Innerhalb von gut zwei Monaten hat ein Ausbruch der Affenpocken in nicht-endemischen Ländern zu insgesamt mehr als 15 000 Fällen geführt, von denen über zwei Drittel auf die Europäische Region der WHO entfallen. Am 23. Juli 2022 hat der Generaldirektor der WHO diesen Ausbruch in zahlreichen Ländern zu einer gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite erklärt. Dies ist die höchste Alarmstufe im Rahmen der Internationalen Gesundheitsvorschriften.
Wir haben mit zwei Klinikern in Portugal und Italien über ihre Erfahrungen bei der Behandlung von Patienten mit Affenpocken gesprochen, um festzustellen, wie besorgt sie über den aktuellen Ausbruch der Krankheit sind, und um verschiedene Fehlannahmen rund um dieses Thema auszuräumen.
Dr. Francisco Silva ist Allgemeinmediziner in Lissabon und arbeitet dort auch in einer städtischen Klinik für Sexualgesundheit. Seine Einrichtung war eine der ersten in Europa, wo sich vermehrt Patienten mit ähnlichen Symptomen vorstellten, deren Ursache – dank der Kompetenz von Ärzten wie Dr. Silva und anderen – schnell ermittelt wurde: Affenpocken.
„Anfang Mai hatte ich mehrere Patienten mit vermeintlichen Geschwüren. Wir haben sie auf sexuell übertragbare Infektionen getestet, doch stets mit negativem Befund, und da wussten wir, dass etwas nicht stimmte. Unser Labor meldete die Fälle über die (vom Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten betriebene) Online-Plattform EpiPulse, und bald darauf erfuhren wir, dass es sich um unsere ersten Fälle von Affenpocken handelte.
Dank der umgehenden Meldung dieser ungewöhnlichen Fälle, die in Kliniken für Sexualgesundheit in Portugal, im Vereinigten Königreich und später in anderen europäischen Ländern festgestellt wurden, ergab sich schnell ein klares Bild mit der Schlussfolgerung, dass wir es mit einem bedeutenden, in seinem Ausmaß präzedenzlosen Ausbruch von Affenpocken zu tun hatten.
Dr. Cristina Mussini ist Professorin für Infektionskrankheiten und Direktorin der Klinik für Infektionskrankheiten an der Universität Modena und Reggio Emilia (Italien).
„Ich arbeite seit 1998 im Bereich HIV, und unsere Kliniken betreuen etwa 200 Patienten, die mit dieser Krankheit leben. Da diese Patientengruppe in der Regel besser über übertragbare Krankheiten informiert ist und sich in der Regel selbst auf ungewöhnliche Symptome beobachtet, kamen diese Personen als erste zu uns, als bei ihnen seltsame Ausschläge auftraten. Seitdem haben wir jedoch auch andere Patienten behandelt, die von unserer Klinik für Sexualgesundheit an uns überwiesen wurden.“
Nicht bloß ein Ausschlag
Wie beide Ärzte berichten, wiesen die ihnen vorliegenden Fällen allerdings nicht zwangsläufig den Ausschlag auf, der als typisches Symptom für Affenpocken gilt, weshalb es umso notwendiger ist, ärztlichen Rat zu suchen und sich testen zu lassen.
„Die meisten Menschen halten Ausschau nach Symptomen, auf die sie den sozialen Medien zufolge achten sollen – also nach einem Ausschlag –, aber den sehen wir nicht immer. Zu mir kamen Patienten mit analen, genitalen und oralen Geschwüren oder ohne sichtbare Geschwüre und mit geschwollenen Lymphknoten“, erklärt Dr. Silva. „Um festzustellen, ob es sich um Affenpocken handelt, müssen wir oft gründliche Untersuchungen anstellen, und das kann eine Anoskopie beinhalten, bei der wir im Anus nach Läsionen suchen und anschließend einen Abstrich für eine vollständige Diagnose vornehmen.
„Einige unserer Patienten mit einem letztlich positiven Befund auf Affenpocken hatten Fieber, und ihr Dickdarm- und Mastdarmbereich war entzündet, während andere bläschenartige Läsionen an Kinn, Brust und Bauch aufwiesen", berichtet Dr. Mussini.
Keine auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe beschränkte Krankheit
Wenngleich die meisten der von den beiden Klinikern untersuchten Fälle bei Männern mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten (MSM) auftraten, legen sowohl Dr. Silva als auch Dr. Mussini Wert auf die Feststellung, dass diese Krankheit nicht ausschließlich schwule Männer betrifft und daher nicht stigmatisiert werden sollte.
„Zunächst hingen die uns vorliegenden Fälle mit Reisen zu Pride-Veranstaltungen in verschiedenen Ländern zusammen, doch dann sahen wir vermehrt Fälle, die nur durch eine lokale Übertragung entstanden sein konnten“, so Dr. Mussini. „An Affenpocken kann jeder erkranken, der engen persönlichen Kontakt mit einer infizierten Person oder kontaminierten Gegenständen oder Kleidungsstücken dieser Person hat“, fügt sie hinzu.
„Zunächst befürchtete ich, die Krankheit könnte mit Schwulen in Verbindung gebracht werden, doch hat die portugiesische Regierung hervorragende Aufklärungsarbeit in den sozialen Medien geleistet und erläutert, dass sich jeder anstecken kann“, sagt Dr. Silva.
Dennoch ist der Hinweis wichtig, dass MSM derzeit einem höheren Risiko ausgesetzt sind, sich mit Affenpocken zu infizieren, da sich die Krankheit in diesen sozialen und sexuellen Kreisen am schnellsten verbreitet. Die meisten Fälle werden nach wie vor bei Männern gemeldet, die sich bei gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten angesteckt haben. Allerdings werden Fälle von Affenpocken derzeit auch bei Frauen und Kindern entdeckt, und Kliniker müssen bei der Diagnose von Patienten die Möglichkeit einer Infektion mit Affenpocken in Betracht ziehen.
Kein neues HIV
Nach mehr als 30-jähriger Tätigkeit im Bereich HIV ist Dr. Mussini vielleicht besser als die meisten dazu berufen, festzustellen, dass Affenpocken das körpereigene Immunsystem nicht auf die gleiche Weise angreifen und dass die Symptome, anders als bei HIV, in der Regel nach wenigen Wochen und ohne die Notwendigkeit einer Behandlung abklingen.
„Die Menschen sollten sich von dieser Krankheit nicht erschrecken lassen, jedoch wissen, dass es sie gibt, ebenso wie sexuell übertragbare Krankheiten. Sie sollten darüber informiert sein, womit sie es zu tun haben und welche Risiken bestehen, und sich an ihren Arzt wenden, sobald eines der Symptome auftritt“, erklärt sie.
Zur Verhinderung weiterer Infektionen beitragen
In seiner Sprechstunde mit Patienten, die ein erhöhtes Risiko für diese Erkrankung aufweisen, gibt Dr. Silva eher pragmatische Empfehlungen ab:
„Ich empfehle, die Zahl der Sexualpartner zu reduzieren und, zumindest vorläufig, Sexclubs zu meiden, da die meisten Fälle, die mir untergekommen sind – wenn auch nicht alle –, auf den Besuch solcher Orte zurückzuführen sind.
Die Notwendigkeit, die individuelle Gefährdung durch Affenpocken aktiv zu verringern, ist entscheidend für die Unterbrechung ihrer Übertragung in Europa. Personen, insbesondere MSM mit mehreren Sexualpartnern, sollten den Rat von Dr. Silva ernst nehmen.
Auf Symptome von Affenpocken achten
Affenpocken werden durch längeren persönlichen Kontakt (darunter Sexualkontakt) mit einer infizierten Person oder durch Kontakt mit kontaminierten Gegenständen oder Kleidungsstücken dieser Person übertragen. Dabei tritt in der Regel mindestens eines der folgenden Symptome auf:
- Ausschlag, Flecken, Geschwüre oder bläschenartige Läsionen am gesamten Körper, häufig jedoch im Genitalbereich
- geschwollene und schmerzhafte Lymphdrüsen
- Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen, Schüttelfrost oder Erschöpfung
Die WHO rät allen Personen, die nach engem persönlichem Kontakt derartige Symptome haben, dringend, sich umgehend an ihren Arzt zu wenden. Seien Sie sich Ihres eigenen persönlichen Risikos bewusst. Ist Ihr Risiko hoch, sollten Sie sich darüber informieren, wie Sie es verringern können. So schützen Sie Ihre Gesundheit und die Gesundheit derer, die Ihnen nahe stehen.