WHO/Sophie Scott
Teilnehmer beteiligen sich während einem von der WHO geleiteten Workshop für den Kapazitätsaufbau an einem Rollenspiel zum Umgang mit sexueller Gewalt.
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Ausbau der Kapazitäten des polnischen Gesundheitssystems zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen während Notlagen

24 May 2023
Medienmitteilung
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Warschau, 24. Mai 2023 

Das WHO-Länderbüro in Polen und nationale Partnerorganisationen haben gemeinsam Leitfäden in polnischer Sprache veröffentlicht, um die Reaktion des polnischen Gesundheitssystems zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen während Notlagen zu stärken. Daten der WHO zufolge erleben Frauen und Mädchen während Notlagen, wie etwa Konflikten und Naturkatastrophen, häufiger sexuelle Gewalt, Gewalt durch Intimpartner und andere Formen von Gewalt, wie etwa sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel. 

Seit Beginn der Ukrainekrise im Februar 2022 sind schätzungsweise 8,5 Mio. Flüchtlinge in die Nachbarländer und darüber hinaus geflohen. Polen hat beispiellose Unterstützung für die Vertriebenen geleistet, die seine Grenze überquert haben – hauptsächlich Frauen und Kinder auf der Suche nach Schutz und Sicherheit –, indem es bisher 1,5 Mio. Flüchtlingen aus der Ukraine vorübergehenden Schutz gewährt hat. 

Das Eingehen auf die gesundheitlichen Bedürfnisse der Betroffenen hat die Aufnahmeländer von Flüchtlingen (darunter auch Polen) erheblichen Belastungen ausgesetzt. Die Bekämpfung von Gewalt ist dabei ein besonderes Anliegen. 

Die Gewaltrate gegen Frauen und Mädchen war in der Ukraine schon vor Beginn des Konflikts hoch. Im Jahr 2018 führte die WHO die bislang größte Erhebung zur Prävalenz von Gewalt gegen Frauen in der Ukraine durch. Dabei wurde festgestellt, dass fast ein Fünftel (18 %) der Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren, die an der Erhebung teilnahmen, mindestens einmal in ihrem Leben bereits körperliche bzw. sexuelle Gewalt durch einen Intimpartner erfahren hatte; 9 % wiederum berichteten, in den vorangegangenen 12 Monaten Opfer von Gewalt geworden zu sein. 

Die WHO sieht Gewalt durch Intimpartner und sexuelle Gewalt außerhalb einer Partnerschaft als die zwei häufigsten Formen von Gewalt gegen Frauen an, mit einer Prävalenz von 26 % in der Europäischen Region der WHO in der Altersgruppe der 15- bis 49-Jährigen. Vertriebene, Flüchtlinge oder jene, die in von Konflikten betroffenen Gebieten leben, sind einem noch größeren Risiko ausgesetzt. 

Frauen, die Opfer von Gewalt werden, nehmen eher Gesundheitsleistungen in Anspruch, auch wenn sie die Gewalterfahrung nicht explizit als Grund für die Inanspruchnahme angeben. 

„Gesundheitsdienste sind in der einzigartigen Position, Frauen zu identifizieren, die Opfer von Gewalt geworden sind, eine angemessene Versorgung zu gewährleisten, sie mit anderen Anbietern von Unterstützungsleistungen, wie etwa Rechtshilfe, in Kontakt zu bringen und potenziell dazu beizutragen, künftiges Leid zu verhindern“, erklärt Dr. Paloma Cuchί, Repräsentantin der WHO in Polen. „Gewalt, u. a. während Notlagen, ist ein hoch komplexes Problem, das verschiedene Facetten von Gesundheit und Wohlbefinden umfasst und mit unzureichender Gleichstellung und Chancengleichheit einhergeht. Diese Verbindungen zu verstehen und herzustellen, ist von zentraler Bedeutung.“ 

Um das polnische Gesundheitssystem zu unterstützen und zu gewährleisten, dass die an vorderster Front tätigen Fachkräfte angemessen mit Instrumenten und Anleitungen ausgestattet sind, um Überlebenden von Gewalt eine hochwertige Gesundheitsversorgung anzubieten, hat die WHO sich mit führenden Wissenschaftlern der Universität Warschau und der Universität Zielona Góra zusammengetan, um vier wesentliche Pakete mit WHO-Leitlinien zu überprüfen und übersetzen: 
  • „Gesundheitsversorgung für Frauen, die Gewalt durch Intimpartner oder sexueller Gewalt ausgesetzt sind: ein klinisches Handbuch“ 
  • „Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die sexuellen Missbrauch erlebt haben: klinische Leitlinien der WHO“ 
  • „Klinisches Management für Überlebende von Vergewaltigung und Gewalt durch Intimpartner: Entwicklung von Protokollen zur Anwendung in humanitären Krisen“ 
  • „Versorgung von Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind: ein Schulungslehrplan der WHO für Gesundheitsanbieter (überarbeitete Fassung, 2021)“. 
Die Leitlinien umfassen Protokolle für den Umgang mit Fällen sexueller Übergriffe und Gewalt durch Intimpartner. Darüber hinaus beinhalten sie Protokolle für Gesundheitsmanager und Verwaltungskräfte zur Stärkung der Gesundheitssysteme, um gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen vorzugehen. 

Experten aus dem Gesundheitswesen und der Wissenschaft leiteten die fachliche Überprüfung der Übersetzung der Leitlinien ins Polnische, um sicherzustellen, dass die Handbücher für Gesundheitsfachkräfte, die nach polnischem Recht mit Opfern sexueller Gewalt zu tun haben, relevant sind. 

Prof. Zbigniew Izdebski, ein Sexualwissenschaftler der Universität Warschau und der Universität Zielona Góra, erläutert: „Die WHO empfiehlt, dass Gesundheitsfachkräfte bereits im Rahmen ihrer Ausbildung lernen, wie man mit Gewalt gegen Frauen umgeht. Aus diesem Grund spielen Universitäten eine entscheidende Rolle bei der Gewährleistung, dass Gesundheitsfachkräfte über angemessene Fähigkeiten und ausreichendes Wissen verfügen, um auf Überlebende einzugehen.“ 

Prof. Dr. Krzysztof Czajkowski, ein nationaler Berater für Geburtshilfe und Gynäkologie, fügt hinzu: „Ich würde mich freuen, wenn mehr Gesundheitsfachkräfte in Polen in ihrer Ausbildung mit den nötigen Fähigkeiten ausgestattet werden, um Anzeichen von Gewalt zu erkennen, erste Unterstützung zu leisten, entsprechende medizinische Untersuchungen durchzuführen, die medizinische Versorgung von Überlebenden zu gewährleisten und sie bei Bedarf an andere Dienste zu überweisen.“