Die Europäische Region der WHO konnte ihre Zertifizierung als frei von Poliomyelitis (Polio) auch 2023 aufrechterhalten. Zu diesem Ergebnis kam die Zertifizierungskommission für die Eradikation der Poliomyelitis in der Europäischen Region (RCC) nach Prüfung der von den Mitgliedstaaten vorgelegten Jahresberichte für 2023. Die Berichte enthielten Daten aus der klinischen und umweltbezogenen Überwachung, aus denen hervorging, dass
- 2023 keine Polio-Wildviren mehr in der Europäischen Region zirkulierten und dass
- eine Einschleppung oder ein Zirkulieren solcher Viren von den vorhandenen Gesundheits- bzw. Surveillancesystemen umgehend entdeckt worden wäre.
Die RCC stimmte auch der offiziellen Beendigung des im Zeitraum 2022–2023 festgestellten Ausbruchs des zirkulierenden vakzine-abgeleiteten Poliovirus Typ 2 in Israel zu.
Dagegen äußerte sich die RCC besorgt darüber, dass stagnierende Fortschritte bzw. Rückschläge in einer Reihe von Ländern aufgrund von unzureichenden Impfquoten, einer unvollständigen Sicherheitslagerung in Poliovirus-Einrichtungen sowie Defiziten in der Bereitschaftsplanung für Ausbrüche den Status der Europäischen Region als poliofrei gefährden.
„Die Zertifizierung als poliofrei erhält die Europäische Region nicht einfach so – sie muss jedes Jahr aufgrund detaillierter Nachweise bestätigt werden“, erklärt Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa.
„Seit mehr als 20 Jahren wird durch die anhaltenden Bemühungen um hohe Impfquoten, eine qualitativ hochwertige Überwachung und eine schnelle Reaktion auf Ausbrüche verhindert, dass sich das Virus in dieser Region wieder ausbreitet. Diese Bemühungen sind zu begrüßen, aber müssen auch intensiviert werden, da die Herausforderungen für unsere kollektive Verteidigung gegen dieses Virus zunehmen.“
Anhaltende Herausforderungen
Bewaffnete Konflikte stellen eine besondere Gefahr für das Funktionieren von Impfprogrammen dar. So hat die RCC ihre Besorgnis darüber geäußert, dass in der Ukraine nach wie vor ein hohes Risiko für eine anhaltende Übertragung des Poliovirus besteht, falls ein Wildvirus oder ein zirkulierendes, von Impfstoffen abgeleitetes Virus eingeschleppt werden sollte, da die Immunität der Bevölkerung nicht optimal ist und es ständig zu Angriffen auf das Gesundheitssystem und systemkritische Infrastrukturen kommt.
Der aktuelle Polioausbruch im Gazastreifen (besetztes palästinensisches Gebiet) stellt dort eine erhebliche Gefahr für ungeimpfte Kinder dar und beinhaltet auch das Risiko einer Ausbreitung in die Nachbarländer. Die RCC hat es begrüßt, dass im Gazastreifen trotz der außerordentlich schwierigen Umstände mit Impfmaßnahmen begonnen wurde.
Die Einschleppung von Polioviren infolge von Ausbrüchen in anderen Regionen wird sich fortsetzen, bis Polio weltweit eradiziert ist. Bisher haben 2024 mehrere Länder in der Europäischen Region in Umweltproben Polioviren festgestellt. So konnte für das im September in Spanien festgestellte Virus eine Verbindung zu einem vakzine-abgeleiteten Poliovirus nachgewiesen werden, das zuvor im Norden Nigerias aufgetreten war und dann in einer Reihe anderer Länder zirkuliert hatte. Sämtliche Funde werden untersucht, und bisher wurden keine Fälle von Lähmungen gemeldet.
Ein vollständiger Bericht an die 38. Tagung der RCC wird demnächst veröffentlicht.
Welt-Polio-Tag
Der jährlich am 24. Oktober begangene Welt-Polio-Tag dient dazu, auf die weltweiten Bemühungen zur Beendigung der Krankheit sowie auf die Bedeutung der Polioimpfung für den Schutz eines jeden Kindes vor dieser verheerenden Krankheit aufmerksam zu machen. Bei diesen Bemühungen spielen Rotary International und seine Mitglieder in aller Welt eine wesentliche Rolle: Rotary International ist die zivilgesellschaftliche Partnerorganisation der Weltweiten Initiative zur Ausrottung der Kinderlähmung.
Polio ist eine von Polioviren verursachte lebensbedrohliche Krankheit, zu deren Eradikation sich die Weltgesundheitsversammlung 1988 verpflichtet hat. Die Europäische Region wurde 2002 für poliofrei erklärt, und dieser Status wurde seitdem jedes Jahr bestätigt.