: „Auch im Jahr 2021 hatte die anhaltende COVID-19-Pandemie noch immer erhebliche Auswirkungen auf unsere Mitgliedstaaten. Für die Tuberkulosebehandlung vorgesehene Ressourcen wurden umverteilt und Patienten hatten Schwierigkeiten beim Zugang zu klinischen Angeboten, was in einigen Fällen möglicherweise zu einer verzögerten Diagnose und Behandlung führte. Aus diesem Grund müssen wir die Zahl der diagnostizierten und erfolgreich behandelten Menschen erhöhen. Das ECDC ist nach wie vor entschlossen, eng mit den Ländern der EU und des EWR zusammenzuarbeiten und sie bei ihren Bemühungen zur Beendigung der Tuberkuloseepidemie zu unterstützen.“ 

Vor nur drei Jahren, vor Beginn der Pandemie, verzeichnete die Region bei Tuberkuloseinzidenz und -mortalität den stärksten Rückgang weltweit. Doch im Jahr 2021 stieg die durch Tuberkulose bedingte Mortalität in der Region im Vergleich zum Jahr 2020, und die rückläufige Inzidenzrate stagnierte zum ersten Mal seit 20 Jahren. 

Zeit zum Handeln

„Trotz der bestehenden Herausforderungen sind dies bemerkenswerte Zeiten“, erklärte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa. „Wir müssen die uns zur Verfügung stehenden neuen Technologien in vollem Umfang nutzen, so etwa molekulare Schnelldiagnose, bessere und kürzere Präventions-, Behandlungs- und Versorgungsregime sowie innovative digitale Gesundheitslösungen.“ 

Dr. Kluge bemerkte: „Wir verfügen über die wissenschaftlichen und medizinischen Instrumente, um verlorenen Boden wiedergutzumachen, doch dafür brauchen wir dringend stärkere, konsistente, mit großem Einsatz verbundene Partnerschaften zwischen Mitgliedstaaten, Geberstellen und betroffenen Gemeinschaften, wenn wir alle, die mit Tuberkulose leben, erreichen und ihnen die Behandlung und Versorgung zukommen lassen wollen, die sie brauchen. In diesem September werden Führungspersönlichkeiten aus Europa und darüber hinaus im Rahmen der zweiten Tagung der Vereinten Nationen auf hoher Ebene zum Thema Tuberkulose sich zu neuen Zielvorgaben bekennen und neue Etappenziele für die Beendigung der Tuberkulose festlegen. Diese Bekenntnisse sollten ein Versprechen sein, dass wir den Menschen, die am meisten auf Hilfe angewiesen sind, helfen werden – denn Tuberkulose ist größtenteils eine Krankheit der Armut und der Vernachlässigung, verschleiert durch Stigmata und Diskriminierung, und betrifft vor allem einige der am stärksten auf Schutz angewiesenen Gruppen. Jetzt ist genau die richtige Zeit, um einen neuen Pfad zur Erreichung des Endziels der Beendigung der Tuberkulose in der Europäischen Region wie auch weltweit aufzuzeigen.“

Fakten und Daten

Gemeldete Fälle

2021 wurden in der gesamten Europäischen Region der WHO über 166 000 Neu- und Rückfälle von Tuberkulose gemeldet. 2020 gab es rund 164 187 neue und rückfällige Tuberkulosediagnosen; im Jahr 2019 waren es 216 368 Neu- und Rückfälle. Viele Länder meldeten gegenüber dem Vorjahr (2020) einen Anstieg der gemeldeten Tuberkulosefälle; insgesamt gab es eine leichte Erholung (1,1 %) bei der Meldung von Tuberkulosefällen. 

2021 wurden in den Ländern der EU und des EWR insgesamt 33 520 Tuberkulosefälle gemeldet. 2020 wurden über 33 800 Fälle gemeldet; im Jahr 2019 waren es 45 192. Auch wenn die länderspezifischen Melderaten sich erheblich unterschieden, war die Gesamtmelderate in den meisten Ländern im Laufe der letzten fünf Jahre, und insbesondere in den letzten zwei Jahren, rückläufig. Obwohl dies eine Fortsetzung des seit Beginn der Tuberkulose-Surveillance beobachteten Abwärtstrends darstellt, sollten die letzten Jahre vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie und den sich daraus ergebenden Herausforderungen für klinische Tuberkuloseangebote und die Tuberkulose-Surveillance gesehen werden. 

Medikamentenresistente Tuberkulose 

In der Europäischen Region hat sich die von rifampicin-resistenter Tuberkulose ausgehende Krankheitslast Schätzungen zufolge erhöht. Jeder dritte Fall von Lungentuberkulose in der Region ist resistent gegenüber Rifampicin. Nur 62 % der Patienten mit Lungentuberkulose sind sich ihrer Rifampicin-Resistenz bewusst, und rund 30 % der rifampicin-resistenten Patienten sind darüber hinaus resistent gegenüber Fluoroquinolonen. 

In den Ländern der EU und des EWR wiesen von den 16 895 im Jahr 2021 gemeldeten Fällen, bei denen Tests auf Medikamentenresistenzen eine Resistenz gegenüber Rifampicin ergaben (und zwar mindestens, zumal auch die Resistenz gegenüber anderen Medikamenten getestet werden kann), 630 (3,8 %) eine multiresistente Tuberkulose (MRD-Tb) auf. 

Behandlungserfolgsquoten

Sowohl in den Ländern der EU und des EWR als auch in der Europäischen Region der WHO bleiben die gemeldeten Behandlungserfolgsquoten in sämtlichen Kohorten deutlich unter den Zielvorgaben. Erfolgreiche Behandlungsergebnisse für neu diagnostizierte Tuberkulosefälle und Rückfälle sowie Kohorten mit rifampicin-resistenter Tuberkulose/MDR-Tb wurden bei 73,4 % bzw. 57,2 % erzielt.

Insgesamt verzeichneten 71,7 % der in der EU/dem EWR im Jahr 2020 gemeldeten Neu- und Rückfälle nach 12 Monaten im Jahr 2021 ein erfolgreiches Behandlungsergebnis. Behandlungserfolgsquoten nach 24 Monaten bei rifampicin-resistenter Tuberkulose/MDR-Tb lagen bei 51,7 %; bei prä-extensiv resistenter Tuberkulose (XDR-Tb) lagen sie bei 17,0 %. Behandlungserfolgsquoten nach 36 Monaten bei XDR-Tb lagen bei 66,7 %. 

Prävalenz von HIV bei Tuberkulosefällen 

Im Jahr 2021 wurde die HIV-Prävalenz bei inzidenten Fällen von Tuberkulose auf 13 % geschätzt – somit war es ein weiteres Jahr ohne Veränderung nach einem außerordentlich starken Anstieg von 4 % auf 12 % im Zeitraum zwischen 2007 und 2016. Schätzungen zufolge gab es in der Europäischen Region 29 000 HIV-positive Tuberkulosefälle. In den Ländern der EU und des EWR gab es 12 277 Fälle mit bekanntem HIV-Status, von denen 3,8 % als HIV-positiv gemeldet wurden.

Es bedarf weiterer Anstrengungen, um die Meldung von HIV-Koinfektionen, Tuberkulosefällen in Haftanstalten und Behandlungsergebnissen zu verbessern.

Bemühungen und Ressourcen für die Zukunft

Bei der Bekämpfung der Tuberkulose kommt es entscheidend auf dringende Investitionen in Ressourcen, Betreuung und Versorgung an, insbesondere vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie, die die Fortschritte bei der Verwirklichung der Etappenziele der Endspielstrategie der WHO für Tuberkulose gefährdet hat.

Der Welt-Tuberkulose-Tag wird weltweit jährlich am 24. März begangen. Sein übergeordnetes Ziel ist die Sensibilisierung für die weltweite Tuberkuloselast und den Stand ihrer Prävention und Bekämpfung. Der Begriff „Eliminierung der Tuberkulose“ wird als weniger als ein Erkrankungsfall pro 1 Mio. EW pro Jahr definiert.